Zwickmühle Wachstum – Zwischen Zwang und Untergang?

GDP Growth Eco Crisis BIP Wachstum Untergang

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Die Autorin von Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung (2016) präsentiert jetzt Das Ende des Kapitalismus (2022) als zwangsläufige Schlussfolgerung aus den mit der Ökokrise verbundenen Handlungserfodernissen. Erfrischend unerschrocken bearbeitet Ulrike Herrmann in ihrem neuesten Buch die Konsequenzen der Klimakrise. Sich selbst korrigierend erklärt sie, warum im Rahmen eines auf das Wachstumsparadigma festgelegten Kapitalismus eine Lösung der mit der Klimakrise einhergehenden Probleme nicht gelingen kann.

2016 – 2022

Detailiert demontiert sie den Wunschglauben der Vertreter des grünen Wachstums. Eine Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch hält sie nicht für realisierbar. Stattdessen kommt sie zu der unbequemen Schlussfolgerung, dass es Klimaschutz ohne Verzicht nicht geben kann: BIP Wachstum und Klimaschutz sind nicht vereinbar.

Stattdessen plädiert sie für ein radikales Grünschrumpfen und positioniert sich so neu als eine Befürworterin von Degrowth. Mutig wagt sie es sogar, ein nachhaltiges Zukunftsmodell zu skizzieren. Hier dient ihr die britische Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg (die weit in die Nachkriegszeit hineinreichte) als historisches Modell für ein durch politische Regulierungen und Rationierung von Gütern organisiertes Grünschrumpfen, das zudem im Rahmen einer demokratischen Ordnung realisiert werden konnte.

Die Wahl der Planwirtschaft Churchills erscheint als leicht exzentrisch und womöglich exemplarisch für die ortho-ökonomistische Ausblendung fundamentaler geldpolitischer Realitäten. Denn dass sich das britische Rationierungsregime bis 1954 hinzog, ist nur begreifbar angesichts der besonderen währunspolitischen und fiskalischen Bedingungen der massiven Staatsverschuldung Grossbritanniens.

1946-2006

Das scheint für Herrmann kaum eine Rolle zu spielen und ist zugegebenermassen auch nur so relevant für ihre Argumentation wie jedes fiskalisch-monetäre Regime fundamental wichtig ist für die Struktuierung einer politischen Ökonomie.

Diese zentrale Relevanz des jeweiligen Geldsystems beachtet Herrmann allerdings leider nicht. Vom Potential einer die Einkommens- und Unternehmenssteuer ersetzenden ökologischen Produkt- und Transaktionssteur oder einer Nachhaltigkeit bewertenden Energiewährung ist bei Hermann nicht die Rede.Es ist anzunehmen dass sie sich vom Dogma der Geldneutralität noch nicht befreien konnte. So leidet ihre Darstellung des kapitalistischen Wachstumszwangs an der auch für heterodoxe Ökonomen typischen Unterbewertung der Zinsdynamik jenseits der Kreditdynamik. Als Geldforscher freut man sich zwar, dass eine Geldreformerin wie Margrit Kennedy ohne das übliche polemische Framing erwähnt wird (siehe z.B. H. Flassbeck zu J.Huber), ist aber enttäuscht, wenn unbegreiflicherweise behauptet wird, dass die Hervorhebung der Zinsen als Wachstumstreiber sich durch Verwechslung von Betriebs- und Volkswirtschaft disqualifiziert.

Was Herrmann’s Konzeptualisierung fehlt, ist die Anerkennung der zentralen Bedeutung des Geldschöpfungsmodus des bestehenden Geldsystems und die daraus folgende Notwendigkeit monetärer Umstruktuierung, die angemessene Beachtung der globalen sozialen Ungleichheitsstrukturen und schliesslich der Blick auf eine notwenige Redemokratisierung, die jedes Transformationsszenario erst mit der nötigen Legitimationsgrundlage ausstattet.

Fazit: Trotz geldpolitischer Mängel auf systematischer Ebene ist die Lektuere des Buches entschieden zu empfehlen.

Folgen Sie einfach dem Geld…



Das Buch

kiwi-verlag.de 2022 Das Ende des KapitalismusWarum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden – von Ulrike Herrmann

> BIP – Degrowth – Entkopplung – Grünes Wachstum – Kapitalismus – Kreislaufwirtschaft – Klimawandel – Klimakrise – Nachhaltigkeit – PostWachstum

Demokratie und Wohlstand, ein längeres Leben, mehr Gleichberechtigung und Bildung: Der Kapitalismus hat viel Positives bewirkt. Zugleich ruiniert er jedoch Klima und Umwelt, sodass die Menschheit nun existenziell gefährdet ist. »Grünes Wachstum« soll die Rettung sein, aber Wirtschaftsexpertin und Bestseller-Autorin Ulrike Herrmann hält dagegen: Verständlich und messerscharf erklärt sie in ihrem neuen Buch, warum wir stattdessen »grünes Schrumpfen« brauchen.

Die Klimakrise verschärft sich täglich, aber konkret ändert sich fast nichts. Die Treibhausgase nehmen ungebremst und dramatisch zu. Dieses Scheitern ist kein Zufall, denn die Klimakrise zielt ins Herz des Kapitalismus. Wohlstand und Wachstum sind nur möglich, wenn man Technik einsetzt und Energie nutzt. Leider wird die Ökoenergie aus Sonne und Wind aber niemals reichen, um weltweites Wachstum zu befeuern. Die Industrieländer müssen sich also vom Kapitalismus verabschieden und eine Kreislaufwirtschaft anstreben, in der nur noch verbraucht wird, was sich recyceln lässt.

Aber wie soll man sich dieses grüne Schrumpfen vorstellen. Das beste Modell ist ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft ab 1940.

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Ulrike Herrmann – Artikel, Podcasts, Videos

Ulrike-Herrmann taz.deUlrike Herrmann auf gaiageld

taz.de / gg/pictext 17-2-2023 Grünes Schrumpfen ist angesagt – Öko-Energie zu teuer – Eine neue Studie weist nach, dass „grünes Wachstum“ eine Illusion ist. Denn Öko-Energie, die unsere Technik antreibt, hat schlicht zu hohe Kosten – von Ulrike Herrmann

Klimaschutz scheint einfach: Man muss nur auf Ökoenergie setzen. Doch leider ist es nicht trivial, genug Ökoenergie zu mobilisieren. Energieexperten schätzen, dass Deutschland etwa 2.000 Terawattstunden (TWh) an Ökostrom benötigen würde, wenn „grünes Wachstum“ möglich sein soll. Das wäre rund 4-mal so viel Strom, wie Deutschland heute verwendet.

Diese Mengen kann die Bundesrepublik nicht komplett erzeugen. Selbst wenn so viele Solar­paneele und Windräder wie möglich installiert würden, kämen wohl nur 1.200 heimische Terawattstunden heraus. Die restlichen 800 TWh müssten importiert werden.

Wirtschaftsminister Robert Habeck ist daher kürzlich nach Namibia gereist, um dort ein Projekt anzustoßen, das 10 Milliarden Dollar kosten soll. Mit Sonne und Wind soll grüner Wasserstoff produziert und dann in Ammoniak umgewandelt werden. 2027 soll die erste Fuhre nach Deutschland gehen, um hier Dünger und andere Chemikalien klimaneutral herzustellen.

Die Idee hat Charme: Namibia ist mehr als doppelt so groß wie Deutschland, hat aber nur knapp 2,6 Millionen Einwohner – und damit viel Platz für Windräder und Solarpaneele. Zugleich würde auch Namibia Ökostrom erhalten, denn „eine Art von grünem Energie-Imperialismus“ schließt Habeck aus.

Bleibt die Frage: Wie teuer wird die gesamte Produktion? Es sagt wenig, dass ein Projekt 10 Mil­liar­den Dollar kosten soll. Um die Energiewende zu kalkulieren, ist wichtig, wie teuer die einzelnen grünen Energie-Einheiten im Vergleich zu den fossilen Varianten werden.

Lange gab es nur vage Schätzungen – bis im Dezember eine Studie erschien, die das Bundeswirtschaftsministerium gefördert hat. Gerechnet wurden Modelle für das nördliche Afrika und den Nahen Osten, wo die Bedingungen ähnlich günstig wie in Namibia sind: Die Sonne scheint fast immer, und in den Wüsten leben kaum Menschen, die sich an den Solarpaneelen oder Windrädern stören könnten.

Immerhin: Theoretisch ließe sich genug Strom erzeugen, um ganz Europa zu versorgen. Doch der Rest ist schwierig. Denn der Wüstenstrom lässt sich nicht einfach nach Norden transportieren, weil Stromleitungen zu teuer wären. Um aber per Schiff oder Pipeline nach Europa zu ­gelangen, muss der Strom umgewandelt werden – erst in grünen Wasserstoff und dann in synthetische Kraftstoffe oder andere Basisprodukte. Schon dabei geht eine Menge Energie verloren. Zudem lässt sich Wasserstoff nur erzeugen, wenn ­Süßwasser vorhanden ist, das aber in Wüsten bekanntlich fehlt.

Hohe Energiekosten – Also muss Meerwasser entsalzt werden, was erneut Energie kostet. Ein weiteres Problem: Um grünes Kerosin oder andere Energieträger zu erzeugen, wird Kohlenstoff benötigt. Klima­neutral ist dies jedoch nur, wenn dafür CO2 aus der Luft gefiltert wird, weil auch wieder CO2 entsteht, wenn grünes Kerosin verfeuert wird. Leider kostet es erneut viel Energie, CO2 aus der Luft zu holen.

Die neue Studie hat daher errechnet, dass ein Liter grünes Kerosin 2030 zwischen 1,92 und 2,65 Euro kosten dürfte. Bis 2050 sollen die Herstellungskosten auf 1,22 bis 1,65 Euro fallen. Diese Preise wirken zunächst nicht besonders teuer – schließlich müssen Fluggesellschaften momentan etwa 2,81 Dollar pro Gallone Kerosin zahlen, wobei eine Gallone 4,4 Litern entspricht. Das grüne Kerosin scheint also „nur“ 4-mal so teuer zu sein wie die fossile Variante.

