Neue Wirtschafts Woche – Heiner Flassbeck’s Schuldenbremse, Ulrike Herrmann zur Ampel, Quantum Ökonomik, Plurale Ökonomik, Gamm’s Geld, QE + Mehr!

equilibrium academy monkeys - LSE - Neue Wirtschafts Woche - Desperately Seeking General Equilibrium

Jenseits der offiziellen Heilslehre & Tagespresse – WeltWirtschaftsWoche – Ein zukunftsfähiger Blick auf die Geld- & Wirtschafts-Forschung.

  • In die Irre per Schuldenbremse – Heiner Flassbeck
  • Die Ampel steht – und jetzt? Ulrike Winkelmann mit Ulrike Herrmann
  • Jung&Naiv  Ulrike Herrmann #Marktwirtschaft #Klimaschutz #Kapitalismus
  • Quantum Economics von David Orrelll – ZZD-Holger,Nils
  • Was ist Geld? Eberhard Gamm
  • Kapitalismusanalysen – Hans-Jürgen Bieling, Carla Coburger, Patrick Klösel
  • Plurale Ökonomik
  • Verteilungseffekte der Corona Pandemie – Isabel Schnabel
  • Ein Ende der lockeren Geldpolitik? – Paul Steinhardt

Eine spannend bunte Mischung im grauen Januar. Meine Sonderempfehlung: Der “Zwischen Zwei Deckeln” podcast zu David Orrell’s Quantum. Im Gespräch mit einem Soziologen präsentiert ein Physiker Orrell’s Buch und bietet dabei am Ende eine interessante, weitgreifende und allgemeinverständliche Einführung in die heterodoxe Kritik der orthodoxen Geldlehre. Allerdings kein Grund Ulrike Herrmann zu verpassen. Auch interessant Paul Steinhardt mit Ann Pettifor zu vergleichen oder Eberhard Gamm’s erstaunliche Kritik der Kapitalistischen Buchführung zu bewundern?


relevante-oekonomik.com 1-2022 Wie der Bundestag von Institutionen und Ökonomen in die (nationale) Irre geführt wird – Heiner Flassbeck

…”An dieser Stelle wir jeder verständige Mensch auch merken, welche bedeutende Rolle dabei die europäische Dimension spielt. Es ist offenkundig, dass insbesondere Frankreich und Italien darauf drängen, die europäischen Schuldenregeln abzuschwächen, während sich die Koalition in Deutschland darauf verständigt hat, das nicht zu tun. Nur wenn man in Deutschland sagen kann, seht her, wir halten uns an die Schuldenbremse und investieren doch, kann man gegenüber den Partnerstaaten argumentieren, dass die Schuldenbremse niemanden hindert, solide zu wirtschaften und zugleich zu investieren.

Das Argument in Europa zu verwenden, ist aber nicht nur wegen der jetzigen Trickserei schändlich, es ist vor allem deswegen abwegig, weil es aus dem europäischen Land kommt, das seit fast zwanzig Jahren – zu Lasten der Partner – hohe Leistungsbilanzüberschüsse aufweist. Das ist der entscheidende Zusammenhang, um den es in Europa geht.

Werden (zusammen mit der deutschen Schuldenbremse) die europäischen Schuldenregeln nicht geändert, kann ein Land wie Frankreich niemals wieder zu einer normalen Wirtschaftsentwicklung zurückkehren, weil es Leistungsbilanzdefizite aufweist, die es in einer Welt mit einem Unternehmenssektor, der Überschüsse aufweist (oder wenigstens keine Defizite), unmöglich ist, die staatliche Verschuldung den europäischen Schuldenregeln anzupassen, ohne die eigene Wirtschaft zu ruinieren…”…

fspiecker.de/GGpdf 10-1-2022 Stellungnahme für die Anhörung im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags – Friederike Spiecker

