DIE MONETÄRE MASCHINE – Aaron Sahr’s Kritik der Finanziellen Vernunft

VorWort

“Was ist Geld? Kaum eine Frage dürfte so nah an die Grundpfeiler unserer modernen Gesellschaft gehen wie diese. Und gleichzeitig gibt es kaum eine Frage, über die weniger geredet wird, über die weniger gestritten wird und über die die Ökonomie weniger spricht. Wie kann es sein, dass wir über eine zentrale Institution der Gesellschaft einfach nicht sprechen? Nicht mal nachdenken?

Antworten auf diese Fragen, auf Fragen nach dem Wesen des Geldes (Spoiler: unpolitisch ist es nicht) und – vor allem! – der tagtäglichen Neuentstehung genau diesen Geldes (ja genau, das mit der „Geld wird erwirtschaftet“-Lebensweisheit ist so ne Sache. Erwirtschaften ist schwierig, wenn es kein Geld gibt) liefert Aaron Sahr auf brillante, überzeugende und immer noch sehr gut lesbare, teils sogar lustige Weise.

Kein anderes Buch hat es annähernd geschafft, so umfassend und gut in die Gedankenwelt der Geldtheorie(n!) einzuführen und gleichzeitig ihre unfassbar wichtige Bedeutung für unser Leben herauszustellen. Es geht dabei nicht um theoretische Gedankenspiele um der Theorie Willen. Es geht um den Kern unserer Probleme, von der ökologischen Zerstörung, über marode Schulen und Krankenhäuser bis hin zur Verarmung ganzer Bevölkerungsgruppen im Angesicht von schwindelerregenden Reichzuwächsen einiger weniger.”

amazon review by j 2-2022

Absolutely. So ist es. Geld zwischen Schleier und Tabu.

Die Einleitung entspricht obiger Besprechung. Mehr als vielversprechend. Ich werde weiterlesen. Ein Soziologe mit interdiszplinärer Literaturkenntnis produziert ein potentiell populäres Geldaufklärungsbuch? Auf deutsch? Manchmal geschehen Wunder.

Wird hier ein Bestseller erwartet? Immerhin is man auf SachbuchPlatz 10, wird mit Picketty und Vogl verglichen (Graeber nicht auf dem Tisch?) und liest sich “… zu einem gewissen Grad wie ein Krimi.”

Aaron Sahr fiel mir irgendwann als soziologischer Geldforscher auf mit seinem Essay : “Von Richard Nixon zur 1.000.000.000.000-$-Münze – Kreditgeld als politische Verknappungsaufgabe”. Das liest sich auch jetzt noch so frech und frisch wie es damals klang.

Man ahnte bei Sahr hier arbeitet jemand jenseits der mainstream “ortho-silo” Textverarbeitung. Ausserdem schien er jung zu sein, interdisziplinär zu lesen und eher empirisch als theoretisch vorzugehen. Eben eine Praxistheorie des Geldes. Sahr verheddert sich nicht im TheorieBegriffsGestrüpp des Geldes sondern hält Klarsicht auf die monetaren Realitäten, eben die Praxis des real existierenden Geld(systems). Die theoretisiert er jetzt in einem sozialwissenschaftliches Meisterwerk. Mehr dazu beizeiten im Nachwort. Bemerkenswert wie die Betrachtung der monetären Realitäten praktisch alle Geldforscher auf dieselbe Spur treibt. Einmal gefunden verwischt sie sich nie wieder. Immer wieder führt sie zu denselben Schlussfolgerungen, eben jene die sich so etwa auf Geld=Macht reduzieren lassen.

Die lese-freundliche Schreibweise eines LernReisenden, die Sahr tendentiell mit Graeber teilt, mag ihm helfen gelesen zu werden. Aber schafft so ein Geldbuch es zum Bestseller?

Just follow the money…

updates 8-2022

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6-2022 Aaron Sahr – Neueste Rezensionen und Gespräche zum Buch


soziopolis.de 3-2022 Die Vergesellschaftung des Geldkraftwerks – Rezension zu „Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft“ von Aaron Sahr – von Stefan Eich

“Im langen Jahrzehnt seit der globalen Finanzkrise von 2008 haben sich die Debatten zur Geldtheorie und Geldpolitik tiefgreifend verändert. Wichtige rechtsgeschichtliche Studien brachten ein neues Verständnis des Geldes als Herrschaftsinstrument und verfassungsrechtliches Projekt in Umlauf gebracht.[1] Anthropologen deckten den vermeintlich vormonetären Tauschhandel als optische Täuschung auf.[2] Wirtschaftssoziologen befreiten Geld aus der engen Verflechtung mit den Märkten und entwarfen auf dieser Grundlage ein neues, versiertes Vokabular des Kreditgeldes.[3] Geld erscheint aus all diesen Perspektiven nicht mehr als rein ökonomisches Mittel des effizienten Tausches, sondern als eine kollektive Technologie der gesellschaftlichen Wertschöpfung. Der politische Alltag hinkt diesem Debattenstand noch stark hinterher, gerade der deutsche Diskurs zu Haushalts- und Geldpolitik scheint von den oben genannten geldtheoretischen Entwicklungen nahezu vollständig abgekoppelt. …”… hier die Rezension auf dieser gg Seite lesen


l-iz.de 3-2022 Die monetäre Maschine: Wie unser Geld wirklich funktioniert und warum wir meistens falsch darüber denken – Von Ralf Julke

Wir denken falsch über Geld. Oder anders formuliert: Uns wird immerfort falsches Denken über Geld eingeredet. Es steckt in Phrasen wie „Schwarze Null“, „Neuverschuldungsverbot“, „Schwäbische Hausfrau“. Und auch in den Behauptungen diverser Lobbyverbände, der Staat würde uns ausplündern und uns das sauer verdiente Geld rauben. Doch so funktioniert unser Geld nicht. Der Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr weiß, wovon er redet.

Er leitet die Forschungsgruppe Monetäre Souveränität am Hamburger Institut für Sozialforschung und nimmt die Leser in diesem Buch mit auf eine Demontage all der populären Behauptungen über die Funktionsweise des modernen Geldes, mit denen seit gut 40 Jahren ein Bild von der Funktionsweise des Geldes gezeichnet wird, das so vielleicht mal im Hochmittelalter gültig war. Aber wohl nicht einmal da.

Auch wenn das Bild so eingängig ist, dass Geld als Gold irgendwo in Tresoren liegt und immer erst mal als Münze geprägt werden muss, damit es jemand als sein Geld ausgeben kann. Davon erzählen ja auch bis heute gültige Bezeichnungen wie Schatz, Schatzkammer und Schatzmeister. Und jeder denkt an Tresorräume mit fetten Panzertüren und drinnen auf Regalen gestapelten Goldbarren.

Oder an Dagobert Duck, wie er in Goldmünzen badet. Das Bild ist so griffig. Und wenn man ein Bild für Geld sucht, dann bieten sich Münzen und Banknoten geradezu an. Möglichst viel davon. Dann sieht es richtig viel aus. Und es wirkt nur zu vernünftig, wenn uns Politiker mit bierernster Miene erklären, Geld müsse erst mal erarbeitet werden, bevor es ausgegeben werden kann. Klingt logisch, nicht wahr?

Ist aber falsch. Genauso wie die wilde These, dass es die Privatwirtschaft ist, die Geld überhaupt erst einmal „erzeugen“ muss, damit der „gierige“ Staat über Steuern und Abgaben seinen Teil abzwacken kann, um damit seine Konsumausgaben zu bezahlen. Denn im Licht dieser Theorie ist der Staat nichts als ein Räuber und Wegelagerer, quasi ein Schmarotzer der Privatwirtschaft. Und dann kann er mit Geld nicht mal umgehen, sondern häuft Schulden an, „lebt über unsere Verhältnisse“, gibt das Geld für „Wohltaten“ aus, die „wir uns gar nicht leisten können“.

Ohne Schulden kein Geld

Aber das Bild ist falsch. Was eigentlich jeder weiß, der sich jemals mit Bilanzen beschäftigt hat. Denn bevor Geld überhaupt entstehen kann, existieren Schulden. Etwas, was Sahr schon im alten Babylon findet. Denn was auf den vielen Tontäfelchen dort aufgelistet ist, sind Schulden. Alle jüngere menschliche Zivilisation baut auf Schulden auf. Schulden sind Verpflichtungen, der Gegenwert von Vorleistungen, die jemand gibt, der über die entsprechenden Vorräte und Ressourcen verfügt, die jemand anders braucht. Und um die Vorleistungen in Anspruch nehmen zu können, geht er eine Verpflichtung ein, diese Schulden zurückzuzahlen.

Und das funktioniert bis heute. Alle Menschen in diesem Land sind eingebunden in ein System von Schulden, egal, ob sie eine Wohnung mieten und dafür dann Mietzins zahlen, ob sie ein Auto auf Pump kaufen oder eine Warenbestellung aufgeben. Mit dem Kaufakt gehen sie ein Schuldverhältnis ein.

Das erklärt Sahr sehr schön mit dem immer wiederkehrenden Beispiel einer Fahrradkäuferin, die ihr neues Fahrrad beim Händler per Scheckkarte bezahlt. Der Verkäufer bekommt also gar kein Bargeld in die Hand, sondern die Bank der Käuferin bucht die Summe von ihrem Konto ab – entschuldet sich also bei seiner eigenen Kundin, die durch ihr Konto nicht Schuldnerin der Bank ist (auch wenn viele Banken sich so benehmen), sondern Gläubigerin.

Wir leben in einem Geflecht von Verschuldungen und Ansprüchen. Jeder von uns. Und wenn wir – auf welche Weise auch immer – „Geld verdienen“, erwerben wir eigentlich etwas völlig anderes: Zahlungsfähigkeit. Ausgedrückt durch ein Konto bei unserer Bank, bei der wir Gläubiger sind. Ja, selbst unserer Bank gegenüber haben wir ein Gläubiger-Schuldner-Verhältnis. Denn – wenn unser Konto im Plus ist, ist die Bank unsere Schuldnerin. Was für uns dann ein Haben ist, ist für die Bank ein Soll.

Wie Geld entsteht

Das ändert sich erst, wenn wir einen Kredit aufnehmen und die Bank sagt: Ja, machen wir. Dann sind wir im Soll und die Bank kann den Kredit bei sich als Forderung verbuchen. Womit man an der Stelle ist, an der in unserer modernen Finanzwelt „Geld entsteht“. Denn die Bank reicht eben keine eingelagerten Gelder aus, die andere Leute dort deponiert haben. Das Geld, das sie uns – gegen Zinsen – gewährt, ist quasi „Geld aus dem Nichts“, wie es Sahr immer wieder lustvoll erklärt.