Marktpreise und Herstellungskosten verwechselt – Doch dieser Vergleich führt in die Irre, weil Marktpreise mit Herstellungskosten verwechselt werden. Die Fluggesellschaften zahlen nicht nur für die Produktion des Kerosin, sondern finanzieren auch die enormen Gewinne der Ölstaaten – und die Spekulation an den Finanzmärkten. Das Öl selbst lässt sich relativ billig aus dem Boden holen. Im Nahen Osten liegen die Förderkosten bei etwa 10 Dollar pro Barrel (159 Liter), in den USA sind es rund 30 Dollar.

Natürlich ist auch ein bisschen Aufwand nötig, um das Rohöl zu Kerosin zu raffinieren – aber insgesamt dürfte die Herstellung von grünem Kerosin etwa 10- bis 40-mal so viel kosten wie die fossile Variante. Damit wird „grünes Wachstum“ zur Illusion.

Stattdessen ist „grünes Schrumpfen“ angesagt. Denn die Energie treibt die ganze Technik an, die unseren Wohlstand produziert. Wird Energie knapp und teuer, muss die Wirtschaftsleistung sinken. Viele Klimaretter wollen nicht wahrhaben, dass es auf „grünes Schrumpfen“ hinausläuft. Sie führen gern zwei Argumente an, die aber beide falsch sind. Erstens: Nur die Marktpreise würden zählen, nicht die Herstellungskosten. Denn das hiesige Geld sei futsch, sobald wir unsere Öl­importe zahlen. Deswegen sei grünes Kerosin „nur“ 4-mal so teurer.

Firmen müssten aufgeben – Dieses Argument krankt daran, dass so getan wird, als würde das Geld auf ewig in Saudi-Arabien verschwinden. Das Geld kehrt jedoch nach Europa zurück, weil die Saudis hier Urlaub machen, Immobilien erwerben oder Luxuskarossen kaufen. Es behindert die weltweite Wirtschafts­leistung kaum, wenn die Saudis ihr billiges Öl überteuert verkaufen. Beim grünen Kerosin hingegen fallen echte Kosten an: Es werden weitaus mehr Rohstoffe, mehr Arbeit und mehr Energie benötigt, um eine Energie-Einheit zu gewinnen.

Das zweite Argument lautet: Die fossilen Energien sind irgendwann genauso teuer wie die grünen Varianten, weil die CO2-Preise steigen. Doch damit wird kaschiert, dass die Unternehmen zusammenbrechen würden, wenn sie die echten Schäden des CO2 zahlen sollten – es sei denn, sie können zu billiger Ökoenergie wechseln. Wenn aber auch die Ökoenergie extrem teuer ist, müssen viele Firmen aufgeben. Es kommt zum „grünen Schrumpfen“.

Das Wirtschaftsministerium dürfte es noch nicht bemerkt haben: Es hat eine Studie finanziert, die zwischen den Zeilen nachweist, dass „grünes Wachstum“ eine Illusion ist.

taz.de/ 15-11-2022 Wachstum und Klimakrise – Illusion grünes Wachstum – Ökoenergie wird nicht reichen, um unser Wirtschaftsmodell zu erhalten. Verschwendung ist keine Option mehr. Eine Entgegnung auf Malte Kreutzfeldt. – von Ulrike-Herrmann

Die Energiewende ist angeblich ganz einfach. Man muss nur E-Autos bestellen, die Häuser dämmen und Wärmepumpen einbauen – und schon ist das Klima gerettet. So sieht es jedenfalls sinngemäß unser ehemaliger taz-Kollege Malte Kreutzfeldt, der daher glaubt, dass das „grüne Wachstum“ eine reale Option sei (taz vom 11. 11. 22).

Natürlich wäre es schön, wenn wir unser Leben nicht ändern müssten, sofern wir nur genug Windräder und Solarpaneele installieren. Doch leider ist es eine Illusion, dass der Ökostrom reichen könnte, um ewiges Wachstum zu befeuern.

Indirekt gibt Malte sogar selbst zu, dass er einem Traum anhängt. Denn es fällt auf, dass große Teile der Wirtschaft bei ihm fehlen. Er schreibt über E-Autos, aber nicht über Lkws, Schiffe oder Flugzeuge, die mit Batterien nicht zu betreiben sind. Sie würden synthetische Kraftstoffe benötigen, die nur mit enormen Mengen an Ökostrom herzustellen sind. Malte freut sich über Wärmepumpen, verschweigt aber, dass Neubauten künftig unterbleiben müssen, weil sie Flächen versiegeln und Zement große Mengen an Treibhausgasen erzeugt.

Auch zur Industrie sagt Malte nichts, als würden Waren ohne Energie entstehen. Nur die Stahl- und Chemiebranchen streift er kurz, ohne jedoch näher auszuführen, wie immens der Bedarf an Öko-Energie wäre: Allein die Chemieindustrie würde 685 Terawattstunden Strom im Jahr benötigen, wenn sie klimaneutral produzieren soll. Das ist weit mehr, als heute ganz Deutschland an Strom verbraucht.

Malte tut so, als würde die Wirtschaft nur aus Konsumenten bestehen, die sich Wärmepumpen und E-Autos anschaffen. Aber selbst dabei vereinfacht er. E-Autos tanken ja nicht einfach Strom, sondern benötigen große Batterien, die wiederum Energie und Rohstoffe fressen. E-Autos sind zwar klimaneutraler als Diesel- oder Benzinmotoren – aber nicht klimaneutral.

Beim Tunnelblick auf die Antriebsarten wird übersehen, wie ineffizient Autos grundsätzlich sind. Auch E-Autos wiegen ein bis zwei Tonnen und befördern im Durchschnitt nur 1,3 Insassen. Diese Verschwendung wird nicht möglich sein, wenn nur noch Öko-Energie zur Verfügung steht. Alle Klimastudien sind sich daher einig, dass die Zahl der Autos sinken muss. Während heute fast 50 Millionen Pkws durch die Bundesrepublik kurven, sollen es künftig maximal 30 Millionen sein. Dies wäre nicht das Ende der Mobilität. Man kann ja auch Bus fahren – oder sich ein Auto teilen.

Aber es wäre nicht mehr „grünes Wachstum“, sondern „grünes Schrumpfen“, wenn die Pkw-Flotte um 40 Prozent abnehmen soll. Viele Beschäftigte würden ihren Arbeitsplatz verlieren, denn derzeit sind hierzulande etwa 1,75 Millionen direkt oder indirekt für die Automobilindustrie tätig. Man kann die Frage auch anders stellen: Was soll aus Baden-Württemberg werden?

Nicht nur Wärmepumpen und E-Autos – Natürlich entstehen neue Arbeitsplätze, wenn die Wirtschaft klimaneutral werden soll. Windräder installieren sich nicht von selbst, und auch die ökologische Landwirtschaft benötigt mehr Menschen als der heutige industrielle Anbau, der mit seinen Riesenmaschinen den Boden zerstört. Aber diesen Gesamtumbau der Wirtschaft darf man nicht trivialisieren, indem man sich nur auf E-Autos und Wärmepumpen konzentriert.

Die Energiewende wird zudem erschwert, weil der Solarstrom im Winter weitgehend ausfällt. Auch beim Wind kann es zu Flauten kommen. Ein Blackout muss jedoch unbedingt vermieden werden: Eine Stunde Stromausfall kostet die deutsche Wirtschaft derzeit eine Milliarde Euro.

Die Energiewende kann daher nur funktionieren, wenn gigantische Mengen an Strom gespeichert werden, um im Winter und bei Flauten zur Verfügung zu stehen. Auch dieses Thema kommt bei Malte nur am Rande vor. Lapidar stellt er fest, dass Batterien billiger werden. Aber das macht sie noch nicht billig. IT-Milliardär Bill Gates hat kürzlich vorgerechnet, wie viele Speicher nötig wären, um Tokio auch nur drei Tage lang mit Energie zu versorgen: „Es wären über 14 Millionen Batterien. Das ist mehr Speicherkapazität, als die ganze Welt in einem Jahrzehnt herstellt. Kaufpreis: 400 Milliarden Dollar … Und das wären nur die Anschaffungskosten. Andere Ausgaben wie Installierung und Wartung wären noch gar nicht eingerechnet.“

Zudem eignen sich Batterien nur, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken. Die saisonalen Unterschiede zwischen Sommer und Winter lassen sich damit nicht ausgleichen. Daher wird an „grünem Wasserstoff“ geforscht, der im Sommer aus überschüssigem Solarstrom entstehen soll. Technisch ist Elektrolyse möglich, aber noch sehr teuer. Zudem geht unterwegs sehr viel Energie verloren, weil die Wirkungsgrade beim Wasserstoff so niedrig sind.

Die Energiewende wird also teuer, nicht billig. Um dieses Argument zu entkräften, stellt Malte fest, dass auch die fossilen Energien einen „plötzlichen Preisanstieg“ zu verzeichnen hätten. Es stimmt, dass der Ukrainekrieg vor allem das Gas verteuert hat. Trotzdem wäre es ein Fehlschluss zu glauben, dass die Energiewende damit „wirtschaftlicher“ würde. So seltsam es klingen mag: teuer ist nicht gleich teuer.

Es ist zwar richtig, dass Gas derzeit zu deutlich überhöhten Preisen gehandelt wird – aber an den eigentlichen Kosten für Förderung und Transport hat sich fast nichts geändert. Es wird vor allem das Einkommen neu verteilt. Gaskunden müssen jetzt mehr zahlen, während Gaslieferanten profitieren. Für die Gaskunden ist das sehr ärgerlich, aber der Kapitalismus wird davon nicht erschüttert.

