A short Sociology of Bill Gates and The Mainstream 2021 H Haferkamp

The Social Construction of Reality: A Treatise in the Sociology of Knowledge (Penguin Social Sciences) Kindle Edition
Sociology101

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HHpapers 2021   Zur Überheblichkeit des verfügenden Geistes und der fiktiven Naturwissenschaft der Oekonomie.  von Heinrich Haferkamp

Bill Gates´ Statement, dass die Ökonomen Makroökonomie nicht wirklich verstünden, ist so treffend wie wohlfeil. Sein Monitum, dass die Ökonomie nicht das bieten könne, was die Physik (etwa mit dem Fallgesetz) leiste, nämlich kontrollierte Annahmen in klare Prognosen zu übersetzen, zeigt nicht nur an, dass die Erwartungen hinsichtlich der Leistungen der Wirtschaftswissenschaften sich nach wie vor an völlig irreführenden, nämlich vermeintlich „der Naturwissenschaft“ entnommenen Maßstäben orientieren.
Bill gehört zu den globalen Akteuren mit außergewöhnlichen politischen und ökonomischen Machtchancen, die wissen, wie man Kausalitäten erkennt, weil sie wissen, wie man sie selbst herstellen kann. Das hat er nicht nur durch seine geschickte Sicherung von Patenten durch rechtliche Praktiken unter Beweis gestellt, die ihm im IT-Sektor eine quasi monopolitische Stellung nebst allen Vorzügen derselben im Hinblick auf Beziehungen zum Staat, Marktkonkurrenz und Preisbildung verschafften. Wenn es um Themen wie Marktstellung und Preistheorie geht, braucht Bill ganz bestimmt keine Nachhilfe von Ökonomen, die ihm die Welt unter Rückgriff auf ihr fantastisches Modell von Gleichgewichtspreisen erklären. Auch was die politische Ökonomie des wirtschaftlichen Erfolgs betrifft, ist Bill im Bilde. Durch emsige Tätigkeiten des Lobbyings, die ihm auch in der EU eine beherrschende Stellung verschafften, verfügt er bei den hier wirksamen Kausalketten, die niemand anderer als er selbst mit seinem Konzern in Gang gesetzt hat, über intimste Kenntnisse. Aus den Worten von Gates spricht die Überheblichkeit des verfügenden Geistes, der sich darüber beklagt, dass Makroökonomie nicht wie Physik funktioniert, der aber ansonsten praktisch ganz gut weiß, wie die Dinge laufen, weil er sie selbst manipulieren kann. Für ihn gibt es keine „reine Ökonomie“, weil er aus eigener Erfahrung weiß, wie man die ökonomische Macht eines Softwarekonzerns in den politischen Einfluss von Governance-Institutionen bei der WHO konvertieren und umgekehrt die politische Macht von Stiftungsimperien wiederum in ökonomische Erfolgschancen (etwa durch Investition in Impfstoff produzierende Biotechnologieunternehmen) rückkonvertieren kann. Globale Herrenmenschen vom Schlage eines Bill Gates oder vom Schlage des „Transhumanisten“ Ray Kurzweil können sich über die Wirtschaftswissenschaften wahrscheinlich nur amüsieren, weil sie besser als diese verstehen, über welche Mechanismen makropolitische und makroökonomische Strukturen sich wirklich reproduzieren.

Demgegenüber wirken die Einlassungen von Mark Davis fast als Ausgeburt eines naiven Szientismus. Er abstrahiert das Problem der unzureichenden Erklärungskraft der Ökonomie in Richtung Dissens/Konsens unter Wirtschaftswissenschaftlern und leitet Dissens dann primär von den Vorfestlegungen auf verschiedene Theorieprämissen oder „Wirtschaftsphilosophien“ ab. Man möchte nicht ausschließen, dass Divergenzen in wissenschaftlichen Einschätzungen sich auch unterschiedlichen Theorieprämissen verdanken, die wiederum normative und praktische Implikationen haben, aber es wäre absurd, die Erklärungsprobleme der Ökonomie in erster Linie hier zu suchen. Und was würde das schon bedeuten? – Diese Problemexposition, die der Kontinentaleuropäer – einem alten Vorurteil folgend – gerne als typisch für den angelsächsischen Theoriekontext betrachtet, zeigt die gesamte Fehlorientierung der Diskussion. Die kritische Reflexion der Wirtschaftswissenschaften bemisst sich allein an einem ins Groteske vereinseitigten und stilisierten Modell naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Angesichts der globalen Finanzkrise im Jahre 2008 war die Frage doch wohl eher, warum überhaupt keine nennenswerten wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse über die Möglichkeit dynamischer Krisen des Finanzmarktes im Rahmen eines finanzialisierten Kapitalismus vorlagen. Offenbar hatte die herrschende Lehrmeinung unter dem Banne der Efficient Market Theory solche Erscheinungen überhaupt nicht für vorstellbar gehalten.