Denn das ist der eigentliche Treibstoff unserer Gesellschaft, der sie flexibel und innovativ macht. Denn hier finanziert nicht „altes Geld“ neue Ideen, sondern der Kreditnehmer sagt mit dem Kreditvertrag zu, das Geld innerhalb einer Frist mit Zins „zurückzuzahlen“. Was eben kein Zurückzahlen ist, sondern eine Tilgung: Man gleicht sein Konto wieder aus, trägt das Soll ab und am Ende ist das Geld praktisch wieder „verschwunden“.

Geld ist im eigentlichen Sinn nichts anderes als Zahlungsfähigkeit, die sich in Soll und Haben ausdrückt. Letztlich in einer Bilanz, die immer wieder ausgeglichen werden muss. Deshalb gehen wir arbeiten und „verdienen unser Geld“, stellen also unsere Zahlungsfähigkeit immer wieder neu her. Oder wie Sahr es so schön formuliert: „Ohne Bankschulden gäbe es nichts, was gespart werden könnte, weil die Art und Weise, wie gespart wird, die Form der Schuld ist.

Außerdem wird dieses Geld auch noch dadurch produziert und reproduziert, dass sich Akteure gegenüber der Bank verschulden. Bankkredite sind eben keine Darlehen, die angespartes Geld von den Habenden zu den Habenichtsen transferieren; es sind Akte der Schöpfung, der Geldwertschöpfung. Bankkredite sind kreative, schöpferische Praktiken. Erst die ständige Verschuldung erschafft und ermöglicht das Geld, das wir einnehmen und ansammeln.

Die Erzeugung von Zahlungsfähigkeit

Das heutige Geldsystem ist also eine monetäre Maschine, die permanent neue Zahlungsfähigkeit erschafft. Weshalb Sahr es auch eine Infrastruktur nennt, vergleichbar wichtigen Infrastrukturen wie Strom- und Wasserversorgung. Denn wir sind auf Zahlungsfähigkeit allesamt genauso dringend angewiesen wie auf Trinkwasser und Strom.

Und nicht anders sind „Staatsschulden“ entstanden. Es sind Kredite, die der Staat aufgenommen hat, um Investitionen und andere Zahlungen zu ermöglichen, in der Regel als staatliche Anleihen ausgegeben und von privaten Banken angekauft. Diese Staatspapiere aber stehen in den Bilanzen der Banken nicht als Minus, sondern als Plus, denn die vertrauen darauf, dass der Staat seine Schulden auch bezahlt. Und das tun auch private Anleger, die nur zu gern ihr „Geld“ in staatliche Papiere investieren. Die Schulden des Staates sind das Vermögen privater Anleger.

Und wer das ganze Getrommel der Lobbys im Ohr hat, die staatliches Schuldenmachen immerfort verdammen und uns einreden, unser Staat „lebe über seine Verhältnisse“, der erfährt mit Sahr, wie auch die Finanzverflechtungen des Staates funktionieren und warum Staaten eigentlich nicht pleitegehen können – wenn sie die Hoheit über ihre eigenen Zentralbanken haben.

„Staatsschulden sind in der Realität kein Problem der Generationengerechtigkeit, auch wenn diese Unwahrheit von vielen Politikerinnen und Politikern gerne vor laufenden Kameras wie ein Mantra im Buhlen um Wählergunst wiederholt wird“, schreibt Sahr. „Zunächst einmal sind Staatsschulden auch Vermögen, mit seinen Defiziten versorgt der Staat also den Privatsektor mit sicheren und gern gesehenen Anlagevermögen.“

Die privatisierte Geldschöpfung

Nur ist da seit gut 40 Jahren der Wurm drin, just der Zeit, in der sich das Getrommel der Finanzlobby in politische Entscheidungen verwandelt hat, die den Zentralbanken die Möglichkeiten der Geldschöpfung zum großen Teil genommen haben. Mit der falschen Behauptung, der Staat dürfe (sich) kein Geld drucken. Also dürfen auch die Staaten Europas ihre Staatsanleihen nicht direkt an die Zentralbank, für Europa die EZB, verkaufen.

Aber was macht die im Krisenfall, so wie nach der Finanzkrise 2008 oder der Coronakrise? Sie kauft Anleihen auf. In Billionen-Dimensionen. Aber eben vor allem private Anleihen. Sie schafft also Geld – für private Anleger. Alles in der Hoffnung, das Geld werde dann wieder investiert und schaffe neue Produktivität.

Was aber nicht der Fall ist, denn Privatbanken haben keinen moralischen Kompass. Niemand schreibt ihnen vor, wem sie Kredite vergeben und zu welchen Konditionen. Und wer als Unternehmer mal hingegangen ist zu seiner Bank und für eine Betriebserweiterung einen Kredit beantragt hat, weiß, was das bedeutet: Geld bekommt man nur, wenn man „Sicherheiten“ vorweisen kann. Banken wollen Gewinn machen und bevorzugen Anleger, die schon Sicherheit und Vermögen haben.

Und da ist man an dem Punkt, den Sahr mit der „Ideologie des unpolitischen Geldes“ beschreibt. Denn wenn die Geldschöpfung nicht (mehr) beim Staat liegt (obwohl der mit seinen Staatsanleihen das ganze System absichert), sondern bei Privatbanken, dann bestimmt nicht der Staat (und damit die von uns gewählte demokratische Regierung), wie das Geld angelegt werden soll, sondern die private Bank. Und eigentlich nicht mal die, sondern jene Leute, die die größte Spielmasse besitzen, um immer neue Kredite aufzunehmen.

Das sind in der Regel Leute, die dem Staat und der Gemeinschaft gegenüber zu nichts verpflichtet sind und deren Ziel meistens nicht ist, neue Produktivität zu schaffen. Sie wollen meist nur ihr Vermögen mehren. Und zwar möglichst so, dass das Geld hinterher nicht „verschwunden“ ist, so wie bei den normalen Leuten wie unsereins, sondern sich sogar „vermehrt“ hat. Das nennen diese Leute „Geld arbeiten lassen.“

Verschuldungsverbot und Steuerlamento

Mit fatalen Ergebnissen für die reale Welt. Denn diese „Wertanlagen“ sind – neben echten Ressourcenknappheiten – die eigentlichen Inflationstreiber, sie verteuern alles, was man mit Geld aufkaufen und verknappen kann. Auf dem Leipziger Immobilienmarkt ja in schönster Blüte zu beobachten. Die riesigen Anlagevermögen fließen schon lange nicht mehr in die produktiven Bereiche unserer Gesellschaft.

Mit der Doktrin des „Verschuldungsverbots“ (die immer im Paket mit der Forderung „Keine Steuererhöhung“ verkauft wird), wird der Staat sogar dazu verdammt, seine eigenen Infrastrukturen nicht instand halten zu können. Weil er zu wenig Geld hat. Was natürlich verblüfft, ist es doch „seine“ Zentralbank, die die Banknoten ausgibt.

Die von uns – also unserem Staat – geschaffene Infrastruktur, die eigentlich für alle Zahlungsfähigkeit „produzieren“ sollte, ist geknebelt und gefesselt und produziert hauptsächlich Zahlungsfähigkeit für eine kleine Gruppe Reicher und Superreicher, die aus diesem „Vermögen“, mehr bieten und zahlen zu können als andere, längst ein Machtinstrument gemacht hat. Denn große Vermögen bedeuten nun einmal auch große Macht.

„Unsere monetäre Maschine vermehrt unter dem Regime privatisierter Souveränität den Reichtum von wenigen, obwohl sie den Lebensstandard von vielen verbessern könnte“, schreibt Sahr. Und zeigt recht deutlich, dass die Erzählung vom „unpolitischen Geld“ ein Märchen ist, erzählt vor allem von den Nutznießern dieses Systems, die auf diese Weise ihre Vermögen selbst in der Krise immer weiter vermehren können, während sie unserer Gesellschaft die Handlungsfähigkeit entziehen.

Was – wie Sahr zu Recht feststellt – eben auch dazu geführt hat, dass wir alle unsere gegenwärtigen Krisen nicht gemeistert kriegen, denn die „Ideologie des unpolitischen Geldes“ sorgt dafür, dass dringende Investitionen in Klimaschutz, Infrastrukturen und soziale Sicherheit nicht erfolgen können. Von den katastrophalen Befunden im Bildungs- und Gesundheitswesen ganz zu schweigen. Überall schaut man auf zusammengesparte Etats, überarbeitete Beschäftigte, unterlassene Reparaturen – während die Vermögen der Superreichen immer weiter anwachsen.

Billionen für die falschen Märkte

Und auch die billionenschweren Aufkaufprogramme der EZB beschleunigen das nur. „Wir pressen neues Geld durch die Anlagemärkte und warten vergeblich darauf, dass es in der Realwirtschaft, auf dem Konto der öffentlichen Hand oder in den Taschen der hart arbeitenden Mehrheiten ankommt“, schreibt Sahr.

Weshalb er folgerichtig für einen „neuen Pragmatismus“ im Umgang mit der Geldwirtschaft und insbesondere den Zentralbanken wirbt. Denn wenn das Geldsystem, das eigentlich Zahlungsfähigkeit für alle herstellen sollte, nur den Reichtum einiger weniger mehrt, dann funktioniert diese Infrastruktur nicht richtig, wurde regelrecht deformiert. Was dann das Märchen vom „unpolitischen Geld“ nur kaschiert. Denn natürlich ist Geld, das immer nur einigen Wenigen noch mehr Reichtum verschafft, nicht unpolitisch.

Und wie sehr diese Denkweise politisch wird, macht Sahr am Beispiel der Arbeitslosigkeit deutlich. Denn „dementsprechend verweist Arbeitslosigkeit auch nicht auf einen Mangel an bisher erwirtschafteten Leistungen, sondern auf einen Mangel an Geldschöpfung ‚an der richtigen Stelle‘ – ungenutzte Arbeitskraft ist eine Ressource, für die man zahlen könnte, kein Schicksal, für das wir ‚kein Geld haben‘.“

Währen das Vermögen der Superreichen der Gesellschaft in der Regel gar nichts nutzt. Weshalb Sahr natürlich auch den Sinn von Steuern diskutiert, die ja nicht grundlos so heißen, weil sie ja eigentlich steuern sollen, wie Geld in einer Gesellschaft ausgegeben wird – nutzbringend oder schädlich. Und dass es zu einem immensen Teil schädlich verwendet wird, ist ja unübersehbar. Die Klimakrise ist das Ergebnis von falsch ausgegebenem Geld – und damit falscher Machtverteilung.

„Steuern sollten also dort erhoben werden, wo ein Entzug an Zahlungsfähigkeit am ehesten aus normativen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Gründen gerechtfertigt werden kann“, schreibt Sahr. „Ein naheliegendes Beispiel sind die gigantischen Vermögen der ‚Überreichen‘, deren ökonomischer Nutzen gegen Null tendiert.“

Die Maschine reparieren

Nur wird das wohl so bald in Deutschland und Europa nicht passieren. Zu fest steckt die „Ideologie des unpolitischen Geldes“ in den Köpfen der Politiker. Aber die Diskussion ist eröffnet. Und in der wissenschaftlichen Ökonomie schon lange. Den meisten Ökonomen ist sehr wohl bewusst, wie falsch unsere heutige Geldmaschine funktioniert und wie sehr das Märchen vom „gierigen Staat“ in den maßgeblichen Medien immer noch promotet wird.