Das ist bei der Klimawende völlig anders. Sie verursacht reale Kosten, die zudem sehr hoch sind, weil eine völlig neue und sehr aufwändige Infrastruktur entstehen muss. Ökostrom wird daher knapp bleiben, was „grünes Wachstum“ zur Illusion macht. Grüne Energie ist nicht „wirtschaftlich“, sondern die einzige Chance, um auf diesem Planeten zu überleben.

derstandard.de/ 9-2022 Vorabdruck Ist der Kapitalismus am Ende? Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann fordert in ihrem Buch “grünes Schrumpfen” statt “grünes Wachstum” und fragt in “Das Ende des Kapitalismus” wie wir leben wollen – von Ulrike Herrmann

Podcasts

art19.com/s 2-2023 Ulrike Herrmann – Kapitalismus und Klimaschutz – Peter und der Wald – ein GEO-Podcast

wohlstandfueralle.podigee.io/ 1 -2023 Ulrike Herrmann und die Kriegswirtschaft – Wolfgang M. Schmitt, Ole Nymoen

podcasts.apple.com 12-2022 Ulrike Herrmann – Wie können wir uns vom Kapitalismus befreien? – Hotel Matze

podcast.de/episode 12-2022 Ulrike Herrmann über das Ende des Kapitalismus – jung+naiv

Videos

Mehr Ulrike Herrmann Videos auf you-tube

Buchbesprechungen, Kritik, Rezensionen

amazon.de buecher.degoodreadslovelybooks.deperlentaucher.de/

makroskop.de 2-2023 Planen statt Schrumpfen – Ulrike Herrmann will mit radikalen Degrowth den Kapitalismus überwinden. Doch die Öko-Schocktherapie wird weder ökonomisch funktionieren noch das Klima retten – Von Karl-Martin Hentschel

xn--untergrund-blttle 2-2023 Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus – Rebranding des Kapitalismus

Das liberale Ende als autoritärer Anfang: Wenn linksliberale Wirtschaftsredakteurinnen über das Ende des Kapitalismus schreiben, dann meinen sie dessen autoritäre Formierung. Rezension

„Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten lässt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte lässt sich trefflich glauben,
Von einem Wort lässt sich kein Jota rauben.“

Mephisto in Goethes Faust, Der Tragödie erster Teil

Endlich! Nach all den langen Jahren, in denen Wertkritiker, einsamen Rufern in der Wüste gleich, den Selbstzerstörungsdrang des Kapitals thematisierten, vor dem Kollaps des Zivilisationsprozesses aufgrund der Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Klimaschutz warnten, scheint inzwischen auch der Mainstream der veröffentlichten Meinung das Thema aufzugreifen. Angesichts der manifesten Systemkrise, in der alle Ansätze zum Gesundbeten des Kapitals scheitern müssen, ist dies eigentlich kaum verwunderlich. Mag die opportunistisch verschalte „Linkspartei“, wo national-soziale und linksliberale Rackets um Hegemonie kämpfen, an ihrer dumpfen sozialen Demagogie festhalten, so hat doch immerhin Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der Tageszeitung taz, immerhin linksliberales Organ der Regierungspartei der Grünen, ein Buch vom „Ende des Kapitalismus“ geschrieben, in dessen Untertitel immerhin die Unvereinbarkeit von „Wachstum“ und Klimaschutz konstatiert wird.

Ist das nicht toll? Die jahrelang nicht zuletzt in der taz Herrmanns gründlich marginalisierte, radikale Krisentheorie scheint nun zum „Mainstream“ zu werden! Die ehemalige Keynesianerin Herrmann, die sich noch 2018 in ihrem Bestseller „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“ ums Verrecken nicht von ihrem geliebten Kapitalismus trennen wollte, wobei sie auch noch Karl Marx gründlich fehlinterpretierte, sieht nun keine Alternative zur Systemalternative. Herrmann scheint – im Gegensatz zu vielen erzkonservativen Linken, die immer noch im 19. Jahrhundert festsitzen – binnen weniger Jahre einen enormen Sinneswandel von einer Gesundbeterin des Kapitalismus zu einer Postkapitalistin vollzogen zu haben. Besser spät, als nie!

Was macht es schon, wenn etliche der zentralen Aussagen ihres neuen Buches den Eindruck erwecken, schlicht aus Texten der Wertkritik abgeschrieben worden zu sein, ohne dass eine Quellenangabe oder ein simpler Verweis darauf erfolgte, wo Herrmann ihre Weisheiten, wie die von der Zwangsläufigkeit des „Untergehens“ des Kapitalismus, plötzlich hernimmt? Etwa, wenn sie schreibt, dass es keine Alternative zum „Wachstumsverzicht“ gebe, weil sonst dieses später gewaltsam enden würde, da es die „Lebensgrundlagen zerstört“ habe.7 Das ist eine – zugegebenermassen recht schwammig formulierte – Wiedergabe einer zentralen These der Wertkritik.8 Desselbe gilt für die Feststellung des (ehemaligen?) Keynes-Fans, dass keynesianische Konjunkturprogramme zwar die Wirtschaft in Krisenzeiten ankurbeln, aber zugleich die Klimakrise buchstäblich anheizen.9

Im spätbürgerlichen Medien- und Politikbetrieb, wo Konkurrenz und Copyright heilig sind, gilt geistiger Diebstahl als ein schweres Vergehen; er wird von „Plagiatsjägern“ verfolgt und kann Karrieren von Politikern oder Journalisten beenden. Herrmann scheint sich schamlos aus dem Fundus der nicht zuletzt in ihrer Zeitung jahrelang systematisch marginalisierten, wertkritischen Krisentheorie zu bedienen, ohne dies anzugeben. Gemessen an den Massstäben ihrer liberalen Mittelschicht ist dies inakzeptabel, es kommt geistigem Diebstahl nahe.

Doch innerhalb der Linken, innerhalb fortschrittlicher, emanzipatorischer Kräfte gelten andere Regeln. Im Idealfall herrscht gewissermassen ein Open-Source-Ansatz. Hier sind Einsichten und theoretische Erkenntnisse Allgemeingut, das von allen Interessierten verbreitet und vor allem kritisiert, weiterentwickelt werden kann und soll. Erkenntnis ist ein in dialektischer Diskussion, im Streit gewonnener, kollektiver Prozess. Und Herrmanns Buch scheint ja – im Gegensatz zu den meisten geistigen Ausdünstungen der in offene Verwesung übergehenden „Linkspartei“ – auch einen zentralen progressiven Anspruch in der manifesten Systemkrise zu erfüllen: Die Überlebensnotwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus wird klar betont. Por la causa, der Sache wegen, gilt es zudem zu bedenken, dass Herrmann als ein Multiplikator fungiert. Sie kann bei ihren Medienauftritten, mit Rückendeckung grünennaher und liberaler Medien, Zehntausende oder gar Hunderttausende erreichen, und nicht hunderte oder – wenn es gut läuft – tausende von Menschen, wie es in der linken Szene nun mal üblich ist.

Wird also – angesichts der manifesten Systemkrise – der Kampf um eine postkapitalistische Zukunft endlich zum Mainstream? Oder, anders gefragt: Handelt es sich beim Buch von Herrmann um einen fortschrittlichen, progressiven Beitrag zur Krisendebatte? Erste, sachte Zweifel könnten ja bei dem überschwänglichen Lob aufkommen, mit dem Herrmann den Kapitalismus ob seiner angeblichen, bisherigen Verdienste (Demokratie! Wohlstand! Komfort!) überschüttet, bevor dessen ökologische Entwicklungsschranken thematisiert werden. Hierbei kommt offensichtlich die bornierte Perspektive der deutschen, weissen Mittelklasse zum Tragen, die souverän die katastrophalen Zustände in der Peripherie des Weltsystems und der Unterschicht der Zentren ausblendet.

Doch auch hier liesse sich noch argumentieren, dass mit dem Lob des Kapitalismus der notwendige Bruch gemildert werden soll, den die Mittelklasse selbst beim geistigen Abschied von ihrem goldenen kapitalistischen Gedankenkäfig erleiden würde. Schwieriger wird es hingegen, bei einer positiven Einschätzung ihrer Argumentation zu bleiben, wenn Herrmann anfängt, unter Bezugnahme auf die Parole „System Change, not Climate Change“ ganz konkrete Vorgaben für eine „alternative“ Wirtschaftsweise zu entwickeln – die verdächtig nach dem alten Staatskapitalismus der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts aussehen.

Die Wirtschaftsredakteurin der taz bezieht sich ganz konkret auf die Kriegswirtschaft Grossbritanniens, die als Vorbild einer postkapitalistischen Alternative dienen soll (Die Kriegswirtschaft der Nazis unterschied sich übrigens, mit Ausnahme der Zwangsarbeit in den letzten Kriegsjahren, in ihren Grundzügen kaum von dieser). Staatliche Planung, Rationierung und Konsumverzicht werden als Methoden aufgeführt, mit denen die Absenkung der Emissionen rasch erreicht werden müsste. Immerhin fordert Herrmann, dass jedem Bürger dasselbe CO2-Limit von einer Tonne pro Jahr zugewiesen wird, sodass sich Reiche weitaus stärker einschränken müssten als die Mittelschicht oder arme Menschen.

Flankiert wird dieses Plädoyer für einen Staatskapitalismus mit Ideen aus dem alternativ-ökologischen Umfeld der Grünen: der Degrowth-Bewegung, der Tauschwirtschaft, oder Gemeinwohlökonomie. Gemeinsame Warennutzung, Arbeitszeitverkürzung, bedingungsloses Grundeinkommen, berufliche Umorientierung werden in diesem Zusammenhang als flankierende Massnahmen einer staatlich geplanten „Überlebensökonomie“ genannt. Ein Staatskapitalismus mit grünem Anstich, sozusagen. Konsumverzicht bei staatlich organisierter Warenrationierung und gemeinsame Yogakurse – darauf scheint Herrmanns „Systemalternative“ hinauszulaufen, die nur deswegen als solche verkauft werden kann, weil die taz-Journalistin es tunlichst unterlässt, einen Begriff vom Kapital auszuarbeiten, wie selbst die Wochenzeitung „Freitag“ in ihrer Rezension des Buches bemerkte.11 Dass das Kapital ein Prozess uferloser Verwertung von Lohnarbeit in der Warenproduktion ist, eine die gesamte Gesellschaft nach seinem Ebenbild formende Totalität,12 hat Herrmann in ihrem vorherigen Buch zumindest noch bei der Auseinandersetzung mit Marx geahnt.13 Davon ist nur noch das regressive und nebulöse Gerede von „Wachstum“ übrig geblieben.