“Der vorliegende Entwurf zu einem zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 legt die finanzpolitische Zwickmühle offen, in der sich die Regierungskoalition befindet: Einerseits will sie die Finanzierung dringend notwendiger öffentlicher Investitionen und die finanzielle Förderung privater Investitionen im Bereich des Klimaschutzes über die kurze Frist hinaus sicherstellen, ohne dafür Steuern zu erhöhen oder z.B. Sozialausgaben zu kürzen, weil das die konjunktu-
relle Erholung gefährden würde. Andererseits hat sich die Koalition in ihrem Koalitionsvertrag zur Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023 verpflichtet…”…


YouTubeTaz 12/2021 Die Ampel steht – und jetzt? Was bedeutet der Verlauf der Pandemie, wird die Ampel ihre Versprechen halten können? taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann und taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann im Gespräch über die Erfolgsaussichten der neuen Koalition.

Wir sind zu Gast bei der “taz” und treffen Ulrike Herrmann, die seit 2006 Wirtschaftskorrespondentin der Tageszeitung ist und schon seit 2000 für sie schreibt. Ob Ulrike ursprünglich Journalistin werden wollte und warum ihre berufliche Laufbahn mit einer Banklehre begann, erklärt sie im Interview.


Jung&Naiv451  2020 Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann #Marktwirtschaft #Klimaschutz #Kapitalismus

Ulrike hat sich mit den großen Ökonomen wie Keynes, Marx und Smith befasst und analysiert die existenzielle Krise des globalen Kapitalismus: Warum steht die kapitalische Menschheitsära vor dem Ende? Was sind die Alternativen? Wie kommen wir dahin? Lässt sich zB die deutsche Autoindustrie noch retten? Weshalb könnte es in Zukunft keine Banken und Versicherungen mehr brauchen? Wie lassen sich Monopole bekämpfen? Können wir uns vom Wachstumswahn verabschieden? Ist kein Kapitalismus vielleicht doch eine Lösung?

Im zweiten Teil geht es um den deutschen Wirtschaftsmythos der Nachkriegszeit: Sprechen wir zurecht vom “Wirtschaftswunder”? Wer hat die D-Mark eingeführt? Wer hat die “soziale Marktwirtschaft” erfunden? Und was hat Ludwig Erhard mit all dem zu tun?

Ulrikes aktuelle Bücher:

  • Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen: Warum es kein Wunder ist, dass wir reich wurden (2019)
  • Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung (2016)

taz/youtube/UlrikeHerrrmann 2017 Ulrike Herrmann, taz: Vom Anfang und Ende des Kapitalismus



zwischenzweideckeln.de podcast here 10-2021 QUANTUM ECONOMICS VON DAVID ORRELL

Quantum Economics - David Orrell - Deutsche Buch Besprechung
Zwischen Zwei Deckeln podcast

Nach ein paar politischen Episoden, erweitern wir das Themenspektrum diesmal ein wenig und begeben uns an die Schnittstelle zwischen Wirtschafts- und Naturwissenschaften. Unser Gast Holger stellt uns das Buch Quantum Economics von David Orell vor. Darin formuliert der Autor die These, dass die moderne Ökonomie noch immer mit den mathematischen Methoden des 19. Jahrhunderts arbeitet. Gerade mit der Quantenmechanik haben sich aber komplexe mathematische Modelle entwickelt, die auch ökonomische Zusammenhänge wesentlich angemessener abbilden können. hier hören



Was ist Geld? Die fehlerhafte Buchführung der Banken und ihre Folgen

Eberhard Gamm  2021

Die Kurzfassung:

  • In diesem Buch wird gezeigt, dass
  • Geld eine Buchführungsgrösse ist, mit der erbrachte und in Anspruch genommene Leistungen abgerechnet werden;
  • es sich bei einer Zahlung um die Verbuchung einer Leistungstransaktion handelt;
  • sich ein Kredit fundamental von einem Darlehen unterscheidet;
  • die Bilanzen der Banken in zwei Teile aufgespalten werden müssen: ein Abrechnungssystem und die Bilanz eines Bankbetriebs;
  • die Insolvenz einer Bank nur den Bankbetrieb betrfft und keine Auswirkungen auf das Abrechnungssystem hat;
  • die Insolvenz eines Wirtschaftsteilnehmers nicht zwangsläufig dazu führen muss, dass ausstehende Zahlungen nicht mehr erfolgen und die entsprechenden Verkäufer leer ausgehen;
  • die Zentralbanken ein Relikt aus der Zeit der Gold- und Silber-Währungen sind und die klassischen Instrumente der Zentralbanken heute weitgehend wirkungslos sind;
  • zahlreiche allgegenwärtige Aussagen über Geld aus der Zeit der Goldund Silber-Währungen stammen und unter den heutigen Bedingungen nicht mehr zutreffen;
  • die Buchführung der Banken und der Zentralbanken nicht den Grundsätzen der kaufmännischen Buchführung entspricht;
  • es im Geldwesen nur um zwei Fragen geht:
    • Wer bekommt wie viel Kredit?
    • Wie werden die Lasten von Kreditausfällen verteilt?

eberhard-gamm-was-ist-geld GG/PDF Download

mehr zu Eberhard Gamm auf diser GG Seite


neuer-weg.com/  2021  Kapitalismusanalysen – Klassische und neue Konzeptionen der Politischen Ökonomie – Hans-Jürgen Bieling, Carla Coburger und Patrick Klösel

Vorwort: Die Grundidee dieses Buches hat mehrere Aspekte. Wir wollen erstens einen weiten Bogen von den Klassiker*innen des politökonomischen Denkens bis hin zu den jüngeren Diskussionen schlagen. Zweitens haben wir politökonomische Perspektiven ausgewählt, die interdisziplinär ausgerichtet und gesellschaftstheoretisch orientiert sind, d. h. auch Fragen von Macht und Herrschaft adressieren. Drittens richten wir den Fokus insbesondere auf Theorien, die für sich in Anspruch nehmen können, die spezifischen Triebkräfte und Dynamiken der kapitalistischen Entwicklung zu konzeptualisieren.

Zwei Kontexte gaben wichtige Impulse, um diesen Band in Angriff zu nehmen. Zum einen wird in Tübingen regelmäßig eine Vorlesung zu den „Klassikern des politökonomischen Denkens“ angeboten, zu deren Begleitung es bislang zahlreiche, aber nur begrenzt nutzbare Lehrbücher gibt; der andere Kontext sind die Diskussionen im Rahmen der Initiative „Rethinking Economics Tübingen“, die sich immer wieder mit der Einordnung und Zusammenführung unterschiedlicher heterodoxer Theorieperspektiven befassten. … Wir hoffen, dass das Buch zum besseren Verständnis politökonomischer Zusammenhänge beiträgt und die Diskussion über die Disziplingrenzen hinweg belebt. Dieser Band richtet sich deshalb auch nicht nur an angehende Politikwissenschaftler*innen, sondern ebenso an Studierende und Wissenschaftler*innen angrenzender Disziplinen, die sich einen Überblick über die historische Entwicklung der Politischen Ökonomie verschaffen wollen.”

Kapitalismusanalysen Bieling, Coburger, Klösel  2021  GG PDF Leseprobe hier

GG> economics – history of, interdisciplinary



exploring-economics.org/de/ 2021 Plurale Ökonomik für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Wirtschaftsweise

exploring-economics.org/de/unsere-vision/ 2021 – “Die wirtschaftlichen Probleme der Gegenwart sind komplex und vielfältig – wirtschaftliche Instabilität und Finanzkrisen, nationale und internationale Ungleichheit, Klimawandel und Umweltzerstörung sowie Armut, Ausbeutung, Rassismus und Geschlechterungleichheit. Die Antworten der Wirtschaftswissenschaft sind jedoch oft verkürzt und eindimensional. Enttäuscht über den Mangel an Pluralismus und Innovation in der Wirtschaftslehre entwickelten Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen des Netzwerks Plurale Ökonomik Exploring Economics….