Ob nun mit Absicht oder aus Unwissenheit, das ist dann egal. Obwohl es nicht egal ist, denn so unsichtbar ist ja die Rolle des Staates als eigentlicher Ressourcen-Bereitsteller der Ressource „Geld“ nicht. Oder eben der Infrastruktur „Geld“, wie Sahr es nennt. Eine Infrastruktur, die es bei den einen nur tröpfeln lässt, weil die Leitung kaputt ist, während bei anderen das Geld regelrecht aus der Leitung strömt.

Wenn dann Arbeitslosigkeit gar noch zum „Preis für Währungsstabilität“ erklärt wird, findet Aaron Sahr das nur noch zynisch.

Während das viel zu viele Geld in den Händen Weniger unheilvolle Folgen zeitigt, nämlich Blasen und Krisen produziert, zum Beispiel die immer neuen Immobilienkrisen: Der Kauf von Immobilien hat „mit dem Bau von Häusern immer weniger zu tun. Wir haben es hier also mit einer Produktion von Zahlungsfähigkeit zu tun, mit deren Hilfe vor allem Immobilien als Vermögenswerte gekauft wurden, d. h., um sie gewinnbringend wieder abzustoßen – nicht, um neue Häuser zu bauen.“

So hängen dann explodierende Immobilienpreise und Wohnungsnot aufs Engste zusammen.

Sahrs Angebot: „Die Bilanztheorie liefert damit eine mögliche Legitimationsgrundlage für eine nach geldpolitischen Erwägungen erfolgende Besteuerung, weil sie das tauschtheoretische Phantasma von Geld als einem privaten Werkzeug durch das Bild von Geld als einer gesellschaftlichen Infrastruktur ersetzt. Denn mit Steuern reißt der Staat nicht etwa als Raubritter seinen Bürgerinnen und Bürgern deren hart erarbeitete Werkzeuge aus der Hand, sondern fordert eigene Vorleistungen zur Regulierung einer Infrastrukturmaschine zurück.“

Ein Buch, das jeden interessieren dürfte, der wirklich wissen will, wie Geld funktioniert und warum es kein unpolitisches Geld gibt. Und warum sich die „Bereitstellung von Zahlungsfähigkeit“ in den letzten 40 Jahren derart vom Wirtschaftswachstum abkoppeln konnte und gigantische Vermögen anwachsen konnten, ohne dass dafür ein realer Produktivgewinn in der Realität entstand.

Über die Vorschläge, die Sahr macht, die Struktur „Geld“ tatsächlich wieder wie eine notwendige Infrastruktur für die Gemeinschaft zu handhaben, lohnt es sich nachzudenken. Denn darin steckt die eigentliche Frage, wer hier eigentlich für wen das Gemeinschaftsgut Zahlungsfähigkeit erzeugt und warum es der Gemeinschaft so wenig nützt.


pw-portal.de/schlaglichter 5-2020 Die monetäre Maschine – Eine Kritik der finanziellen Vernunft – Eine Kurzrezension von Florian Geisler

Die Frage, was Geld eigentlich ist, gehört zu den Kernthemen kritischer Perspektiven auf Geschichte und Gesellschaft. Die allermeisten Menschen hantieren täglich mit Geld, und alle haben ein intuitives Verständnis davon, wozu es nötig ist. Wo es aber wirklich herkommt und was es genau repräsentiert, darüber herrscht meistens allgemeine Unklarheit und Streit.

Aaron Sahrs Verdienst ist es nun, die Debatte über die Natur des Geldes wieder in den Vordergrund zu rücken. In Anlehnung an die vor allem aus den USA kommende Debatte zur „Modern Monetary Theory“ (24) – in deren Eckpunkte die Leser*innen zugleich eingeführt werden – breitet Sahr seine Auffassung vom „Geld als Infrastruktur“ (147) an und für sich aus. Gemeint sind dabei gerade nicht etwa die Banken, die einen Mechanismus für die Zahlungsabwicklung bereitstellen. Vielmehr stellt gerade das Geld selbst für Sahr bereits die Infrastruktur dar. Und „Infrastrukturen“, so Sahr, „[sind] nicht unschuldig“ (158).

So wie elektrischer Strom, als reine Ressource betrachtet, die durch Leitungen von A nach B fließt, nicht besonders spannend ist, sondern soziologisch vor allem durch die Formen von Vergesellschaftung interessant wird, die durch die prinzipielle Verfügbarkeit von Elektrizität erst möglich werden, zeigt sich der ganze Einfluss des Geldes nur dann, wenn es jenseits von reinen Verteilungsfragen betrachtet wird. Dann wird deutlich, dass Geldpolitik viel mehr sein kann, und muss, als Geldwertpolitik, die sich in der verbreiteten „Ideologie des unpolitischen Geldes“ (47) nur für Währungsstabilität interessiere. Stattdessen solle die „Geldschöpfungspolitik“ (325) in den Mittelpunkt gestellt werden.

Neben seiner Kritik an der substantialistischen Geldtheorie stellt Sahr seine eigene bilanztheoretische Perspektive vor. Auch marxistische Sichtweisen haben bereits vor der Finanzkrise auf dem „monetären“ Charakter des modernen Kapitalismus bestanden und darauf, dass der Geldwert nicht allein aus der Sphäre der Produktion erklärt werden kann, sondern auf die Zirkulation angewiesen ist. In dem Hinweis darauf, dass das reine Verrechnen von Arbeitszeitgutscheinen gegeneinander logisch nicht aufgeht und auch keine demokratischere Alternative zur Marktökonomie darstellt, lag die Hoffnung auf einer schlagkräftigeren Kritik des modernen Kapitalismus. Indem man den Kapitalismus als monetär begreift, beugt man romantischen Lösungen vor, die ein Zurück zu einer vermeintlich besseren Zeit der gebrauchswertorientierten, „schaffenden“ „Realwirtschaft“ beschwören.

Sahrs Buch lässt sich als ein Versuch verstehen, herauszufinden, wie weit dieser Gedanke getrieben werden kann, ohne selbst wiederum ins Absurde abzugleiten. Denn wenngleich es „bilanzsoziologisch“ (173) stimmen möge, dass ein Geldbetrag auf der einen Seite immer eine Schuld auf der anderen impliziert – also Schulden immer nur wieder mit Schulden bezahlt werden –, so werde sich doch „das Ausmaß an kreditwürdiger Nachfrage nach Schulden“ (206) für immer nur an der materiellen Sphäre der Güterproduktion messen lassen müssen. Eine wichtige Lektüre für alle, die sich kritisch mit der faktischen Trennung von Wirtschafts- und Geldpolitik in der Europäischen Union auseinandersetzen wollen.


amazon.de 2-2022 Ein bahnbrechendes Buch! – von Rüdiger Opelt

Seit Jahren spüre ich und kritisiere, dass die neoliberale Geldtheorie eine Bereicherungsmaschine zu Gunsten der Reichen und zum Nachteil der großen Mehrheit ist. Das wird in den Zahlenströmen der letzten 20 Jahren und in allen Krisen mehr als deutlich, denn der Effekt ist immer der gleiche. Auch in der Corona-Krise verdoppelten die Reichen ihren Besitz, während 190 Millionen Menschen in die Armut abstürzten. Diese Beobachtung wird von der klassischen Wirtschaftstheorie immer wieder süffisant abgeschmettert, weil Laien ja nichts von Wirtschaft verstünden. Anders dieses Buch, das die herrschende Theorie des neutralen Geldes, das entpolitisiert werden muss, als falsch und desaströs entlarvt. Die Theorie, dass der Geldwert erhalten werden muss und deswegen Staaten nicht einfach Geld schöpfen könnten, ist völlig veraltet und funktioniert seit 12 Jahren nicht mehr. Obwohl sich die Geldmenge verzehnfacht hat, kam es zu keiner Inflation, wie es die klassische Theorie vorhersagt. Da die Geldmenge entpolitisiert ist und sich jedem demokratischen Einfluss entzieht, wird die Struktur der Geldwirtschaft von wenigen Experten festgelegt, die entweder nicht wissen was sie da tun oder still und heimlich ihr eigenes Süppchen kochen, das keineswegs neutral ist, sondern denen dient, die schon viel Geld haben. Sahr baut auf den sozialpolitischen Wirtschaftstheorien von Thomas Piketty, Christian Felber und Stefan Schulmeister auf, die eine Rückkehr zur sozialen Verantwortung der Geldschöpfung fordern. Nur wenn Geld der sozialen Stabilität dient, ist Geldschöpfung nützlich, ansonsten gefährlich. In Sahrs „Bilanztheorie“ aus Geld, Geldwirtschaft und Geldpolitik legt letztere die gesellschaftliche Architektur und Infrastruktur fest. Je nach politischer Entscheidung entstehen dabei positive oder negative Auswirkungen auf Gemeinschaft, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Die Bilanztheorie sieht den Kern der Stabilität in der Einhaltung von Schuldverträgen zwischen ökonomischen Akteuren. Solange ein Unternehmen positiv bilanziert, also genug Geld (Haben) hat, um seine Schulden (Soll) bezahlen zu können, gilt es als gesund, wenn nicht, geht es in Konkurs. Stabilität entsteht in der voraussichtlichen Sicherheit, dass Außenstände bezahlt werden, sodass man auch seine eigenen Schulden bezahlen kann. Bricht dieser Kreislauf des Vertrauens zusammen, kommt es zu einer ökonomischen Depression. Diese globale Geld-Maschine aus Verträgen und Vertrauen ist als eine einzige Infrastruktur zu begreifen, vergleichbar der Strom-Infrastruktur, die immer im Gleichgewicht sein muss, damit das Stromnetz nicht in einem Blackout zusammenbricht. Wie beim Stromnetz besteht die Herausforderung darin, Geldangebot und Geldnachfrage immer in einem stabilen Gleichgewicht zu halten. Aus dieser Sicht sind Sparpolitik, Schuldenbremse etc. nicht die Rettung, sobald sie das Gleichgewicht durcheinanderbringen, wie es im Fall der Griechenland-Euro-Krise geschehen ist. Die Geldmaschine muss ein politisch gestelltes Anforderungsprofil erfüllen, das abhängig ist von den Zielen, die man erreichen will. Wenn das Ziel hinreichender Wohlstand für alle ist, werden die Stellschrauben der Geldmaschine dieses Ziel auch erreichen und dementsprechend eingestellt sein. Wenn das Ziel möglichst viel Reichtum für das Individuum ist, wird auch dieses Ziel erreicht und genau da stehen wir heute. Unzulässig ist es jedoch, das Ziel der Geldmaschine wenigen Experten zu überlassen, die dann tun was sie wollen; denn deren Ziel besteht meist darin, das eigene individuelle Einkommen zu steigern. Das führt in der Regel zu Korruption und asozialer Geldallokation.


zeitung.faz.net 5-2022 Die Soziologie der Bazooka – Der Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr untersucht die Folgen der Geldvermehrung. Wer sie verstehen will, muss den politischen Charakter des Geldes sehen. Von Wolfgang Krischke

Die „schwäbische Hausfrau“ war früher eine beliebte Figur der politischen Rhetorik. Sie steht für die Tugend der Sparsamkeit und des klugen Haushaltens, an der sich der Staat ein Beispiel nehmen soll. Genderpolitisch mittlerweile höchst unkorrekt, ist sie immer noch populär als Sinnbild für die Gleichsetzung privaten und staatlichen Handelns: Genau wie der einzelne Bürger, der die Steuern für den Staat erst einmal erwirtschaften muss, soll auch die öffentliche Hand nicht mehr ausgeben, als sie einnimmt, auf dass die „Schuldenbremse“ greife und die „schwarze Null“ erreicht werde. Politiker hingegen, die „die Notenpresse anwerfen“, erzeugen Inflation, weil sie die Balance zwischen der Geld- und der Gütermenge zerstören. Das zu verhindern und die Preisstabilität zu wahren gilt als die einzig legitime Aufgabe der Geldpolitik im schwäbischen Hausfrauenstaat.