Es ist schlicht nicht klar, was Herrmann unter Kapitalismus versteht, sodass kapitalistische Institutionen, Prozesse oder Phänomene als postkapitalistisch verkauft werden können. Konsumverzicht, den Herrmann fordert, impliziert den weiterhin bestehenden Konsum, der ja nur Ausdruck der Warenproduktion ist. Konsum ist, im Gegensatz zur Bedürfnisbefriedigung, immer Warenkonsum, also Nebenprodukt der Jagd nach Höchstprofit. In einer postkapitalistischen Gesellschaft müssten die menschlichen Bedürfnisse aber gerade aus dem Zwangskorsett der Warenform befreit werden. Herrmann will also den Kapitalismus abschaffen und zugleich die „Elementarform“ (Marx) des Kapitals, die Ware als Träger des Werts, beibehalten. Eine im Postkapitalismus notwendige Befreiung der Bedürfnisse von dem Konsumzwang der Warenform könnte aber gerade massiv Ressourcen einsparen, ohne als „Konsumverzicht“ wahrgenommen zu werden.

Ach ja, das Privateigentum an Produktionsmitteln soll bei der Überwindung des Kapitalismus in der „Demokratischen Privaten Planwirtschaft“ (So Herrmann über den britischen Kriegskapitalismus) offensichtlich beibehalten bleiben. Dieser postkapitalistische Etikettenschwindel, den Herrmann betreibt, gilt aber vor allem für den Staat, der kein Gegenprinzip zu Markt und Kapital ist, sondern, in seiner Eigenschaft als „ideeller Gesamtkapitalist“ (Marx/Engels), notwendiger Pol kapitalistischer Gesellschaften, um als Korrekturinstanz das Funktionieren des Gesamtsystems zu gewährleisten. Der Staat war auch historisch Geburtshelfer des Kapitals, vermittels der Monetarisierung feudaler Abgaben in der Feuerwaffenökonomie (Robert Kurz) des Absolutismus, und er ist aufgrund der Steuern abhängig vom Verwertungsprozess des Kapitals.14 Ohne ausreichende Kapitalverwertung gibt es keinen Staat – und umgekehrt. Deswegen zerfielen in den Krisenschüben der vergangenen Dekaden viele Staaten der Peripherie reihenweise zu den berüchtigten „failed states“, weil in ihnen die ökonomische Krise des Kapitals so weit gediehen ist, dass selbst die Staatsapparate verwilderten.

In ihrem mittelschichtskompatiblen Staatsfetisch ist die taz-Autorin somit wieder ganz Keynesianerin. Spätestens an diesem Punkt rächt es sich, dass Herrmann nur die ökologische Seite des Krisenprozesses des Kapitals von der Wertkritik abschrieb, ohne dessen ökonomische Dimension adäquat wahrzunehmen. Die gegenwärtige Systemkrise ist kein blosses Reenactment der Durchsetzungskrise (Robert Kurz) der 30er und 40er, als mit der totalen Kriegsmobilisierung der Fordismus als neues Akkumulationsregime seinen Durchbruch erfuhr. Es gibt keine Aussicht auf ein neues Akkumulationsregime, weshalb die staatlichen Erosionstendenzen auch in den Zentren zunehmend um sich greifen: In Deutschland in Gestalt der rechten Netzwerke und Rackets, die immer selbstbewusster agieren (die taz berichtete etwa über die Putschplanungen von Uniter & Co.) – und denen Herrmann nun die Kontrolle über die gesamtgesellschaftliche Reproduktion anvertrauen will. Staatskapitalismus ist auch vielfach schon jetzt schnöde Krisenrealität: etwa in China, in Gestalt der russischen Staatsoligarchie, oder selbst in Ägypten, wo das ägyptische Militär eine „Kriegswirtschaft“ ohne Krieg aufbaut.17 Staatliche Expansion und Erosion des Staats gehen oftmals Hand in Hand.18

Offensichtlich würde Herrmann Unterstellungen empört zurückweisen, wonach Russland oder Ägypten für sie Vorbildcharakter hätten. Doch das ist – ähnlich den staatlichen Nazinetzwerken in der BRD – die raue Krisenrealität, und nicht das keynesianische Idealbild des unparteiischen regulierenden Staates. Auch der kapitalistische Staat wird von der sozioökologischen Krise des Kapitals erfasst. Und zugleich ist es ein üblicher, aus den obigen Ausführungen ersichtlicher kapitalistischer Krisenreflex, dass die Rolle des Staates in Krisenzeiten zunimmt. Der autoritäre und „verrohende“ Staat wird im weiteren Krisenverlauf eine grössere Rolle spielen. Und deshalb müssen Herrmanns Ausführungen als Ideologie, als Rechtfertigung bezeichnet werden. Sie liefert die Rechtfertigung der kommenden Ära autoritärer staatlicher Krisenverwaltung in der kapitalistischen Systemkrise, die inzwischen nicht nur die Peripherie verwüstet, sondern auch die Zentren voll erfasst. Die Angst der deutschen Mittelklasse vor der Krise dürfte dieser autoritären Flucht in die Arme des scheinbar starken Staates massenhaften Zulauf verschaffen – von dem höchstwahrscheinlich die deutsche Rechte profitieren wird (AfD ist schon jetzt im Aufwind).

Diese Rechtfertigung vollzieht sich vermittels der Entkernung des Begriffs des Kapitalismus, der zu einer blossen Worthülse verkommt, die beliebig mit Inhalten gefüllt werden kann. Es ist eine der Werbebranche entlehnte Strategie, wo man es sich angewöhnt hat, Wörter nach Belieben mit Inhalten zu füllen: Da der Kapitalismus aufgrund seiner ökonomischen und ökologischen Dauerkrise in Verruf geraten ist, muss seiner Krisenform ein neues Label, ein neues Etikett verpasst werden: die kapitalistische Krisenverwaltung, die Herrmann propagiert, sei nicht mehr Kapitalismus, so das zentrale Ideologem der taz-Redakteurin. Deswegen liefert Herrmann auch keine Definition des Kapitals, wie der Freitag monierte, sie muss im Vagen bleiben, damit dieser ideologische Taschenspielertrick verfangen kann.

Akteurinnen aus der Partei der Grünen, der Partei des Sozialkahlschlags der Agenda 2010 und völkerrechtswidriger Angriffskriege, sind somit führend bei der Ideologieproduktion in der Klimakrise: Die jahrelang erfolgreich propagierte Schimäre eines „grünen Kapitalismus“ weicht nun der blossen Umetikettierung drohender autoritärer Krisenverwaltung zu Postkapitalismus. Hier kommt eine mephistophelische Verschlagenheit zu Ausdruck, mit der Ideologie auf eine neue Stufe gehoben wird: es ist ein mit Worthülsen operierendes Rebranding des Kapitalismus, der aufgrund seiner Dauerkrise inzwischen doch einen sehr schlechten Ruf geniesst.

Und deswegen ist es auch legitim, sich darüber zu empören, dass Herrmann, hier ganz das bürgerliche Konkurrenzsubjekt, nahezu geistigen Diebstahl begeht, zentrale Erkenntnisse der Wertkritik aus ihrem theoretischen Kontext herauslöst und verzerrt in ihre staatskapitalistische Ideologie einbaut. Diese Vorgehensweise ist aber charakteristisch für dieses rasch verrohende Mittelschichts-Milieu in seiner rücksichtslosen Krisenkonkurrenz, das dann auch an seinen eigenen Copyright-Massstäben gemessen werden muss.

Abschliessend gilt es noch zu bemerken, dass dieser spätkeynesianische Staatsfetisch auch in seiner idealisierten, von der Realität weitgehend entkoppelten Version nichts mit Emanzipation zu tun hat, wenn hierunter die Überwindung des kapitalistischen Fetischismus und seines absurden, in den sozioökologischen Kollaps treibenden Sachzwangregimes verstanden werden soll. Emanzipation ist kein von „Gutmenschen“ betriebenes „hohles Gerede“, sondern die notwendige, bewusste Gestaltung des Reproduktionsprozesses in einem durchaus konfliktträchtigen, egalitären gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Und diese Befreiung der Demokratie aus den fetischistischen Fesseln des Kapitals wäre letztendlich effizienter als jede zwangsläufig ins Autoritäre tendierende Staatswirtschaft, wie ein Blick auf die Geschichte der DDR oder der Sowjetunion zeigt. Dabei wäre eine möglichst effiziente gesellschaftliche Reproduktion, von der kapitalistischen Irrationalität uferloser Wertverwertung befreit, gerade angesichts der eskalierenden Klimakrise bitter nötig.

swr.de 1-2023 Ulrike Herrmann – Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden – Buchkritik von Günter Kaindlstorfer

handelsblatt.de 11-2022 Warum es kein Ende des Kapitalismus gibt – Kapitalismus hat den Wohlstand gebracht, gleichzeitig ruiniert er die Umwelt. Die Hoffnung auf einen Systemwechsel fasziniert, ist aber vergeblich und führt in die Irre. – Von Frank Wiebe

„Das Ende des Kapitalismus“, so der Titel des neuen Buchs von Ulrike Herrmann, haben schon viele vorausgesagt. Ein gewisser Karl Marx zum Beispiel, der diese Prognose aus seiner Mehrwert-Theorie ableitete, mit der er im „Kapital“ den kapitalistischen Prozess erklärt und dabei die Rolle des Kapitals völlig ausgeklammert hat. Wir kennen das Ergebnis: Die Arbeiter haben sich letztlich für den Kapitalismus entschieden, wenn sie gefragt wurden.

Ideen, ihn abzuschaffen, gab es ebenfalls schon häufig, zum Beispiel 2019 in „Konsequenzen des Kapitalismus“ von Noam Chomsky und Mary Waterstone. Dort findet sich der Vorschlag, die Betriebe von den Arbeitern verwalten zu lassen. Eine Idee, deren Schwächen im alten Jugoslawien bereits ausgiebig empirisch nachgewiesen wurden; auf Dauer hat der nicht funktionierende Kapitalmarkt zu einem nicht funktionierenden Arbeitsmarkt geführt.