Über das Projekt: Die Idee zu Explorings Economics entstand im Netzwerk Plurale Ökonomik. Das Netzwerk Plurale Ökonomik bündelt mit seinen 500 Mitgliedern und 30 Hochschulgruppen die Bewegung für einen Wandel in der Wirtschaftswissenschaft und stellt der internationalen Curriculum Change Bewegung mit Exploring Economics eine E-Learning Plattform bereit, auf der eine neue Wirtschaftswissenschaft Gestalt annimmt.

Die Open-Access E-Learning-Plattform setzt dem monodisziplinären und einseitigen Zugang der Wirtschaftswissenschaft einen offenen, interdisziplinären und pluralistischen Ansatz entgegen. Exploring Economics reagiert auf den internationalen Appell von Studierenden und Wissenschaftlerinnen für einen grundlegenden Wandel in der Wirtschaftswissenschaft, der durch die Finanzkrise 2007/2008 und weitere ökonomische, ökologische und soziale Kirsenerscheinungen verstärkt wurde. Indem wir alternative Ideen und Ansätze stärken, wollen wir Schülerinnen, Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen dazu befähigen, eine sozial-ökologische Transformation hin zu einem nachhaltigen ökonomischen System voranzutreiben.



ECBunibonnYouTube 11/2021 Ungleiche Narben – Verteilungseffekte der Pandemie. by Isabel Schnabel geht auf die Verteilungseffekte der Corona Pandemie ein – so ist die Wirtschaft doch in manchen Mitgliedstaaten des Euroraums viel stärker eingebrochen als in anderen. Die am stärksten getroffenen Staaten sind gerade diejenigen, die bereits vor der Krise ein vergleichsweise geringes Wirtschaftswachstum oder einen hohen Schuldenstand aufgewiesen haben. Es droht, dass die Pandemie bereits bestehende Unterschiede im Euroraum verstärkt. Doch nicht nur zwischen Ländern zeigen sich Divergenzen. Auch innerhalb der Länder deutet vieles darauf hin, dass sich die bestehende Ungleichheit weiter verschärft hat. So sind Personen mit geringerem Einkommen, geringerer Bildung sowie Frauen und Jüngere besonders stark betroffen. Die einheitliche Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) kann nur eingeschränkt auf diese Divergenz reagieren. Stattdessen sei es Aufgabe der Fiskalpolitik, erklärt Schnabel, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um eine strukturelle Verfestigung der entstandenen Ungleichheit zu verhinder


makroskop/pdf 9/2021 Ein Ende der lockeren Geldpolitik? Von Paul Steinhardt – An dieser Frage scheiden sich die Geister. Aus ihrer Verneinung auf eine „progressive“ und ihrer Bejahung auf eine „reaktionäre“ wirtschaftspolitische Positionen zu schließen, führt aber in die Irre.



Neue Wirtschafts Woche – next edition

>Inflation
makroskop.eu 15/12/2021 Inflation – Rückkehr eines Schreckgespenstes? – Die aktuelle Entwicklung der Teuerungsrate hat zu großen Sorgen und lebhaften Diskussionen geführt. Was sind die Ursachen der Preissteigerungen und wie lange werden sie andauern? – Von Günther Grunert


>David Graeber
zwischenzweideckeln.de/podcast – hier Buchbesprechung hoeren : „Schulden – Die ersten 5000 Jahre“ von David Graeber

Nachdem Nils in Episode 31 das Thema „Geld“ immer mal wieder eingebracht hatte, gibt es diesen Monat den akuten Grund für sein Interesse an dem Thema: das Buch „Schulden – Die ersten 5000 Jahre“ des Anthropologen und Aktivisten David Graeber. Und da das Buch nicht ganz einfach ist, ist das auch gleich unsere bisher längste Folge geworden: David Graeber hinterfragt in seinem Buch das klassische Verständnis von Geld, auf dem ein Großteil der heutigen Ökonomie basiert. Er zeigt auf der Grundlage historischer Beispiele, dass das Geld nicht ein natürliches Werkzeug eines freien Marktes ist, sondern ein staatlich geschaffenes Mittel, um soziale Beziehungen zu kontrollieren.