Diese Spitzweg-Biederkeit wird allerdings durch ein anderes Sprachbild, das in den vergangenen Jahren in den öffentlichen Diskurs gelangte, empfindlich gestört. Es ist die martialische „Bazooka“, die die bescheidene „Geldspritze“ von einst abgelöst hat. Sie wird von den Regierungen der Eurozone unter dem Schlachtruf „Whatever it takes!“ medienwirksam gegen die jeweils virulenten Krisen, von den weltwirtschaftlichen Erschütterungen im Jahr 2008 bis zur Corona-Pandemie, in Stellung gebracht. Erst recht jetzt, angesichts des Ukrainekriegs mit seinen ganz unmetaphorischen Panzerfäusten, erweisen sich solche Interventionen als unentbehrlich. Erstaunlich im geldpolitischen Tugendstaat ist allerdings, dass die Milliarden immer wieder urplötzlich zur Verfügung stehen, ohne vorher angespart worden zu sein.

Widersprechende Perspektiven

Wen solche Widersprüche irritieren, den dürfte die Forschungsarbeit von Aaron Sahr interessieren. Der Wirtschaftssoziologe leitet im Hamburger Institut für Sozialforschung die Forschungsgruppe „Monetäre Souveränität“ und hat seine Gedanken zum Thema kürzlich in Buchform vorgelegt („Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft. C. H. Beck Verlag, 2022). Folgt man Sahr, gibt es zwei einander widersprechende Perspektiven auf das Geld. Die eine entspricht unserer alltäglichen Erfahrung beim Kaufen, Verkaufen, Überweisen und Sparen. Geld erscheint hier als Wertspeicher und neu­trales Tauschmittel. Mit seiner Hilfe kann man für den Wert dessen, was man selbst hergestellt, geleistet oder auch geerbt hat, Waren und Dienste von anderen erwerben. Wie viel Geld die einzelnen Bürger haben, unterscheidet sich zwar beträchtlich, aber jeder verfügt nur über eine begrenzte Menge davon, wie groß sein Reichtum auch sein mag.

Von diesem erwirtschafteten Geld wird über Steuern auch der Staat finanziert. Die Forderung, er solle nicht mehr ausgeben, als er in der Kasse hat, erscheint vor diesem Hintergrund durchaus plausibel. Nicht nur marktliberale, auch marxistische Theoretiker akzeptieren diese Prämissen. Uneinigkeit besteht nur darüber, wie hoch die Steuern sein und wofür sie verwendet werden sollen.

„Das grundsätzliche Problem dieser Sichtweise besteht darin, dass man hier die individuelle Perspektive gewissermaßen hochrechnet, um so die gesellschaftspolitische Funktionsweise von Geld zu erfassen. Dadurch gerät man auf eine völlig falsche Fährte“, meint Aaron Sahr. Aus einer privat und betriebswirtschaftlich sinnvollen Betrachtungsweise werde so eine Ideologie – die Ideologie des „unpolitischen Geldes“ als eines neutralen Mediums des Tausches.

Eine dynamische Verflechtung aus Forderungen und Schulden

Auf dieser falschen Fährte befand sich demnach auch Kant, auf den Sahrs Buchtitel selbstbewusst anspielt. Der Philosoph definierte Geld als „das allgemeine Mittel, den Fleiß der Menschen gegeneinander zu verkehren.“ Sahr hingegen sieht Geld nicht als ein Mittel, das man „hat“, sondern als eine soziale Struktur, eine dynamische Verflechtung aus Forderungen und Schulden, die sich permanent erneuert und auf Vertrauen und Verpflichtung gründet. Die Beträge, die man auf dem Girokonto hat, sind Forderungen gegenüber der Bank, die man dem Vermieter, Verkäufer oder Dienstleister durch das Bezahlen überträgt, womit man wiederum deren Forderungen – also die eigenen Schulden – begleicht. Das unablässige Ein- und Austragen von Schulden ist die Konstruktionsweise des Geldsystems, einer monetären Maschine, die die Käufer und Verkäufer mit den Geschäftsbanken und diese wiederum mit der Zentralbank verschaltet. Der „Schuldenberg“ des einen ist der „Vermögensberg“ des anderen.

Zumindest in Fachkreisen sind diese Erkenntnisse für sich genommen nicht neu. Sahr greift auf eine Reihe wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Arbeiten zurück, insbesondere auf die US-amerikanische Modern Monetary Theory. Deren Vertreter befürworten das „Gelddrucken“ als Mittel, Zahlungsschwierigkeiten der öffentlichen Hand zu überwinden. Diese Botschaft wurde auch außerhalb der akademischen Welt vernommen: Der republikanische Senator David Perdue verlangte vom US-Senat, die Modern Monetary Theory zu „verdammen“.

Kritik an der „Ideologie des unpolitischen Geldes“

Sahrs Ziel ist es, abseits solcher Auseinandersetzungen den gesellschaftlichen Charakter des Geldes deutlich zu machen, Missverständnisse über die Rolle von Schulden zu beseitigen und geldpolitischen Debatten eine rationalere Basis zu verleihen. Damit einher geht die Kritik an der „Ideologie des unpolitischen Geldes“ als eines neutralen Werkzeugs für den Betrieb von Marktwirtschaften. Die Wurzeln dieser Ideologie sieht er im neoliberalen Geist der Achtzigerjahre, der Freiheit vor allem als Abwesenheit des Staates definierte. Die finanzpolitischen Überzeugungen brachte Margaret Thatcher mit ihrem Diktum, es gebe kein öffentliches Geld, sondern nur das der Steuerzahler, auf den Punkt.

Damals wurden Kreditkontrollen abgebaut, die zuvor die Geldschöpfung durch Privatbanken zum Beispiel für die Immobilienfinanzierung begrenzt hatten, während andere Bereiche gefördert worden waren. Die Jahrzehnte vor der Deregulierung – immerhin eine wirtschaftlich und sozialpolitisch höchst erfolgreiche Phase in der Geschichte Westeuropas – gelten vielen Wirtschaftswissenschaftlern heute pauschal als ein dunkles Zeitalter „finanzieller Repression“. Seit dessen Ende haben „befreite“ Privatbanken die Geldmenge enorm vergrößert durch Kreditvergaben, die vor allem für den Handel mit Wertpapieren eingesetzt wurden. Was dadurch wuchs, war die Finanz-, nicht die Realwirtschaft. Gleichzeitig wurde die geldpolitische Rolle des Staates auf die Wahrung der Preisstabilität und die Sicherstellung der finanztechnischen Abläufe beschränkt. Dem wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Mainstream, der das als die quasinatürliche Ordnung der Dinge propagiert, wirft Sahr Geschichtsblindheit und Dogmatismus vor.

Kritik der monetären Vernunft

In der Realität der Eurozone wird hinter dem Rücken der schwäbischen Hausfrau allerdings längst schon politisch motivierte Geldschöpfung betrieben: Mit der Begründung, Deflation zu verhindern, kauft die EZB mit frisch erzeugtem Geld Investoren Anleihen ab. Auf diese Weise kommen die Bazooka-Milliarden zustande, allerdings auf Umwegen und in einer politisch und juristisch umstrittenen Weise.

Was spricht nun dagegen, staatliche Geldschöpfung offen und direkt einzusetzen, um zum Beispiel marode Infrastrukturen oder den Kampf gegen den Klimawandel zu finanzieren? Im Prinzip gar nichts, findet Sahr, ohne deshalb das Schuldenmachen als Patentlösung zu propagieren. Ist in seiner Kritik der monetären Vernunft auch eine Kritik des Kapitalismus angelegt? Auf diese Frage reagierte Sahr bei der Buchvorstellung in Hamburg zurückhaltend. Ihm geht es darum, erst einmal ein öffentliches Bewusstsein für den politischen Charakter des Geldes zu schaffen, sodass eine informierte Debatte überhaupt stattfinden kann. Darin sieht er einen ersten Schritt, um die Geldpolitik aus den kleinen Zirkeln heutiger Entscheider herauszuholen und zum Gegenstand einer demokratischen Willensbildung zu machen. Wie die konkret aussehen könnte, lässt Sahr allerdings offen. Die Gefahr, dass eine „Demokratisierung“ der monetären Maschine einen Staats- und Gremienapparat hervorbringt, der am Ende weder demokratischer noch effizienter als das bestehende System funktioniert, ist groß. Wie man ihr entgeht, lässt sich nicht durch Ideologiekritik beantworten.


shop.falter.at 3-2022 FALTER-REZENSION: Was die Welt regiert? Eine Geldmaschine! von Andreas Kremla

Unser Finanzsystem lässt sich als eine Sammlung verschiedenster Tauschwerkzeuge für Geld und Waren beschreiben. Oder, wenn man Aaron Sahr folgt: Es ließ sich so betrachten. Denn genau das sei nicht mehr möglich, meint der Wirtschaftssoziologe. Heute müsse man das Finanzsystem als Struktur verstehen, in der alle Bauteile, Geldbeträge und Bilanzen wie in einem komplexen Apparat zusammenwirken. Kurz gesagt: Geld ist eine Maschine.

Ausgangspunkt von Sahrs Überlegungen ist die „Modern Monetary Theory“, eine von den Nachfolgern John Maynard Keynes’ geprägte Geldtheorie. Sie sieht wesentliche Hebel für den Wert des Geldes nicht in den Mechanismen freier Märkte, sondern in der Verantwortung von Regierungen: In deren Macht liege es, mehr oder weniger Geld zu produzieren.