Kapitalismusfeindliche Parolen klingen manchmal auch bei Demonstrationen von „Fridays for Future“ an; das kann man jungen Leuten nicht verübeln, die in diesem System aufgewachsen sind und die Erfahrung machen, dass das Klima einfach immer weiter beschädigt wird. Aber wer sich länger mit dem Thema beschäftigt, sollte klarer sehen.

Kapitalismus heißt einfach: Kapital kann dort eingesetzt werden, wo es gebraucht wird. Es heißt auch: Reichtum wird weniger in Luxus verschwendet und dafür mehr produktiv eingesetzt. Beides zusammen hat sich bewährt, vor allem in Zusammenhang mit dem Sozialstaat europäischer Prägung.

Bei näherer Analyse aber gibt es daher weder Grund, das Ende des Kapitalismus herbeizusehnen, noch die Aussicht, dass er sich von allein erledigt. Trotzdem fasziniert der Gedanke offenbar immer noch, warum sonst würde er immer wieder aufgegriffen? Ein Autor wie der Historiker Werner Plumpe, der 2019 unter der Überschrift „Das kalte Herz“ eine umfangreiche und recht apologetische Geschichte des Kapitalismus veröffentlicht hat, tut sich schwerer: Kritik am System klingt immer noch intellektueller als Kritik an einer systemkritischen, aber letztlich fehlgeleiteten Ideologie.

Kapitalismus zu sehr auf Wachstum fixiert – Hermann hat eine vorgezogene Grabrede auf den Kapitalismus geschrieben und das mit dem Anspruch verbunden, zur Lösung der Klimakrise beizutragen. Ein Gedanke, der wahrscheinlich unwiderlegbar ist, solange der Kapitalismus immer weiter existiert und der Klimawandel ebenfalls weitergeht, was allerdings nicht heißt, dass das eine die Konsequenz des anderen ist.

Dabei geht die Autorin zunächst sehr geschickt vor. Sie räumt ein, dass der Kapitalismus für viel Wohlstand gesorgt hat. Sie distanziert sich auch von allzu naiven Degrowth-Ideen, nach denen man einfach das Wachstum abwürgen muss, damit automatisch das Klima weniger geschädigt wird. Dabei vertritt sie aber auch die Meinung, der Kapitalismus sei zu sehr auf Wachstum fixiert und könne daher nicht in ökologisch vertretbare Bahnen gelenkt werden – womit sie Degrowth dann doch wieder recht gibt.

Am Ende kommt sie mit einer Idee, die grotesker kaum sein könnte: Das heutige Wirtschaftssystem sollte nach dem Muster der britischen Kriegswirtschaft umgemodelt werden. Grotesk aus mehreren Gründen:

Einmal haben die Briten den Kapitalismus gar nicht abgeschafft, sondern nur vorübergehend stark in ihn eingegriffen, sodass die „Lösung“ des Klimaproblems nicht zur These des Buchs passt.

Zweitens herrscht heute eben kein Krieg, der in der Regel zeitlich begrenzt und stark auf die Nation bezogen stattfindet, während der Klimawandel eine langwierige internationale Krise ist. Herrmann räumt das ein, zieht aber nicht die Konsequenz daraus.

Drittens glaubt sie, Planwirtschaft habe in der Vergangenheit nicht funktioniert, weil Betriebe verstaatlicht wurden, und übersieht dabei, dass Märkte genau die Steuerungsfunktion übernehmen, die sie ihnen entreißen und der Regierung übertragen will.

Und viertens: Welche Partei, die mit dem Anspruch antritt, künftig Unternehmen und Bürgern vorzuschreiben, was sie zu verbrauchen haben, würde es über die Fünfprozenthürde schaffen?

Warum werden ausgerechnet die Briten als Vorbild genannt, schließlich haben die Nazis ganz ähnliche Kriegswirtschaft betrieben? Weil Großbritannien so den Beweis liefern soll, dass Kommandowirtschaft auch in einer Demokratie und nicht nur in einer (Öko-)Diktatur möglich ist. Aber hätten die Briten ohne den Druck des Kriegs der Regierung so viel Spielraum gelassen? Wohl kaum.

Und in Deutschland kann man sich ja ohne schwierigste Verhandlung nicht einmal darauf einigen, ob Öko-Benzin sinnvoll ist oder ob ein Atomkraftwerk drei Monate länger laufen darf. Wie soll da eine Wirtschaft funktionieren, bei der der Staat die Unternehmen zwar nicht besitzt, aber ihnen „nur“ vorschreibt, was sie zu produzieren haben?

Wer sich mit ökologisch bewegten Linken unterhält, kann feststellen, dass es zwei Lager gibt. Einmal solche, die tatsächlich glauben, man muss das gesamte System ändern, um die Welt zu retten. Die scheinen ein hoffnungsvolles Lesepublikum abzugeben.

Dann gibt es aber auch viele, die den Kapitalismus nicht mögen, aber einräumen, dass man mit der Bekämpfung des Klimawandels nicht warten kann, bis das System verschwunden oder durch etwas Besseres ersetzt ist. Mit dieser zweiten Kategorie können auch überzeugte Marktwirtschaftler in der Umweltpolitik recht pragmatisch zusammenarbeiten. Mit der ersten Kategorie nicht.

Hermann und ebenso die Degrowth-Anhänger haben ja recht, dass noch viel mehr passieren muss, um den Klimawandel zu bekämpfen. Ihre Skepsis, dass sich die Wirtschaft auf „Grün“ umstellen lässt, ohne dass es jemandem wehtut, ist durchaus realistisch. Die Behauptung, dass man über Preise, wie Marktwirtschaftler es fordern, den Ressourcenverbrauch nicht einschränken kann, ist schon weniger überzeugend.

Herrmann schreibt, dass sich die meisten Autofahrer auch hohe Spritpreise leisten können. Aber vielleicht sind sie dann einfach nicht hoch genug, und vielleicht gibt es zu wenige gute Alternativen zum Auto. Richtig ist, dass es neben den Preissignalen auch direkte Einschränkungen geben kann und muss.

Ein Beispiel ist dafür die Kommunalpolitik, die großen Einfluss darauf hat, wo und wie viele Autos auf den Straßen fahren können – aber auch auf die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs. Reiht sich ein in ein Schema, das es eigentlich bekämpfen möchte.

Ein Ende des Kapitalismus wird es aus zwei Gründen nicht geben
Einmal, weil es keine brauchbare Alternative gibt, und eine Kriegswirtschaft mit staatlicher Ressourcenverteilung ist eben nur für den Krieg brauchbar. Der zweite Grund ist aber fast noch wichtiger. Wir sehen jetzt schon, wie schwierig es ist, eine konsequente Klimapolitik durchzusetzen, weil es fast immer auch Verlierer dabei gibt.

Um wie viel schwieriger wäre es, gleich das System abzuschaffen, das, wie Herrmann zugibt, ja eine Menge Wohlstand schafft? Auch die Idee, dass der Kapitalismus von allein stirbt, wenn die Klimakrise noch härter zuschlägt, führt nicht sehr weit. Vor allem – was für eine Konsequenz sollte daraus heute folgen?

In Wahrheit ist es sehr bürgerlich-bequem, über das Ende des Kapitalismus zu philosophieren, statt sich für eine bessere Klimapolitik einzusetzen. Wenn das System unweigerlich in die Hölle führt, braucht man sich keine Gedanken zu machen, was hier und im heutigen politischen und gesellschaftlichen Rahmen zu tun wäre.

Damit reiht sich das Buch ein in ein Schema, das es eigentlich bekämpfen möchte: Ersatzhandlungen für Politik zu finden und sich damit zu begnügen. Wir fliegen dann mit Ökokerosin durch die Gegend, fahren Ökoautos, essen Ökobananen und investieren in Ökofonds, beziehen Ökostrom und lesen Ökobücher.

Aber der Verbrauch an Primärenergie steigt weiter, wird immer noch nicht nachhaltig gedeckt, und letztlich ändert sich nichts, weil wir alles Einschneidende verschieben, bis wir eine wählbare Alternative zum Kapitalismus gefunden haben.

Tatsächlich sind die politischen Optionen, innerhalb der bestehenden Ordnung den Klimawandel zu bekämpfen, zwar längst bekannt, aber noch lange nicht ausgeschöpft. Was helfen könnte, wäre daher eine konsequente Politik, etwa in den Bereichen Verkehr, Energiegewinnung, Immobiliensanierung. Was fehlt, ist der Wille dazu. So einfach ist das – und so schwer.

spectrum.de 11-2022 Abschied vom Wachstum Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann erklärt, warum Klimaschutz nur möglich ist, wenn wir den Kapitalismus abschaffen. An Konkretisierung fehlt es leider stellenweise. von Peggy Freede

Seit seiner Erfindung vor etwa 250 Jahren hat der Kapitalismus eine steile Karriere hinter sich. Diese Ära könnte aber schon bald zu Ende sein. Denn obwohl der Kapitalismus für Wachstum und materiellen Wohlstand sorgte, hat er eine vernichtende Schwäche: Ständiges Wachsen ist zwingend, damit das System stabil bleibt. Die Folgen davon erleben wir weltweit – mittlerweile auch in Deutschland, wo Bäume sterben, Wälder brennen und Wasser knapp wird.

»Der Kapitalismus folgt der Logik einer Krebszelle«, schreibt die Journalistin Ulrike Herrmann. »Er muss unaufhörlich wachsen und zerstört damit erst seine Umwelt und dann sich selbst.« Trotzdem hielten die meisten Politiker, Klimaforscher und Wirtschaftswissenschaftler an einer Idee fest, die Ökonomie und Ökologie zu versöhnen scheint: grünes Wachstum. Dieses Konzept will das Wirtschaftssystem nicht anfassen, sondern lediglich die Technik ändern. Statt fossile Energie zu verbrennen, soll sie vor allem Wind und Sonne nutzen.»Leider stellt eine lange Liste von technischen Möglichkeiten noch keine reale Lösung dar«, meint die Autorin. Für sie ist klar, dass es eine Energiewende geben muss. Allerdings lasse sich mit der heutigen Technik nicht genug billige Ökoenergie gewinnen, um grünes Wachstum zu befeuern, wie sie anschaulich und im Detail erklärt. Weil die Klimakrise aber mit der Technik bewältigt werden müsse, die jetzt vorhanden ist, lautet ihr Fazit: Grünes Wachstum gibt es nicht.