>ALTcurrencies, CBDC, montary

monetative.de 12/2021 Jens Weidmann: Sicheres Geld für die Bürger gefährdet die Finanzstabilität! – von Eberhard Gamm

“In einem Artikel in der Wirtschaftswoche warnt Bundesbankpräsident Jens Weidmann vor BitCoin, schließt ein Verbot aber aus. Viel interessanter ist allerdings Weidmanns Aussage zu digitalem Geld der Zentralbanken:

“Der Bundesbank-Präsident setzte nun auch hinter die Idee ein Fragezeichen, als Notenbank eigenes digitales Geld herauszugeben: „Digitales Notenbank-Geld ist ja nichts anderes, als ein Konto bei einer Notenbank zu haben.“ Für Bürger sei das zwar sehr sicher. Spätestens in Krisenzeiten wäre dies allerdings eine Gefahr für die Finanzstabilität, da Kunden ihr Geld dann von den Geschäftsbanken abziehen und zur sicheren Notenbank umziehen würden.”

Man kann den Bürgern also kein sicheres Geld geben, weil das die Finanzstabilität gefährdet. Eine schönere Beschreibung der Perversität des heutigen Geldsystems kann man sich kaum wünschen. Herr Weidmann, vielen Dank für diese Klarstellung! …”…


>cars, energy

fspiecker.de 11-2021 Zu teuer oder zu billig? Eine Analyse der Preisentwicklung von Kraftstoffen – by Friederike Spiecker

…”…Bedenkt man zusätzlich, dass die Effizienz der Verbrennermotoren und verbrauchsrelevante Details der PKW-Technologie seit den 1950er Jahren enorm zugenommen haben (Angaben zu dieselbetriebenen Industriemotoren zeigen, dass sie zwischen 1952 und 2015 um ein Viertel zugenommen hat), man also mit einem Liter Kraftstoff heute bei gleich schwerem Fahrzeug mehr Kilometer zurücklegen kann als vor 40 Jahren, ist der Preis für fossil betriebene Mobilität sogar noch stärker gesunken, als in Abbildung 5 dargestellt. Dass viele Fahrzeughersteller und Verbraucher diesen technischen Effizienzgewinn in höhere PS-Zahlen und luxuriösere Ausstattung ihrer Autos gesteckt haben, tut dieser Feststellung keinen Abbruch. Denn das bedeutet nur, dass eine mit Diesel oder Benzin gefahrene gleich lange Strecke aus Sicht des am Komfort interessierten Autofahrenden an Qualität gewonnen hat – so betrachtet also doch billiger geworden ist.

Preissignale notwendig für die ökologische Transformation der Wirtschaft … Vor dem Hintergrund dieses empirischen Befundes sind Forderungen wie die eingangs zitierten, den staatlichen Anteil am Endpreis für Super oder Diesel an der Zapfsäule zu senken, unvereinbar mit jeder marktwirtschaftlichen Strategie der Bekämpfung des Klimawandels. Die Drosselung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe benötigt, wenn sie denn mit marktwirtschaftlichen Mechanismen und nicht in erster Linie mit Verboten erreicht werden soll, ein klares Signal von Seiten der Preise. Nur wenn sich fossile Energieträger im Vergleich zu anderen Gütern stark und dauerhaft verteuern, werden sie durch klimaneutrale Energieträger substituiert. …