Diese Geldschöpfung hält Sahr für eine der zentralen Machtressourcen der Maschinerie. Gerade diese friste aber ein „Schattendasein“ in den stillen Kammern mächtiger Zentralbanken; abseits des Zugriffs durch gewählte Volksvertreter. Dass sich die Geldschöpfungs-Politik somit der demokratischen Steuerung entzieht, sieht Sahr als Sieg einer Ideologie, die das Geld entpolitisieren will. Das legt die Latte für sein Werk hoch: „Ziel dieses Buches ist (…) die Überwindung eines herrschenden Denkens, das unser Verständnis der monetären Welt verzerrt und damit unsere Wahrnehmung finanzieller Möglichkeiten und Abhängigkeiten verschleiert – eine Kritik der finanziellen Vernunft.“

Dazu liefert Sahr eindrucksvolle Zahlen: Obwohl das Wirtschaftswachstum zumindest in den OECD-Staaten seit Jahrzehnten moderat verläuft, ist das verfügbare Geldvolumen um ein Vielfaches gestiegen: Hundert Mal so viel Geld wie 1980 sei heute im Umlauf – während sich die Wirtschaftsleistung nur aufs etwa Zweieinhalbfache gesteigert habe.

Erfreuen sich nun alle größeren Wohlstands? Weit gefehlt! Gewonnen haben durch die wundersame Geldvermehrung laut Sahr einmal mehr jene, die Geld haben und es investieren können. Für Lohn- und Gehaltsempfänger ändere das wenig; für Menschen ohne Arbeit gar nichts. Im Gegenteil: Sozialleistungen für Ärmere würden unter dem Geldsegen der Reichen leiden – so wie die gesamte öffentliche Infrastruktur von Abfallwirtschaft über Klima-Investitionen bis zu Verkehrsausgaben. „Weltweit“, so Sahr, „fehlen 15 Billionen US-Dollar für notwendige Infrastrukturausgaben (bis 2040).“

Die Vorleistungen, die die Geld-Maschine für die Gesellschaft erbringt, seien ebenso als kritische Infrastruktur zu betrachten und entsprechend zu steuern – nicht auf kapitalistische Einzelinteressen, sondern aufs Gemeinwohl hin.

Sahr leitet die Forschungsgruppe „Monetäre Souveränität“ am Hamburger Institut für Sozialforschung. Schon in seinem Debüt „Das Versprechen des Geldes“ (Hamburger Edition, 2017) hat er eine soziologische Sicht des Geldes entwickelt. Die Welt-Geld-Maschine in all ihrer Komplexität darzustellen gelingt; ebenso überzeugt die daraus abgeleitete Forderung einer politischen Steuerung. Bloß auf Komplexitätsreduktion darf man hier nicht hoffen. Auch wenn der Autor sein Versprechen hält, dass das Werk ohne Vorkenntnisse in Mathematik oder Rechnungslegung lesbar sei, erfordert es doch gehörig Konzentration und starkes Interesse an wirtschaftspolitischen Zusammenhängen.

An der Grenze von Sachbuch und Fachbuch liefert Sahr eine scharfsinnige Analyse unseres weit über banale Tauschmittel hinausgewachsenen Geldapparats – und der Notwendigkeit, diesen im Sinne des Gemeinwohls zu steuern. Allerdings erschließt sich sein Buch wohl einer ähnlich kleinen Zielgruppe wie seinerzeit Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Zu wünschen bleibt, dass es ähnlich großen Einfluss auf unseren gesellschaftlichen Diskurs entfaltet.


mauricehoefgen.substack.com 2-2022 Mangel und Überfluss – Geld ist weder knapp noch unpolitisch! Eine exklusive Leseprobe aus dem Buch »Die monetäre Maschine« von Aaron Sahr. Maurice Höfgen


spiegel.de 2-2022 »Inflation klingt wie ein Naturgesetz – das ist sie nicht« Nutzt es Populisten, dass die Preise steigen? Ja, sagt der Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr – wenn die Politik falsch reagiert. Er erklärt, welche Schäden die Sparpolitik schon angerichtet hat und was jetzt zu tun ist. Ein Interview von Matthias Kaufmann


Aaron Sahr

Die monetäre Maschine – Darin geht es um basale Semantiken, die wirkmächtige Vorstellungen von Geld, Geldwirtschaft und Geldpolitik prägen, um die gesellschaftlichen Folgen ihrer ideologischen Verhärtung und deren Überwindung.” Aaron Sahr

chbeck.de 2-2022 Produktbeschreibung :

Marode Infrastrukturen, unterfinanzierte Sozial-und Gesundheitssysteme, pandemische und klimatische Notlagen: Der öffentlichen Hand mangeltes an Geld. Doch gleichzeitig scheint Geld im Überfluss vorhanden zu sein: Seit Jahrzehnten wachsen die Geldvorräte viel schneller als die Wirtschaft. Aaron Sahr zeigt in seinem Buch, wie wir von einer Ideologie beherrscht werden, die Geld zu einer unpolitischen Technologie verklären will – mit katastrophalen Folgen für Wohlstand, Stabilität und Gerechtigkeit. Es wird höchste Zeit, als demokratische Gemeinschaft monetäre Souveränität zurückzufordern und gemeinsam das Steuer der Geldmaschine zu übernehmen.

Seit Jahrzehnten wachsen die Geldvorräte viel schneller als die Wirtschaft. Trotz dieser eigendynamischen Expansion mangelt es an Mitteln für produktive Investitionen und öffentliche Güter, für den Ausbau digitaler und analoger Infrastrukturen, für die Vorbereitung auf den Klimawandel und die Überwindung ökonomischer und pandemischer Krisen. Könnte es sein, dass diese Zahlungsschwierigkeiten kein Schicksal sind, sondern auf einem eklatanten Missverständnis beruhen? Der Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr unterwirft unsere finanzielle Vernunft einer Kritik. Er zeigt, dass Geld keine unschuldige Technologie für den Betrieb von Märkten ist – eine Ideologie, die in der Unabhängigkeit der Zentralbank oder der Schuldenbremse zementiert wurde -, sondern eine politische Institution. Indem er Wirtschaft als legitimen Verschuldungszusammenhang begreift, kann er die Betriebsprobleme der monetären Maschine pointiert benennen: Vollständig privatisiert, produziert unser Geld Reichtum für wenige statt Wohlstand für alle, destabilisiert sich selbst und die ökologischen und sozialen Gefüge. Eine Vergesellschaftung der modernen Geldmaschine ist laut Sahr der einzige Ausweg aus den vielfältigen Krisen der Gegenwart.

Korrigiert fatale Missverständnisse über Geld und Geldschöpfung, Schulden, Inflation und Steuern Erklärt anschaulich, wie Geld und Wohlstand entkoppelt wurden – und was man dagegen tun kann Für alle Leser:innen von Thomas Piketty und Joseph Vogl

“Die Geldmenge wächst kontinuierlich, investiert wird trotzdem nicht. Woran liegt das? Vor allem an einem falschen Verständnis vom Wesen des Geldes, schreibt der Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr. Es sei kein unschuldiges Werkzeug – sondern eine politische Institution. Der einzige Ausweg aus den Krisen der Gegenwart: die Vergesellschaftung der Geldmaschine.”

InhaltsangabeEinleitung

Teil I: Die Ideologie unpolitischen Geldes
1. Das Tauschparadigma
2. Der Nexus von Geld und Politik
3. Gebende und nehmende Hände

Teil II: Weichenstellungen
4. Soll und Haben
5. Über Infrastrukturen

Teil III: Die Architektur modernen Geldes
6. Die monetäre Maschine
7. Zahlungsfähigkeit als kollektives Angebot

Teil IV: Hoheitsansprüche in Krisenzeiten
8. Zur Privatisierung monetärer Souveränität
9. Betriebsprobleme der Maschine
10. Geldpolitik als Infrastrukturpolitik

leseprobe Verlag Leseproben/Zitate GaiaGeld

researchgate.net/pdf Die_monetare_Maschine_Eine_Kritik_der_finanziellen_Vernunft_Munchen_CH_Beck

Veranstaltungen

idw-online.de/de/event 22.03.2022 Hamburg Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft – BÜCHER AM HIS – Mit Aaron Sahr und Wolfgang M. Schmitt

Pressestimmen

Die Geldmenge wächst kontinuierlich, investiert wird trotzdem nicht. Woran liegt das? Vor allem an einem falschen Verständnis vom Wesen des Geldes, schreibt der Wirtschaftssoziologe Aaron Sahr. Es sei kein unschuldiges Werkzeug – sondern eine politische Institution. Der einzige Ausweg aus den Krisen der Gegenwart: die Vergesellschaftung der Geldmaschine.“ ZEIT ZDF DLF Bestenliste März 2022, Platz 10

“Sahrs Buch liest sich bis zu einem gewissen Grad wie ein Krimi.” – Handelsblatt, Frank Wiebe

“So hört man von Crash-Propheten als auch von Crypto-Währung-Befürwortern nun häufig, dass sie das Finanzsystem erklären wollen. Eigentlich verklären sie es aber. Aaron Sahr hingegen sieht sich das Geldsystem vom Kern her an und zieht ganz andere Schlüsse.” – Wirtschaftsfragen, Lukas Scholle – podcast hier hören

“das Buch liest sich mitreißend wie Enthüllungsjournalismus (…) Die Maschine des Geldes, so viel ist nach der Lektüre dieser messerscharfen Analyse klar, braucht dringend ein neues Betriebssystem.” – GALORE, Daniel Monninger

“Aaron Sahr will nun der ökonomischen Zunft eine Art kopernikanische Wende bescheren. Er will das Geld und das Schuldenmachen aufwerten und verlangt vom Staat seine Politik daran gezielt auszurichten. Ein heikles Projekt, das Sahr gründlich angeht.” – Deutschlandfunk Andruck, Martin Huber

“eine scharfsinnige Analyse unseres weit über banale Tauschmittel hinausgewachsenen Geldapparats – und der Notwendigkeit, diesen im Sinne des Gemeinwohls zu steuern.“ – Buchkultur, Andreas Kremla

amazon.com 2-2022 Editorial Reviews for “Keystroke Capitlaism”

“Aaron Sahr’s book provides a highly accessible synthesis of the state of knowledge on modern money and how it affects the political economy. Readers learn about the nature of fiat money and fiat credit and their contribution the financialization of contemporary capitalism, the conflicts it generates, and the consequences for the state and public policy.” -Wolfgang Streeck

“Why and how did a company with a huge cash pile in the bank—Apple Inc—set out to borrow $17 billion in 2013? How did the world’s billionaire class accumulate $418 trillion US dollars—an amount five times world income—in the blink of an eye? The answers can be found in this admirably accessible book on the way the globalised, private financial system generates ‘keystroke wealth’ and ‘keystroke capital gains’—but also its nemesis—‘keystroke debt.’ A must-read for all those fretting about the likely next crisis in the evolution of financialised capitalism.” Ann Pettifor