Stattdessen sollten wir auf »grünes Schrumpfen« vorbereitet sein. Weil grüne Energie knapp und teuer bleibe, müssten manche Branchen deutlich schrumpfen oder wären gänzlich überflüssig. Vor allem die Luftfahrt, Banken, Versicherungen, Autofirmen und Teile der Chemieindustrie hätten keine große Zukunft. Arbeit gäbe es aber auch in Zukunft genug – vor allem in der ökologischen Landwirtschaft und in den Wäldern, wo die Folgen des Klimawandels zu lindern seien.

Brücken in die Zukunft – Ulrike Herrmann, die Geschichte und Philosophie studiert hat und gelernte Bankkauffrau ist, warnt jedoch vor einem chaotischen Schrumpfen. Die Wirtschaftskrise ab 1929 habe gezeigt, wie gefährlich es ist, wenn Menschen Arbeit, Einkommen, Hoffnung und Perspektive verlieren. Sie neigen dazu, populistische Führer zu wählen – wie 1933 in Deutschland, als Hitler an die Macht kam.

Bisher fehle ein Weg, aus einem ständig wachsenden Kapitalismus auszusteigen, ohne dabei eine schwere Wirtschaftskrise zu verursachen. Die Autorin schlägt vor, dass die britische Kriegswirtschaft (1939 bis 1954) Modell stehen sollte für den Übergang in eine ökologische Kreislaufwirtschaft. In der soll nur noch so viel produziert werden, wie sich recyceln lässt. Innerhalb weniger Wochen und ohne Unternehmen zu verstaatlichen, hätten die Briten damals begonnen, die Produktion und Verteilung der Waren zu steuern. Dadurch wurden alle Bürger ausreichend und gerecht versorgt, so die Autorin.

Private Planwirtschaft und Rationierung sollen also die Brücke vom Kapitalismus in die Zukunft bauen. Wie das genau funktionieren soll, erklärt Herrmann leider nicht. Fraglich ist, ob sich diese Idee tatsächlich in die Praxis umsetzen ließe. Denn die Situation der Briten damals war eine andere, als wir sie heute erleben – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Immerhin erinnert ihr Vorschlag aber daran, dass jetzt eigentlich die Volkswirte gefragt wären, entsprechende Konzepte zu entwickeln.

Untergang des Kapitalismus – Der Journalistin gelingt es, komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge nicht nur leicht verständlich, sondern auch unterhaltsam zu erklären. Anders als man vielleicht von einer Wirtschaftskorrespondentin der »taz« erwarten würde, ist sie keine Kapitalismuskritikerin. Im Gegenteil: Sie findet, der Kapitalismus war sehr segensreich. Umso interessanter ist es, dass ausgerechnet sie nicht nur mit dem Mythos vom grünen Wachstum aufräumt, sondern sogar dafür plädiert, den Kapitalismus gänzlich abzuschaffen.

»Die Industrieländer stehen vor einer Alternative, die eigentlich keine ist.« Entweder sie würden freiwillig auf das Wachstum verzichten oder das Wachstum ende später gewaltsam, weil die Lebensgrundlagen zerstört sein werden. In jedem Fall werde der Kapitalismus untergehen und eine neue Wirtschaftsordnung entstehen, konstatiert Ulrike Herrmann. »Künftig bestimmt die Natur, wie viel Wachstum möglich ist – und nicht das Wachstum, was von der Natur übrig bleibt.«

Dieses Resümee dürfte für viele Menschen keine frohe Botschaft sein. Angesichts der Datenlage ist es aber ein realistischer Blick in unsere Zukunft. Insgesamt ist der Publizistin wieder ein klug analysiertes Buch gelungen, das sich vermutlich in die Reihe ihrer vorangegangenen Bestseller einordnen wird.

wienerzeitung.at/ 11-2022 Das Ende des Kapitalismus? – Um Welt und Klima zu retten, müssen wir die freie Marktwirtschaft abschaffen, behauptet ein Bestseller allen Ernstes. Rezension von Christian Ortner

forum-csr.net 11-2022 Ist der Kapitalismus am Ende? Eine aktuelle Buchrezension von Bernd Schleich

Um es gleich voranzustellen: “Das Ende des Kapitalismus”, von Ulrike Herrmann ist keine Kampfschrift für die Abschaffung des Kapitalismus. Es ist eher ein Klagelied, ein Ausdruck des Bedauerns, dass es der Kapitalismus nicht schaffen kann, die Klimakrise und verwandte andere Transformationskrisen zu bewältigen.

Und, wie es Klagelieder so an sich haben, gibt es am Ende keinen Hoffnungsschimmer, kein “Pack-an”, wie es vielleicht innerhalb des erfolgreichsten Wirtschafts- und Gesellschaftssystems der gesamten Menschheitsgeschichte (U. Herrmann) dennoch gelingen könnte, den Klimawandel mit all seinen katastrophalen Folgen zu beherrschen.

Die Kernaussage der Autorin – Klimaschutz ist nur möglich, wenn wir den Kapitalismus abschaffen. Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. Aber wenn die grüne Energie reichen soll, bleibt nur “grünes Schrumpfen”. Flugreisen und private Autos sind nicht mehr möglich. Banken werden weitgehend überflüssig. Der Wohnungsbau wird eingestellt. Aber der Rückbau des Kapitalismus muss geordnet vonstattengehen, sonst führt er zu Chaos, Massenarbeitslosigkeit und einem sozialen Aufstand. Zum Glück gibt es aber einen Weg aus dieser Sackgasse: die Briten haben ein Modell entwickelt, von dem sich lernen lässt: die britische Kriegswirtschaft ab 1939. Die nächste Etappe wird eine “Überlebenswirtschaft” sein, geprägt von einem “grünen Schrumpfen”.

Die Segnungen des Kapitalismus -Auf den ersten 50 Seiten blitzt die Wirtschaftshistorikerin durch. In ihrer gewohnt nüchternen Geradeheraus-Sprache nimmt uns Ulrike Herrmann in den ersten Kapiteln mit auf eine Zeitreise zu den Anfängen des Kapitalismus. Überzeugend zeichnet sie nach, wie der Kapitalismus nach und nach alle Fesseln seiner Entfaltung von sich geworfen hat und seine irrsinnige Dynamik entwickeln konnte.

Und sie legt damit das Fundament für ihre zentrale Botschaft. Der Kapitalismus war überaus segensreich in vielerlei Hinsicht: er hat zu großem Wohlstand geführt (zumindest für die happy few in den reichen Industrieländern); er hat für offene Bildungs- und Gesundheitssysteme gesorgt (ibid.); er hat die Grundlage für die westlichen Demokratien gelegt. Aber all das hat er nur geschafft, weil er auf einer einzigen, nicht ersetzbaren und auch nicht veränderbaren Kraftquelle aufbaut: dem ständigen wirtschaftlichen Wachstum. Dieses Wachstum ist aber wiederum die Wurzel allen ökologischen Übels, mit dem wir uns beschäftigen, insbesondere der Klimakrise. Klimaschutz lässt sich mithin nicht innerhalb des kapitalistischen Systems realisieren, auch nicht innerhalb eines reformierten, gebändigten, ökologisch ausgerichteten oder “what ever” Kapitalismus. Klar, radikal und “alternativlos”, ist nach Ansicht der Autorin der Weg zu einer Lösung innerhalb des Systems verbaut. Man wird ihn vergeblich in dem Buch suchen. Nahezu genüsslich führt Ulrike Herrmann die Ansätze und ihre Protagonisten vor, die von einer ökosozialen Marktwirtschaft, einem “green growth” oder Ähnlichem träumen. Ralf Fücks und Anton Hofreiter an erster Stelle. Denn auch der noch so richtige Ausbau der Wind- und Solarenergie, das Umsteuern auf Elektromobilität, ein ökologisch ausgerichteter Wohnungsbau, eine alternative Landwirtschaft, sie alle werden notwendig scheitern, wenn sie zu Wachstum führen. Zumindest, wenn sie zu einem solch rasanten Wachstum führen, wie es eigentlich nötig wäre, um die umweltschädlichen Technologien in allen Bereichen durch umweltverträgliche zu ersetzen.

Die kapitalistische Wachstumslogik hat ausgedient – Die Lösung der großen, globalen Probleme werden laut Herrmann scheitern müssen, wenn wir sie Wege innerhalb der kapitalistischen Wachstumslogik suchen. Das Kapitel, das sich dem globalen Süden widmet, ist mit einer atemberaubenden Nonchalance geschrieben, denn für den globalen Süden würde es zunehmend schwer, die Industriestaaten einzuholen. Europa und die USA könnten nichts dafür, dass sie sich zuerst industrialisiert haben und es den Nachzüglern im globalen Süden so schwerfällt, aufzuholen.

Hier melde ich Widerspruch an: Sind denn 50 Jahre entwicklungspolitischer Diskurs an Ulrike Herrmann vorbeigegangen? Müssen wir uns jetzt wieder mit den Mythen einer „nachholenden Entwicklung” auseinandersetzen, wie sie die Modernisierungstheoretiker der siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts propagiert haben?

Fast zynisch klingt der Satz, es sei ein weitverbreiteter Denkfehler zu glauben, dass der globale Süden nur in Bildung investieren müsse, damit es anschließend zu einer breiten Industrialisierung kommt.

Stimmt. Deswegen muss man nicht in Bildung investieren. Aber man muss in Bildung investieren – und zwar massiv – damit die Menschen überhaupt eine Chance zu gesellschaftlicher Teilhabe haben und ihr Selbstbestimmungsrecht darüber ausüben können, wie Entwicklung in ihrem Land oder Kontinent aussehen soll. Das ist nicht zwingend Industrialisierung, das ist nicht zwingend Überwindung des technologischen Gaps zwischen globalem Süden und globalem Norden. Und das ist nicht zwingend eine nachholende kapitalistische Entwicklung. Sondern das ist die Wahrnehmung eines Selbstbestimmungsrechts auf den eigenen Weg gesellschaftlicher Entwicklung.