Solche ökologisch dringend erforderlichen Preisentwicklungen bringen allerdings negative und vor allem sehr ungleich verteilte Einkommenseffekte mit sich, die man keinesfalls vernachlässigen darf, will man politische Mehrheiten für eine Transformation der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität organisieren. Denn wohlgemerkt: Die vorgeführten Berechnungen beziehen sich auf den Durchschnittsnettostundenlohn bzw. das Durchschnittsnettogehalt pro Stunde einer Arbeitskraft in Deutschland. Da in den 1990er Jahren die Lohnspreizung und damit die Ungleichheit der Einkommensverteilung zu steigen begann, hat es für die Geringverdienenden seitdem keine so deutliche Verbilligung des Treibstoffs gemessen in Arbeitszeit mehr gegeben wie in den Jahrzehnten davor. Für die Einkommensbezieher der oberen Lohn- und Gehaltsstufen hingegen war dieser Trend umso ausgeprägter; ihr Arbeitsaufwand, um sich mit großen Mengen Kraftstoff zu versorgen, liegt deutlich niedriger als die oben genannten Zahlen. Entsprechend verschwenderisch können sie mit diesem Gut trotz aller bisher darauf erhobenen Abgaben umgehen – und sie tun das auch ausweislich des seit Jahren steigenden Anteils der SUVs an den Pkw-Neuzulassungen. …

Mit einer Objektförderung etwa durch Anhebung der Pendlerpauschale, Absenkung der Mehrwertsteuersätze auf Kraftstoffe oder Verringerung der CO2-Steuern ist dem Klima nicht gedient. Denn so wird die notwendige Anpassung verlangsamt oder ganz ausgehebelt. Obendrein verschärft sich die Ungleichverteilung der Anpassungslasten bei einer Objektförderung noch. Wer dank geringen Einkommens kaum Einkommensteuer zahlt, profitiert nämlich von einer Anhebung der Pendlerpauschale wesentlich weniger als Gutverdienende. Wer sich dank geringen Einkommens keine weite Urlaubsreise und keine große Wohnung leisten kann, den entlastet eine verringerte Mehrwertsteuer auf fossile Energieträger weniger als reiche Fernreisende oder Bewohner von Luxushäusern. …

Die internationale Dimension des Problems – Was unserer Politiker aber mindestens ebenso beachten müssen: Eine Strategie der Preissignale muss auf globaler Ebene ansetzen, um erfolgreich zu sein. Ein Blick auf die Kraftstoffpreise in verschiedenen europäischen Ländern veranschaulicht das Problem: In Polen erhebt der Staat auf Benzin mit 37,4 Cent pro Liter ungefähr ein Drittel weniger Energiesteuer als in Deutschland (65,45 Cent), was zu Tanktourismus in der Grenzregion führt. In den Niederlanden sind es mit 81,3 Cent hingegen rund ein Viertel mehr als hierzulande. In den USA ist das Autofahren aufgrund erheblich geringerer Besteuerung im Vergleich zu Europa geradezu spottbillig. Das grundlegend zu ändern, dürfte schon allein wegen des weniger dichten öffentlichen Nah- und Fernverkehrsnetzes in den USA noch schwerer durchzusetzen sein als diesseits des Atlantiks. …

Von den Protesten der Autoindustrie hüben wie drüben ganz zu schweigen, die sich mit dem Totschlagargument wegfallender Arbeitsplätze bei zu starker Verteuerung des Individualverkehrs jederzeit Rückendeckung von Politik und weiten Teilen der Bevölkerung organisieren kann. Wie in Deutschland gleichzeitig weitgehend unwidersprochen über einen Mangel an Fachkräften und ganz allgemein an Arbeitskräften geklagt werden kann, bleibt ein Geheimnis der PR-Kunst einflussreicher Lobbyisten.

Nein, solange wir eine reale Steigerung der Preise für fossile Brennstoffe zu vermeiden suchen, statt sie zuzulassen und parallel dazu die Einkommenseinbußen für Ärmere auszugleichen, kommen wir einer sozial verträglichen und damit demokratisch getragenen Lösung der Klimakrise mit marktwirtschaftlichen Instrumenten keinen Schritt näher.”


https://www.zvab.com/buch-suchen/textsuche/richter-hedwig/Demokratie – eine deutsche Affäre. vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart,


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