Podcasts

podcasts.apple.com 2-2022 Die monetäre Maschine – mit Aaron Sahr

taz.de/dissenspodcast/2-2022 geld-fuer-die-sozial-oekologische-transformation-drucken-warum-nicht/

deutschlandfunk.de/podcast 7-2-2022 Aaron Sahr: „Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft“ – Martin Huber Buchbesprechung

wirtschaftsfragen.podigee.io/28-2-22-aaron-sahr-die-monetare-maschine-buch-interview

podcasts.nu/avsnitt 2022 Geld und Steuern neu denken: Aaron Sahr über die monetäre Maschine –

Wir müssen neu über Geld nachdenken: Wenn wir in ihm nur ein praktisches, weil universal einsetzbares Tauschmittel sehen, entpolitisieren wir das Geld – ganz im Sinne der neoliberalen Ideologie. Der Geldsoziologe Aaron Sahr erklärt in seinem neuen Buch „Die monetäre Maschine“, wieso wir das Geld eher als Infrastruktur bzw. Maschine begreifen sollten. Dies ist nicht bloß eine neue Metapher, sondern das Plädoyer für ein pragmatisches Verständnis, das nötige Investitionen ermöglicht und schädlichen Entwicklungen wie der Vermögenspreisinflation entgegentreten kann. Im neuen „Wohlstand für Alle“-Spezial sprechen Aaron Sahr und Wolfgang M. Schmitt über eine neue Geld- und Finanzpolitik.

youtube.com

youtube/futurehistories 2022 Aaron Sahr zu monetärer Souveränität und MMT Teil 1

Im Zuge wiederkehrender Finanz- und Wirtschaftskrisen stellt der Staat immer wieder gigantische Mengen an Geld zur Verfügung, um kapitalistisches Wirtschaften zu “retten”. Woher kommt dieses Geld und warum steht es für bestimmte Zwecke scheinbar unbegrenzt zur Verfügung und für andere nicht? Aaron Sahr leitet die Forschungsgruppe “Monetäre Souveränität” am Hamburger Institut für Sozialforschung und hat auf diese Fragen Antworten.

youtube.com

Nachwort


Zum Thema – Aaron Sahr

soziopolis.de 7-3-2022 Monetäre Kriegsführung – Artikel von Aaron Sahr

“Bei der Verwendung der Labels „Krieg“ oder „kriegerisch“ ist Vorsicht geboten, sollen sie für etwas anderes verwendet werden als zur Bezeichnung von Waffenfeuer.[1] Andererseits ist es auch keine Effekthascherei, wenn mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland und Belarus in der Presse von financial warfare oder, etwas eingeschränkter, von monetärer Kriegsführung gesprochen wird. Dass Geld zu Kriegsmaterial wird, ist keineswegs ungewöhnlich. „Geld ist meine wichtigste Munition“, soll der wegen der nach ihm benannten Affäre 2012 zurückgetretene US-Vier-Sterne-General David Petraeus gesagt haben, der führend an Invasion wie Besatzung des Irak beteiligt war.[2] Wie von der kanadischen Soziologin Emily Gilbert zu lernen ist, wird Geld gewissermaßen amtlich in militärischen Strategiehandbüchern als Munition klassifiziert. …”…



ubi.org 15-3-2022 Book Review by Geoff Crocker “Keystroke Capitalism: How Banks Create Money for the Few” by Aaron Sahr

“Aaron Sahr offers a rich discourse on the huge growth of financial markets in modern economies and the implication for inequality. We face a ‘trinity of growing private wealth, mounting debt, and rising inequality’ (p8). We need to understand ‘the process of financialization’ (p7). Profits earned in the burgeoning financial sector far exceed those in productive industry (p13). Consumer household debt has grown hugely (p18,36). The welfare state is increasingly funded by borrowing (p100). Trade in financial derivatives has seen a ‘meteoric rise’ (p27). Real wages and the labour share of GDP has declined (p30,36).

To explain this Sahr asks ‘how do banks create money?’ (p55). Having explained the history of ‘fractional reserve banking’ (p58), Sahr points out that commercial banks do not lend money from the savings deposits of their customer, or according to some multiple of their central bank reserves, but purely on the demonstrable ability of the lender to repay the loan (p65, 109). Commercial banks create money from thin air (p66-68). This is what Sahr calls a ‘para-economic privilege’ (p68). He then asks ‘who are the keystroke rentiers?’ (p78). He quotes Adair Turner that 85% of bank generated credit has been used to purchase existing assets (p80). This has caused huge asset price inflation. 80% of the increase in the value of housing from 1950 to 2012 has been in their land content. Companies like Apple have bought their own shares back to inflate share prices (p84). Commercial banks create money at zero marginal cost and then earn both interest and seigniorage (p90,92). …”…

…”What Sahr doesn’t examine is government money creation for debt-funded government expenditure. Orthodoxy insists that when central banks create money for government expenditure, they accept a corresponding debt in a double-entry accounting system…”…

gm/caw: Sahr does address “direct financing”, and would have UBI as one of those options that should be an explicit political one open to debate, a debate enlightened by the realisation UBI is not and would not be paid by taxpayers money. Instead UBI could,eg, be one route by which purchasing power is allocated, ie money (as debit or credit) is emitted into the economy.


soziopolis.de/geldschoepfungspolitik.html 2-2020 Friedo Karth, Carolin Müller, Aaron Sahr

Geldschöpfungspolitik – Missverständnisse und Missverhältnisse monetärer Souveränität in Europa (III)
Wie entsteht Zahlungsfähigkeit? Dass wir alle einen nicht unerheblichen Teil unserer begrenzten Zeit dafür aufwenden, Geld einzunehmen, um es später wieder auszugeben, ist bekannt. Auch Organisationen und sogar Staaten investieren beachtliche Mühen und Zeitkontingente darauf, ihre Zahlungsfähigkeit aufzubauen, zu verwalten und zu erneuern. Kein Wunder, schließlich sind Individuen ebenso wie Organisationen oder Kollektive darauf angewiesen, von anderen Ressourcen zu bekommen – seien es Rohstoffe, Arbeitskraft, Wohnraum oder Smartphones. Will man dabei nicht auf die Gutherzigkeit dieser anderen angewiesen sein oder den Vorbesitzern ihre Ressourcen durch Zwang abnehmen, wird man für die Güter zahlen müssen. Das funktioniert, weil die Anbieter der Ressourcen selbst wieder zahlungsfähig werden möchten. Geld ist als Zahlungsmittel allgemein akzeptiert und verdankt diesem Umstand seine Attraktivität.


ifs.uni-frankfurt.de/Aaron-Sahr.pdf 2019 – ANZAHLUNGEN. ZUR POLITISCHEN ANATOMIE EINER MODERNEN PRAXIS

Im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs hielt Beardsley Ruml, seines Zeichens Chairman der Federal Reserve Bank von New York, einen Vortrag mit dem provokanten Titel »Taxes for Revenue are Obsolete«, zu Deutsch: Steuereinnahmen sind überflüssig geworden. Dort argumentierte er, in modernen, d.h. stoffwertlosen Fiat-Geld-Systemen könnten Staaten ihre Ausgaben stets mit neu produziertem Geld bezahlen, anstatt es mit Steuern einnehmen zu müssen; die Zeit der Geldsorgen wäre vorbei. Der Staat als Geldschöpfer, das gilt dem Volksmund und der Sozialforschung häufig gleichermaßen als Zeichen einer Krise ökonomischer Vernunft. Die Zahlungsfähigkeit von Staaten ist von den ökonomischen Prozessen abhängig, soviel scheint doch gewiss. Schon Marx war klar: Monetärer Mehrwert entsteht durch die Produktion von Waren durch Arbeit (symbolisiert durch die berühmte Formel G – W –G‘) und nicht dadurch, dass einfach jemand mit neu gedrucktem Geld zahlt. Die bloße Idee klingt nach dem sprichwörtlichen »Anschmeißen der Notenpressen«, nach Staatskrisen und Bananenrepubliken.


youtube/urpe 2018 The Dynamics of Capitalism. Money and Financialization – Greta Krippner:The Power of Abstraction: Marx on Money and Credit

Aaron SahrCapitalismCreditEconomic SociologyfinancializationGreta KrippnerKarl MarxMarxMarxian EconomicsMarxismMoneyMoney & BankingSociology


idw-online.de/de/event 2016 VORTRAG Aaron Sahr: Ungleichheit im Keystroke-Kapitalismus. Über paraökonomische Bereicherung

Dritter Vortrag in der Reihe “Bausteine des Kapitalismus”, Oktober 2016 bis Februar 2017 im Hamburger Institut für Sozialforschung.
Konjunkturen und Krisen des Kapitalismus werden heute maßgeblich von privaten Banken bestimmt, die Kapital per Tastendruck (engl.: keystroke) aus dem Nichts erschaffen. Dieses Privileg macht die Banken zu paraökonomischen Akteuren. Sie müssen nicht mehr zunächst einnehmen, was sie anschließend ausgeben. Sie sind, anders gesagt, nicht mehr in einer Welt der Knappheit gefangen. Davon aber gehen viele Theorien des Kapitalismus immer noch stillschweigend aus. Der Vortrag arbeitet die strukturelle Gleichzeitigkeit von Ökonomischem und Nichtökonomischem im „Tastendruck-Kapitalismus“ der Gegenwart auf und zeigt, wie durch Kapitalschöpfung aus dem Nichts vor allem Wohlstand für einige Wenige entsteht. Dieser ungleiche Zugang zu Reichtum ist selbst durch wirtschaftsliberale Rechtfertigungsmuster kaum zu legitimieren.


source: https://www.soziopolis.de/die-vergesellschaftung-des-geldkraftwerks.html


Stefan Eich | Rezension | 21.03.2022 – Die Vergesellschaftung des Geldkraftwerks

Im langen Jahrzehnt seit der globalen Finanzkrise von 2008 haben sich die Debatten zur Geldtheorie und Geldpolitik tiefgreifend verändert. Wichtige rechtsgeschichtliche Studien brachten ein neues Verständnis des Geldes als Herrschaftsinstrument und verfassungsrechtliches Projekt in Umlauf gebracht.[1] Anthropologen deckten den vermeintlich vormonetären Tauschhandel als optische Täuschung auf.[2] Wirtschaftssoziologen befreiten Geld aus der engen Verflechtung mit den Märkten und entwarfen auf dieser Grundlage ein neues, versiertes Vokabular des Kreditgeldes.[3] Geld erscheint aus all diesen Perspektiven nicht mehr als rein ökonomisches Mittel des effizienten Tausches, sondern als eine kollektive Technologie der gesellschaftlichen Wertschöpfung.