Auf dem Weg zur Planwirtschaft? – Was aber ist nun die Lösung? Wie kommt man zu einem “grünen Schrumpfen”? Wie erreicht man geordnet eine Überlebenswirtschaft, die Klima und Demokratie gleichzeitig rettet? Indem man den Kapitalismus fesselt, ihn seiner Energiequelle beraubt und Wachstum in “Schrumpftum” umkehrt. Eine private Planwirtschaft nach dem Vorbild der britischen Kriegswirtschaft ab 1939. Der Staat gab vor, was, wieviel und sogar wie produziert wurde, aber die Unternehmen blieben im Eigentum ihrer Besitzer. Lebensmittel wurden rationiert, aber nicht alle. Kartoffeln, Mehl und Brot gab es weiterhin frei zu kaufen. Pro Kopf und Tag wurden 2800 Kalorien festgesetzt. Alles, um die ökonomischen Kapazitäten für den Auf- und Ausbau der Rüstungsindustrie freizusetzen.

“Der Konsum fiel damals um ein Drittel – und zwar in kürzester Zeit. Dieser enorme Rück- und Umbau macht die britische Kriegswirtschaft zu einem faszinierenden Modell für heute: Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll”, schreibt Herrmann auf Seite 241) Das heißt für sie: die deutsche Wirtschaft muss um 30 Prozent schrumpfen. Und zwar in kürzester Zeit, damit die verbindlich festgelegten Klimaziele Deutschlands erreichbar bleiben: bis 2030 Treibhausgasreduktion um 55 Prozent, bis 2040 um 70 Prozent, bis 2050 weitgehend klimaneutral.

Hier melde ich Widerspruch an: Es ist richtig, dass in Deutschland sehr viel konsequenter, von mir aus radikaler, über den politischen Prozess hin zur Klimaneutralität 2050 gestritten und gerungen werden muss. Es ist richtig, dass viele Ideen eines „grünen Wachstums” notwendig verpuffen müssen, weil das “immer mehr und immer weiter, nur klimaneutral” in die falsche Richtung führt. Aber wie wäre es, wenn man sich stärker mit den klugen Analysen zum Beispiel eines Wolfgang Sachs und seiner Forderung nach einem “frugalen Wohlstand” auseinandersetzen würde, als eine autoritäre Planwirtschaft zu propagieren, die einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig ist. “Klimaschutz auf Lebensmittelkarten” – nein danke. Ulrike Herrmann hat ein mutiges und faszinierendes Buch geschrieben, was man unbedingt lesen sollte: auch, um zu wissen, was auf keinen Fall gemacht werden sollte.

perlentaucher.de/ 11-2022 Rezensent Fred Luks nimmt zur Kenntnis, dass Ulrike Herrmann dem Kapitalismus auch eine gewisse Wertschätzung entgegenbringt, aber leichter verdaulich macht es ihm diesen Abgesang auch nicht. Hermann sieht diesmal den Kapitalismus “wirklich enden”, wie Luks zitiert, denn in ihrer Logik sei es nicht möglich, die CO2-Emissionen zu senken, solange die globale Wirtschaft wachse. Die nötige Reduktion der Emissionen führe also zu Stagnation und diese wiederum zum Ende des Kapitalismus, wie der Rezensent umreißt. Das findet Herrmann aber nicht schlimm, denn auch die britische Kriegswirtschaft habe gut funktioniert. Luks teilt zwar die Skepsis der Autorin gegenüber einem grünen Wachstum, aber dass sie so gar nicht an Flexibilität und Resilienz des Systems glaube, verwundert ihn. Und dass sich eine Kommandowirtschaft demokratisch organisieren lasse, glaubt er schon mal gar nicht. Am Ende sieht er doch wieder nur platte Kritik und irritierende Selbstgewissheit am Werk.

faz.net 11-2022 Das grüne Schrumpfen – Ulrike Herrmanns Kapitalismuskritik – In ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ lässt Ulrike Herrmann an ihrer Verachtung für „marktgläubige Klimaschützer“ keinen Zweifel. Sie plädiert für eine „Überlebenswirtschaft“, die durch einen allzuständigen Staat geprägt ist. – Von Fred Luks

Ulrike Herrmann folgt in ihrem Buch einer klaren Argumentationslinie: Die Klimakatastrophe zwingt zu drastischen Einschränkungen der Treibhausgasemissionen. Technischer Fortschritt schafft keine Entkopplung der Wirtschaftsleistung von diesen Emissionen, weshalb die ökologische Reduktion zwangsläufig in ökonomischer Stagnation resultiert. Das Ende des Wachstums führt ebenso zwangsläufig zum Ende des Kapitalismus, weil dieser nur als expansives System existenzfähig ist. Das ist aber kein Problem, weil wir den Kapitalismus zugunsten einer “Überlebenswirtschaft” aufgeben und uns dabei die “britische Kriegswirtschaft ab 1939” als Vorbild nehmen können.

“Das Ende des Kapitalismus” ist also ein weiteres Buch, das einen Abschied vom Wirtschaftswachstum im Zeichen der Nachhaltigkeit für unabwendbar hält. Was Herrmanns Buch von vielen Texten zum “Postwachstum” unterscheidet, ist ihre Wertschätzung für den Kapitalismus: Sie verwendet viele Seiten darauf, recht detailverliebt dessen Entwicklung und Errungenschaften zu beschreiben und zu loben. Wo sie an anderer Stelle ökologische Absurditäten wie die “Abwrackprämie” aufs Korn nimmt oder die unbequeme Wahrheit ausspricht, dass fossile Energieträger “im Boden bleiben” müssen, liest man treffende Beobachtungen.

Plausibel – und wohl kaum umstritten – ist auch die Diagnose, dass die Klimakatastrophe drastische Reduktionsleistungen beim Ausstoß von Treibhausgasen erfordert. Ob sich diese Reduktion durch technologiegetriebene Entkopplung mit Wirtschaftswachstum vereinbaren lässt oder nicht, ist allerdings eine offene Frage. Auch der Rezensent neigt hier zu einer skeptischen Haltung zum “grünen Wachstum” – und fragt sich gleichzeitig, woher die Autorin mit Gewissheit zu wissen glaubt, “wie wir in Zukunft leben werden”.

Herrmann selbst reiht Beispiel an Beispiel dafür, wie technologische und ökonomische Zukunftsprognosen immer wieder danebenlagen. Umso merkwürdiger mutet die Selbstsicherheit an, mit der Herrmann das Scheitern aller Bemühungen vorhersieht, die den Kapitalismus nicht überwinden, sondern diesen für die Nachhaltigkeit einspannen wollen. Diesmal, so die Autorin, “wird der Kapitalismus wirklich enden”. An ihrer Verachtung für “marktgläubige Klimaschützer” lässt Herrmann keinen Zweifel. Weil grünes Wachstum eine Unmöglichkeit ist, bleibe nur postkapitalistisches “grünes Schrumpfen”. Woran es fehle, sei “die Brücke aus der dynamischen Gegenwart in eine statische Zukunft”.

Für Herrmann ist klar: “Nur Verzicht sichert das Überleben – wie im Krieg.” Dinge wie Windräder, Batteriespeicher und grünen Wasserstoff, auch da ist sich die Autorin sicher, “kann es nur geben, wenn der Staat lenkt, forscht, finanziert und subventioniert”. Zentral für ihr Buch ist die feste Überzeugung, dass diese Sicht der Dinge ohne realistische Alternative ist: “Viele Menschen hängen immer noch dem Irrtum an, dass sie die Wahl hätten.” Aber keine Sorge: “Die Wachstumskritiker”, schreibt Herrmann, “haben klar gezeigt, dass klimaneutrales Leben auch schön sein kann.” Dass unterschiedliche Menschen durchaus unterschiedliche Dinge unter einem schönen Leben verstehen können und dass eine staatliche Kommandowirtschaft womöglich höchst freiheitsbeschränkend wäre, kommt nicht zur Sprache.

In der Gesamtschau scheitert das Buch an der selbst gestellten Aufgabe, das unvermeidliche Ende des Kapitalismus überzeugend darzustellen. Die Gerüchte über dessen Tod, so könnte man in Anlehnung an Mark Twain sagen, haben sich schon oft als übertrieben erwiesen. Herrmann bewundert ganz offenbar die Erfolge des Kapitalismus, unterschätzt aber seine Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Resilienz. “Schöpferische Zerstörung” (Schumpeter) kann destruktiv sein, aber auch kreativ. Dass diese Energie auch ökologischen Zwecken dienen könnte, hält Herrmann für unmöglich.

Dass es – gerade angesichts der Klimakrise – darum gehen muss, eine lernfähige und ökologische Grenzen berücksichtigende Wirtschaftsordnung zu organisieren, kommt ihr nicht in den Sinn. Stattdessen plädiert sie für eine “Überlebenswirtschaft”, die durch einen allzuständigen Staat geprägt ist: “Die Betriebe bleiben privat, aber der Staat legt fest, was noch hergestellt wird, und verteilt die knappen Güter.” Die britische Kriegswirtschaft soll dabei allen Ernstes “ein Modell für die Zukunft” abgeben. Diese Vision wird immer wieder garniert mit markigen Aussagen über “die Ökonomen”, die für Hermann offenbar ausnahmslos nicht die leiseste Ahnung haben, wie die Wirtschaft wirklich funktioniert.