Der politische Alltag hinkt diesem Debattenstand noch stark hinterher, gerade der deutsche Diskurs zu Haushalts- und Geldpolitik scheint von den oben genannten geldtheoretischen Entwicklungen nahezu vollständig abgekoppelt. Die alte Bundesbank, seit den 1970er-Jahren Speerspitze der ordoliberalen Gelddisziplinierung, befindet sich zunehmend auf einem einsamen Sonderweg. Während die Londoner Finanzpresse ein offenes Gespräch über Möglichkeiten monetärer Staatsfinanzierung führt und hochrangige amerikanische Kongressabgeordnete die Notenbanker der Federal Reserve mit Fragen zur Modern Monetary Theory (MMT) löchern, dominieren in Deutschland weiterhin die Unantastbarkeit der Schuldenbremse und Sorgen um den deutschen Sparer die Schlagzeilen und Talkshows. Die Inflation im Zuge der Pandemie dient vielen Kommentatoren zudem als rückversichernde Bestätigung ihrer langjährigen Kritik an der vermeintlich unverantwortlichen Politik des billigen Geldes der Europäischen Zentralbank (EZB).

In all diesen Diskussionen hat die globale Finanzkrise – zweckmäßig reduziert zu einer Moralgeschichte über die Gier von Bankern und die Exzesse des US-amerikanischen Kapitalismus – kaum einen Abdruck hinterlassen. Noch immer liegt der Schatten der späten 1990er-Jahre über den geldpolitischen Debatten der Berliner Republik. Diese Kluft zwischen den tektonischen Verschiebungen in der globalen geldpolitischen Debatte und der unbeirrbaren deutschen Perspektive liefert den produktiven Hintergrund für Aaron Sahrs wichtiges Buch zur Theorie des Geldes.

Die Politik der Geldschöpfung

Gegen die irreführende Auffassung von Geld als rein ökonomischem Tauschmittel entwickelt Sahr eine profunde Analyse der Geldschöpfung als „eine der wichtigsten Machtressourcen im Herzen des modernen Kapitalismus“ (S. 13). Wie Sahr richtigerweise betont, lässt sich die Politik der Geldschöpfung zudem nicht einfach auf distributive Fragen reduzieren. Verteilungskämpfe erfassen eine wichtige Dimension der Geldpolitik. Sie lenken aber gleichzeitig von der profunderen politischen Qualität des Geldes selber ab, ja verdecken diese Politik sogar oft.

Sahr verweist sachkundig auf die komplexen Geldschöpfungsprozesse, durch die das Geld nicht nur erwirtschaftet oder verteilt, sondern von Notenbanken und Banken überhaupt erst geschaffen wird. Ihre genuine gesellschaftliche Bedeutung entfaltet die Geldpolitik demnach auf der Ebene der Geldschöpfung selbst. Wer muss Geld erwirtschaften? Und wer darf Geld schaffen? Sahrs eleganter Beitrag liefert bestechende Antworten auf solche Fragen, indem er eine umfassende Artikulation der Erkenntnisse der Modern Monetary Theory im Gewand der Sozialtheorie präsentiert: soziologisch versierte MMT als Kritik der dominanten finanziellen Vernunft.

Warum ist diese Blickweise dem politischen Alltag so fremd? Warum befassen sich haushaltspolitische Debatten meist nur mit Steuereinnahmen und so gut wie gar nicht mit Fragen der Geldschöpfung? In Sahrs Narrativ resultiert die Ausblendung der Geldschöpfungspolitik aus dem ideologischen Siegeszug des Neoliberalismus, in dessen Folge das Geld entpolitisiert wurde. Die Verbreitung und Akzeptanz dieser Ideologie und Gesellschaftsformation stellt laut Sahr einen „Fehler mit gewaltigen Konsequenzen“ (ebd.) dar, den es nun, da er nicht mehr rückgängig zu machen ist, auf andere Weise zu überwinden gelte. Ein Ziel des Buches ist also klassische Ideologiekritik, die als „Überwindung eines herrschenden Denkens“ (ebd.) angelegt ist. Eine demokratischere Geldpolitik bedarf zunächst der Entmystifizierung des herrschenden Geldverständnisses. Nur so kann der der Bann der „Ideologie des unpolitischen Geldes“ (S. 34) gebrochen werden.

Was seine Diagnosen betrifft, tritt der Autor weitgehend in die Fußstapfen seiner US-amerikanischen Kollegen, die sich als Verfechter der Modern Monetary Theory als Protagonisten einer schlagkräftigen Entmystifizierung positionieren. Laut Stephanie Kelton besteht der wichtigste Schritt für eine neue, auf Vollbeschäftigung zielende Volkswirtschaft in der Entmystifizierung der Geldwirtschaft und vor allem der Geldschöpfung.[4] Sahr artikuliert die ideologiekritischen Argumente und die daraus erwachsenden Gegenvorschläge und Forderungen jedoch in einer neuen Sprache, entwirft eine Reihe innovativer Metaphern und entwickelt ein präzises Begriffsinstrumentarium, das sich bei bereits entwickelten Strängen der Sozialtheorie bedient, diese aber auch kreativ weiterentwickelt.

Vom Werkzeug zur Maschine

Um der Vorstellung des Geldes als eines bloß privaten Mittels des Wirtschaftens zu entkommen, bemüht Sahr eine vielschichtige Analogie von Geld und Maschine. Die neoliberale Theorie des unpolitischen Geldes beschreibt dieses als einfaches Werkzeug für indirekte, vermittelte Tauschvorgänge. Innerhalb dieses Diskurses darf durchaus gefragt werden, ob ein bestimmtes Werkzeug die erwartete Funktion erfüllt. Auch darf gefragt werden, wie viele Werkzeuge gebraucht werden sollten. Und es lässt sich fragen, wie diese Werkzeuge am besten an Akteure und für Problemlösungen verteilt werden sollten.

Doch all diese Fragen setzen unbedingt voraus, dass Geld als individuelles Werkzeug verstanden werden sollte und als solches primär erwirtschaftet werden muss. Sahr schreibt: „Nicht sein Funktionieren, sondern lediglich seine Verteilung kann sinnvoll politisch thematisiert und problematisiert werden, kann als Quelle und Ausdruck von Machtungleichheit und Parteilichkeit moniert und adressiert werden.“ (S. 10) Wie viele Werkzeuge können wir uns leisten? Und wie sollten diese verteilt werden? Das sind Grundfragen des neoliberalen Diskurses. Will man über sie hinausgelangen, sieht man sich schnell mit fundamentalen Fragen der Geldtheorie konfrontiert.

In Aaron Sahrs Metaphorik erscheint die herrschende neoliberale Ideologie des unpolitischen Geldes als veraltetes und fehlerbehaftetes Betriebssystem, das durch Updates alleine nicht mehr zu retten ist, sondern durch ein grundlegend neues Betriebssystem ersetzt werden muss.

Der reduktionistischen neoliberalen Sichtweise stellt Sahr eine Geldtheorie entgegen, die den politischen Prozess der Geldschöpfung ernst nimmt. Die titelgebende „monetäre Maschine“ kann demnach nicht auf eine bloße „Sammlung von Tauschwerkzeugen“ reduziert werden, sondern ist selbst eine komplexe, dynamisch verschaltete „Entität“ (S. 41). Das alternative Verständnis des Geldes als gesellschaftliche Technologie mündet in zwei interessante Bilder: Zum einen deutet die Metapher der monetären Maschine Geld zur komplexen Struktur der öffentlichen Versorgung um. Geld ist hier nicht einfach ein Mittel des effizienten privaten Tausches, sondern wird zum essenziellen Element der öffentlichen Infrastruktur. Diese gelungene Neuformulierung erscheint umso produktiver, wenn man sie ins Licht einer heruntergewirtschafteten deutschen Investitionspolitik setzt, die im Namen der finanziellen Nachhaltigkeit und auf der Basis eines neoliberalen Geldbegriffs enorme Unterinvestitionen zu verantworten hat. Die bröckelnde deutsche Infrastruktur verlangt ein Neudenken der öffentlichen Finanzen, in denen das Geld selbst als öffentliche Infrastruktur verstanden werden kann. Eine direkte Folge von Sahrs alternativem Verständnis des Geldes ist folglich die Umdeutung der Geldpolitik zur Infrastrukturpolitik.

Das zweite bemerkenswerte Bild ergibt sich daraus, dass Sahr verschiedene Geldtheorien und deren implizite geldpolitische Grundüberzeugungen als differente „Betriebssysteme“ beschreibt. Sie regulieren auf je unterschiedliche und teilweise inkompatible Art das „Zusammenwirken von Hard- und Software“ (S. 34) der monetären Maschine. In dieser Metaphorik erscheint die herrschende neoliberale Ideologie des unpolitischen Geldes als veraltetes und fehlerbehaftetes Betriebssystem, das durch Updates alleine nicht mehr zu retten ist, sondern durch ein grundlegend neues Betriebssystem ersetzt werden muss.

Was soll die Kritik der finanziellen Vernunft leisten?

Sahrs „Kritik der finanziellen Vernunft“ ist in vier Teile gegliedert, die den vier Funktionskreisen seiner monetären Maschine entsprechen. Das Buch öffnet mit einer detaillierten Auseinandersetzung mit der herrschenden Ideologie des unpolitischen Geldes auseinander, der derzeitigen Software. Der zweite Teil widmet sich der Logik der Bilanz und dem Begriff der Infrastruktur und schlägt damit eine Brücke zwischen der Ideologie des unpolitischen Geldes und den noch unausgeschöpften Möglichkeiten der monetären Maschine. Das dritte Hauptstück stellt der Ideologie des unpolitischen Geldes eine elegante Beschreibung der tatsächlichen Praxis zeitgenössischer Geldschöpfung entgegen. Der vierte und letzte Teil schließlich diskutiert die politischen Ansprüche an eine neu organisierte Steuerung der Maschine, die sich aus der zuvor geleisteten Diagnose und Kritik ergeben.

Titel und Untertitel von Sahrs Buch stehen in einem engeren Zusammenhang als üblich: Die (Ideologie-)Kritik der finanziellen Vernunft ebnet den Weg für eine bessere Nutzung der monetären Maschine. Doch was ist das genaue Verhältnis zwischen Ideologie und finanzieller Vernunft? Ist die Ideologie des unpolitischen Geldes eine Verzerrung unserer finanziellen Vernunft? Oder ist das Ziel einer Kritik der finanziellen Vernunft, die Ideologie als eine spezifische Art finanzieller Vernunft lesbar zu machen, um diese dann durch eine andere, bessere finanzielle Vernunft ersetzen zu können? Im letzten Kapitel entwickelt Sahr Argumente, die für eine solche bessere finanzielle Vernunft und einen „neuen Pragmatismus“ (S. 355–381) plädieren. Es gelte, den Kategorien des direkten wie indirekten Tausches und der Vorstellung des unpolitischen Geldes zu entkommen und stattdessen „in Bilanzen“ (S. 373) zu denken.

Aber lässt sich Ideologiekritik so ohne Weiteres mit dem Aufspielen eines neuen Betriebssystems vergleichen? Oder, um eine andere Analogie aus dem Buch zu bemühen: Ist Ideologiekritik wirklich nur die Wahl zwischen der blauen und roten Pille der Matrix? Zwischen Mythos und Wahrheit? Wird diese Zuspitzung dem komplexen Zusammenspiel von Wissen und Macht gerecht? Wo bleibt Raum für das konkrete politisch-demokratische Geschehen in dieser durch und durch technisierten Metaphorik, die von Maschinen und Betriebssystemen handelt?

Monetäre Betriebssysteme und neoliberaler Finanzkapitalismus

Die Vorstellung, dass wir schlicht ein anderes geldpolitisches Betriebssystem aufspielen könnten, scheint zunächst in der Tat aus mehreren Gründen fragwürdig. Gibt es denn wirklich keine materiellen oder intellektuellen Verknüpfungen zwischen dem real existierenden Kapitalismus und den verschiedenen Betriebssystemen? Ist die kapitalistische monetäre Maschine vielleicht nur mit bestimmten Anwendungen kompatibel? Ist die Rolle von Zentralbanken, gerade aufgrund ihrer engen Verflechtung mit dem Bankensystem, überhaupt mit annehmbarem Aufwand umzuprogrammieren? Oder brauchen wir eventuell nicht nur ein neues Betriebssystem, sondern die Bauanleitung für eine ganz neue monetäre Maschine? Und schließlich: Kann unser derzeitiges Politik- und Demokratieverständis mit den neuen Anforderungen einer offenen Politik der Geldschöpfung überhaupt umgehen?

Solche Skepsis gegenüber der vermeintlich freien Wahl unseres ideologischen Betriebssystems lässt sich auch im strengeren Sinn als textimmanente Fragen formulieren. Laut Sahr sollen wir uns von der Vorstellung des Geldes als Werkzeug verabschieden, weil das zuverlässige Funktionieren eines Werkzeugs eine technische Frage sei, deren Lösung an Ingenieure delegiert werden müsse. Aber muss für die riesige monetäre Maschine, die den komplexen Anforderungen einer neuen Geldtheorie Rechnung trägt, nicht noch viel mehr technisches Wissen unterstellt und akkumuliert werden? Wiederholt und mit Recht verweist Sahr auf die zentrale infrastrukturelle Rolle der monetären Maschine, doch wie genau kann eine derartige Maschine kollektiv betrieben werden, ohne dass wir erneut in die Abhängigkeiten von Ingenieuren geraten, vor denen uns Sahr am Anfang des Buches nachdrücklich warnt (S. 10)? Nicht ganz ohne Grund wird ja häufig das Bild einer autonom operierenden Maschine bemüht, um den Kapitalismus als ein hochkomplexes System zu beschreiben, das wir zwar geschaffen haben, das sich unserer vernunftgeleiteten Kontrolle aber weitgehend entzieht. Allzu oft stehen wir nicht souverän am Schaltpult der Maschine, sondern stecken fest zwischen den Zahnrädern des Kapitals.[5]

Ihren klarsten Ausdruck findet diese Sorge in Marx’ skeptischer Haltung zu Geldreformen, nicht zuletzt in seinem langwierigen Hadern mit Proudhon. Bei Sahr erscheint Marx hingegen in erster Linie als vermeintlich eindeutiger Verfechter der irreführenden Tauschtheorie, womit er mit der seinerzeit herrschenden Ideologie zumindest assoziiert, wenn nicht identifiziert wird (S. 42, S. 52–56).[6] Dafür lassen sich durchaus triftige textliche Gründe anführen, denn Marx’ Kritik der politischen Ökonomie richtete sich gegen die im neunzehnten Jahrhundert weit verbreitete sozialistische Vorstellung, dass eine bestimmte Veränderung des Geldsystems der kapitalistischen Ausbeutung alleine ein Ende bereiten könne. Man sollte dabei jedoch im Auge behalten, dass Marx’ Position zugleich  immer auch als komplexe Kritik von Geldvorstellungen der orthodoxen politischen Ökonomie gemeint war. Sahr ist sich dieser ironischen Ambivalenz durchaus bewusst, wenn er unter dem Banner der Kritik der finanziellen Vernunft sowohl mit Marx als auch mit Kant kokettiert, beide dann aber als Vertreter genau der orthodoxen Ideologie dargestellt, die es vehement zu kritisieren gilt.

Demokratie und Geldwesen

Die Wahl technischer Metaphern aus der Welt der Computer, Rechenmaschinen und Stromgewinnung hat gleichzeitig den Effekt, die dringend notwendige politische Debatte in eine bestimmte Richtung zu lenken. Was bedeutet eine Veränderung des Betriebssystems aus demokratietheoretischer Perspektive? In der Bildsprache der Betriebssysteme könnte man den fortwährenden Gesprächsbedarf der Demokratie als open source-Phänomen beschreiben. Andere demokratische und verfassungstheoretische Aspekte des Geldes sind auf diese Weise allerdings schwerer zu fassen. Sahr beschreibt Geld zwar auch als eine Art sozialer Beziehung, aber die ansonsten hilfreiche Metaphorik der öffentlichen Infrastrukturmaschine kann hier leicht den Blick auf alternative Analogien zu Sprache, Zeit, und Recht versperren. Geld ist nämlich nicht nur öffentliche Infrastruktur, sondern auch ein demokratisches Medium, das die Gegenwart mit der Zukunft verknüpft. Kann eine allzu technische Vorstellung des Geldes als Maschine die potenzielle Rolle des Geldes als Mittel des demokratischen Sprechens voll erfassen? Geht das Bild der monetären Infrastruktur mit einem zeittheoretischen Verlust einher?

In seiner Diskussion des politischen Potenzials einer neuen Theorie des Geldes im Schlusskapitel verweist Sahr selber auf die politische Komplexität der monetären Maschine. Gleichzeitig sollte die vermeintlich simple Forderung nach einem neuen geldtheoretischen Betriebssystem nicht dazu führen, dass wir die strukturellen Hürden und Beschränkungen eines neuen Betriebssystems übersehen. Wie Sahr selbst anmerkt, ist die staatliche Geldschöpfung in der Eurozone zum Beispiel ausdrücklich auf die supranationale Ebene der EZB verlagert. So lange Haushaltsdebatten im Rahmen der Nationalstaaten geführt werden, Geldpolitik aber auf europäischer Ebene gemacht wird, ist es somit kein Wunder, dass die deutsche Debatte diese selbstverschuldete Unmündigkeit der öffentlichen Finanzen widerspiegelt. In der Eurozone ist das derzeit dominierende monetäre Betriebssystem zudem mehr als nur Software. Durch den Vertrag von Maastricht sitzt die Idee des unpolitischen Geldes in Europa verfassungsrechtlich fest im Sattel. Eine Neuausrichtung der öffentlichen Debatte zur Geldpolitik ist daher zwar essenziell, für einen echten politischen und gesellschaftlichen Wandel aber bei weitem nicht ausreichend.

Geld ist politisch. Die Frage bleibt jedoch, welches Politikverständnis unsere Geldpolitik anleiten soll.

Sahrs geldtheoretische Ideologiekritik ist ein politisch wichtiges Buch, nicht nur weil es verspricht, deutsche Debatten zum öffentlichen Haushalten neu anzuregen, sondern gerade auch, weil es Anstöße für mutigeres Denken auf europäischer und globaler Ebene bereitstellt. Dazu kommt, dass Sahr die angestrebte sozialtheoretische Grundierung der Theorie des Geldes gelingt. Mit viel Elan und Erfindungsreichtum greift er in die reichhaltige Werkzeugkiste der Sozialtheorie und liefert wie nebenbei eine dringend benötigte deutschsprachige Einführung in den Maschinenraum der Modern Monetary Theory. Zudem ist stark davon auszugehen, dass seine Schlussplädoyers gegen die fortschreitende Privatisierung der öffentlichen Geldschöpfung und gegen die flächendeckende Einführung digitaler Privatwährungen in den nächsten Jahren nur noch weiter an Bedeutung gewinnen werden.

Geldpolitik nach dem Neoliberalismus?

Wir müssen der unpolitischen Vorstellung des Geldes entkommen, denn jeder Versuch der Entpolitisierung des Geldes ist eine Illusion. Geld ist politisch. Die Frage bleibt jedoch, welches Politikverständnis unsere Geldpolitik anleiten soll. Sahr bedauert, dass die neoliberale Entpolitisierung des Geldes von „Erfolg“ gekrönt war. Aber ist neoliberales Geld tatsächlich kohärent und erfolgreich entpolitisiert? Oder sollten wir die neoliberale Geldvorstellung nicht viel eher als ,erfolgreiches‘ Entdemokratisierungsprojekt verstehen? Wie dem auch sei, die Aufgabe liegt nun darin mit Kreativität das Demokratiepotenzial des kapitalistischen Geldsystems neu zu verorten – sowohl hinsichtlich der Rolle von Zentralbanken als auch der Konstitution des Bankensystems. Das ist keine einfache Angelegenheit und sie konfrontiert uns mit fundamentalen demokratietheoretischen Fragen: dem Zustand und der Handlungsfähigkeit der zeitgenössischen Demokratie, ihren materiellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, aber vor allem auch ihren Möglichkeiten und Beschränkungen im heutigen Finanzkapitalismus.

Solche offenen Fragen erwachsen ausdrücklich nicht aus Mängeln dieses mitreißenden Buches, sondern spiegeln stattdessen die inhärenten Schwierigkeiten jeder demokratischen Debatte zur Geldpolitik wider. Es handelt sich um unausweichliche Symptome unseres ungelösten geldpolitischen Dilemmas. Wie können wir über eine elementare politische Institution – das Geld – eine demokratische Kontrolle zurückgewinnen, die aber gleichzeitig auf immer komplizierteres technisches Wissen und immer stärker verflochtene komplexe Infrastruktur angewiesen ist? Wie gehen wir mit der Möglichkeit um, dass dieser Bedarf für technisches Wissen leicht dem demokratischen Prozess zuwiderläuft, noch dazu, wenn die handelnden Akteure das demokratische Potenzial ihrer eigenen Aufgabe zurückweisen und sich stattdessen lieber als Ingenieure sehen?

Nur wer den Bauplan unseres derzeitigen Geldsystems versteht, kann damit beginnen, Geld als öffentliche Infrastruktur neu zu gestalten. Und nur wer die irreführende Idee des unpolitischen Geldes kritisch verstanden hat, kann damit beginnen, ein demokratischeres Geldverständnis zu entwickeln. Sahrs beeindruckende Analyse der monetären Maschine und ihrer noch unausgeschöpften Möglichkeiten wird dafür Pflichtlektüre sein.

Fußnoten – Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Samir Sellami. Kategorien: Geld / Finanzen Gesellschaft Politische Ökonomie Wirtschaft

Stefan Eich

press.princeton amazon academia.edu ggpdf 5-2022 The Currency of Politics: The Political Theory of Money from Aristotle to Keynes by Stefan Eich


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