Hier paart sich eine platte Kritik von Ökonomie und Ökonomik mit seltsam entrückten Vorschlägen zum Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Wie ein Übergang in die staatlich kontrollierte “Überlebenswirtschaft” auch nur halbwegs plausibel organisierbar wäre, bleibt im Dunkeln. Herrmanns Vorstellungen einer klimaneutralen Wirtschaft tragen leider so gut wie nichts zur Frage bei, wie sich eine Transformation zur Nachhaltigkeit demokratisch gestalten ließe. Das ist höchst bedauerlich: Denn gute Ideen für eine freiheitliche Ordnung, die Innovationskraft, sozialen Ausgleich und die Beachtung ökologischer Grenzen gleichermaßen ermöglicht, werden sehr dringend gebraucht.

ndr.de/ 10-2022 Ulrike Herrmann: Wie “Das Ende des Kapitalismus” aussehen kann von Claas Christophersen

perlentaucher.de 9-2022 Rezensentin Katja Scherer empfiehlt Ulrike Herrmanns Buch als Stoff für Debatten über das Ende des Kapitalismus. Gegen die Idee eines “grünen Wachstums” argumentiert die Autorin laut Scherer analytisch, lehrreich und fern von pauschaler Kapitalismuskritik. Wieso nur eine Kombi aus grünen Energien und Selbstbeschränkung der Menschheit helfen kann, erläutert Herrmann der verblüfften Rezensentin am Beispiel der britischen Kriegswirtschaft. Wie solche Planwirtschaft sozialverträglich politisch umgesetzt werden könnte, erfährt Scherer im Buch aber leider nicht genau.

deutschlandfunk.de 9-2022 PodcastWachstum versus Klimaschutz – Ulrike Herrmann sieht Kapitalismus am Ende
Wirtschaftswachstum und Klimaschutz schlössen einander aus, deshalb habe der Kapitalismus keine Zukunft, schreibt die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann in ihrem neuen Buch. Dabei versucht sie, den Kapitalismus nicht grundsätzlich schlecht zu reden. – Von Katja Scherer

Wie funktioniert der Kapitalismus? Mit dieser Frage beschäftigt sich Ulrike Herrmann seit Jahren. Sie hat in ihren Büchern analysiert, wie das kapitalistische System entstanden ist, welche Schwächen es hat und warum es zu Krisen neigt. Jetzt sei der Kapitalismus am Ende, schreibt sie. Er lasse sich mit Klimaschutz nicht vereinbaren: „Der Kapitalismus […] erzeugt nicht nur Wachstum, sondern muss auch wachsen, um stabil zu sein. Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. In einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen.“

Klimaschutz bedeutet Ressourcen schonen. Kapitalismus ohne Wachstum aber sei unmöglich. Das ist Ulrike Herrmanns zentrale These. Die taz-Journalistin stellt sich damit gegen die Annahme vieler Volkswirte und Politiker, dass es „grünes Wachstum“ geben kann. Sie argumentiert, dass die erneuerbare Energie dafür in absehbarer Zeit nicht ausreichen wird: “Diese Aussage mag zunächst überraschen, schließlich schickt die Sonne 5.000-mal mehr Energie zur Erde, als die acht Milliarden Menschen benötigen würden, wenn sie alle den Lebensstandard der Europäer genießen könnten. […] Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – und dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp bleiben wird.“

Die Bilanz des Kapitalismus – Daher müsse sich die Gesellschaft einschränken. Die Autorin gibt sich große Mühe, keine pauschale Kapitalismuskritik zu betreiben. Im ersten Kapitel beschreibt sie ausführlich die Vorteile des Kapitalismus. Er habe den Menschen mehr Gesundheit, Komfort und Freiheit beschert: „Der materielle Wohlstand hat immaterielle Folgen. Nicht nur die Lebenserwartung hat sich verdoppelt; auch allgemeine Bildung, Gleichberechtigung und Demokratie werden erst möglich, wenn eine Gesellschaft reicher wird.“

Allerdings sei das mit fossiler Energie, also: auf Kosten der Vergangenheit, erkauft worden, schreibt sie. Das stoße nun an Grenzen. Sie erläutert, warum es zu aufwändig sei, Treibhausgase aus der Atmosphäre zu filtern und warum sich Wachstum und Energieverbrauch nicht entkoppeln ließen. Der technologische Fortschritt biete da keine Rettung, argumentiert sie: „Auf die Technik ist kein absoluter Verlass. Mal gelingt es nicht, gute Lösungen zu finden – mal bleiben Erfindungen teuer, obwohl sie seit Jahrtausenden im Einsatz sind. […] Vor allem aber werden die Zeitebenen verwechselt. Die lustigen Anekdoten sollen nahelegen, dass die technologische Zukunft immer besser war als gedacht. Das mag sein. Nur fehlt heute die Zeit, um auf eventuelle Durchbrüche zu warten.“

Grünes Schrumpfen statt grünem Wachstum – Herrmann ist überzeugt, dass sich die Gesellschaft auf ein „grünes Schrumpfen“ einstellen muss. Es werde weniger Autos, weniger Flüge und weniger Wohnungen geben, schreibt sie. Und das müsse auch nicht schlimm sein: „Die Wachstumskritiker haben klar gezeigt, dass klimaneutrales Leben auch schön sein kann. Das ungelöste Problem ist allein, wie sich diese ökologische Kreislaufwirtschaft erreichen lässt, ohne unterwegs eine schwere Wirtschaftskrise zu provozieren, die die Bevölkerung in Panik versetzt und einen Diktator an die Macht bringt.“

Als Lösung für diesen Übergang schlägt die Autorin die britische Kriegswirtschaft ab 1939 vor. Damals teilte die britische Regierung privaten Unternehmen Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zu. Jeder Einwohner bekam eine feste Menge an Lebensmitteln. „Luxusgüter“ wie Möbel oder Kleidung konnten über ein persönliches „Punktebudget“ bezahlt werden. Ein geordneter, sozial gerechter Rückbau, findet Herrmann. „Der Konsum fiel damals um ein Drittel – und zwar in kürzester Zeit. […] Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll.“ … schreibt sie. Eine Schätzung, die ohne Zweifel unsicher ist.

Herrmanns Fokus auf Großbritanniens Kriegswirtschaft hat drei Gründe: „Erstens: Die Briten lebten in einer Demokratie. […] Zweitens: Die Briten führten keinen Angriffskrieg […]. Sie befanden sich in einer unfreiwilligen Notsituation, die zudem verspätet erkannt wurde. Drittens: Die Briten mussten ihre normale Wirtschaft in kürzester Zeit stark herunterfahren, […] um Militärgüter herzustellen. Von den Briten lässt sich also lernen, wie sich eine schrumpfende Wirtschaft organisieren lässt.“

Die Grenzen der Technologie – Herrmanns Buch ist historisch lehrreich und gut zu lesen. Es zeigt auf, wo technologische Limitationen der Klimawende liegen. Doch es wirkt dabei deterministisch. Herrmann erkennt an, dass Menschen in der Vergangenheit viele Probleme gelöst haben. Sie bezweifelt aber offenbar, dass das dieses Mal auch so sein wird. Außerdem lässt ihr Buch Fragen offen. Es erklärt zum Beispiel kaum, wie genau die neue staatliche Planwirtschaft aussehen soll. Wo sollen all die Fachkräfte arbeiten, die aus ihrer Sicht in der Luftfahrt, bei Banken und Autofirmen obsolet werden? Auch die politische Durchsetzbarkeit bleibt vage. Herrmann schreibt: „Viele Menschen hängen immer noch dem Irrtum an, dass sie die Wahl hätten. Doch diese Wahl gibt es nicht. […] Entweder sie verzichten freiwillig auf Wachstum – oder die Zeit des Wachstums endet später gewaltsam, weil die Lebensgrundlagen zerstört sind.“

Damit hat sie möglicherweise Recht. Es erklärt aber nicht, wie eine Planwirtschaft demokratisch durchgesetzt werden könnte. Außerdem übersieht sie, dass grüner Optimismus hilft, Menschen für mehr Klimaschutz zu motivieren. Sie betont: „Nur Verzicht sichert das Überleben – wie im Krieg.“ Herrmanns Buch ist lesenswert und setzt einen Kontrapunkt zu all denen, die die technologischen Möglichkeiten beim Klimaschutz womöglich überbewerten. Die Autorin betont zu Recht: Klimaschutz ohne Verzicht geht nicht. Was aber fehlt, ist eine positive Vision für diesen Wandel. Und ob dieses Mal tatsächlich das Ende des Kapitalismus erreicht ist? Abwarten.


Siehe auch zum Thema Wachstums – Zwang + Grenzen

mathias-binswanger.chamazon.deperlentaucher 2019 Der Wachstumszwang – Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben – von Mathias Binswanger

Über lange Zeit leistete das Wirtschaftswachstum einen positiven Beitrag zum Wohlbefinden vieler Menschen. Im Vergleich zu früher können wir uns eine luxuriöse Lebensweise leisten und wir leben im Durchschnitt auch wesentlich länger und gesünder. Doch in neuester Zeit wird es in den wohlhabenden Ländern in Westeuropa, Nordamerika und Japan zunehmend fraglich, ob das Wachstum noch einen Beitrag zum Wohlbefinden der Menschen leistet. Und dann sind da die ganzen Auswirkungen des Wachstums auf die Umwelt, welche seit Beginn der 70er Jahre zu einer Kritik des Wachstums aus ökologischer Perspektive geführt haben.

Doch können heutige Wirtschaften längerfristig ohne Wachstum überhaupt funktionieren? Eine eingehende Analyse des ökonomischen Geldkreislaufes zeigt, dass dies längerfristig nicht möglich ist. Moderne Wirtschaften funktionieren nicht ohne Wachstum des Bruttoinlandproduktes, da sie andernfalls in eine Abwärtsspirale geraten. Es gibt nur die Optionen, entweder zu wachsen oder zu schrumpfen. Dieser Zwang zum Wachstum wurde über lange Zeit allerdings kaum als solcher wahrgenommen. Mit dem Wachstum war ein Heilsversprechen auf bessere Zukunft verbunden, das sich in grossen Teilen auch bewahrheitet hat. Doch aus diesem Heilsversprechen wird in neuester Zeit zunehmend eine Zwangshandlung.

brandeins.de/ 2019 Das System funktioniert nur, wenn wir weiterwachsen — ob wir wollen oder nicht.“ – Warum steigen Gewinne, Gehälter und der Konsum immer weiter? Wieso ist es nie genug? Antworten gibt der Ökonom Mathias Binswanger. Interview: Olaf Wittrock

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