Selbstverständlich kann man in wirtschaftlichen Zusammenhängen die Geltung kausaler Beziehungen unterstellen, etwa vom Typus des Greshamschen Gesetzes, wonach immer dann, wenn der Nennwert von Münzen unten ihren Metallwert fällt, die Münzen aus der Geldzirkulation verschwinden. Dabei handelt es sich aber in der Regel um sehr simple Relationen zwischen zwei oder drei Variablen, eine Erklärungsanlage, die von makroökonomischen Zusammenhängen sehr weit entfernt ist. Umgekehrt kommt man diesem Problemzusammenhang aber auch nicht dadurch näher, indem man die Vielzahl der Variablen von A (wie Arbeitsmarkt) bis Z (wie Zinssatz) auflistet, um dann nach einer angemessenen Selektivität von Erklärungskomponenten zu suchen.

Jede sozialwissenschaftliche Erklärung (und hier sollen die Wirtschaftswissenschaften als Sozialwissenschaft und nicht als eine fiktive Naturwissenschaft betrachtet werden) ist genötigt, Kausalität und Kontingenz zusammenzudenken. Sozialwissenschaftliche Erklärungen müssen fähig sein, gesellschaftliche Abhängigkeitsbeziehungen unter der Prämisse von Kontingenz zu behandeln, also unter dem Gesichtspunkt, dass Handeln bzw. Handlungen so oder auch anders möglich sind. Damit ist nicht der Aufguss eines geisteswissenschaftlichen Idealismus gemeint, der eine abstrakte Handlungsfreiheit des Menschen behauptet und kausal-mechanistische Erklärungen in den Kulturwissenschaften als Anschlag auf die menschliche Würde betrachtet, sondern einfach der Umstand, dass die Handlungen von Akteuren „weder zufällig noch notwendig“ sind. Die moderne Soziologie hat früh darauf verwiesen, dass in sozialen Beziehungssystemen sich das Problem zu einem der doppelten Kontingenz verschärft. Ego hat nicht nur die Möglichkeit, so oder anders zu handeln, sondern Alter hat auch die Möglichkeit, auf Handlungsofferten von Ego anschließend oder ablehnend zu reagieren. Der Glaube daran, dass man diese Handlungskontingenzen durch psychologisch-behavioristische Annahmen über Stimulus und Response kleinarbeiten oder durch die idealtypischen Postulate über Präferenzordnungen des nutzenmaximierenden homo oeconomicus erledigen könnte, haben sich als Irrwege herausgestellt. Das Ganze scheitert schon krachend daran, dass komplexe makroökonomische Verhaltenslandschaften nicht dadurch modelliert werden können, das kollektive Phänomene mikroökonomisch aus einer simplen Aggregation individueller Nutzenkalküle oder Präferenzen abgeleitet werden. Soziale Beziehungssysteme lassen sich kategorial überhaupt nicht aus Annahmen über die Aggregation von Handlungen vereinzelter Einzelner ableiten. Von einer systemtheoretischen Prämisse her formuliert: Strenge kausale Determination lässt sich allenfalls als Grenzfall bei wohldefinierten Handlungssystemen mit äußerst geringer Komplexität als Erklärungsschema ansetzen. Unter Systemen mit äußerst geringer Komplexität soll hier verstanden werden: Systeme, die sich durch eine kleine Anzahl von Elementen bzw. Akteuren auszeichnen, wobei die Freiheitsgrade des Handelns der Elemente/Akteure gering sind und eine relativ starre Struktur der Verknüpfung der Elemente und deren Variabilität vorliegt/besteht. Soziale Systeme – also auch: makroökonomische Systeme – sind jedoch schlecht definierte Systeme in dem Sinne, dass die Matrix möglicher Systemzustände und ihrer möglichen Transformationen selbst bei Aufrechterhaltung einer identischen Systemstruktur unbekannt ist (Bühl 1990). Angesichts dieser Voraussetzungen überrascht es natürlich nicht, dass eine auf herkömmliche Kausalitätstheorien festgelegte Ökonomie sich immer wieder darüber wundert, dass „neue Phänomene“ auftauchen wie etwa Stagflation, Negativzinsen, nichteffiziente Märkte, dysfunktionale Ungleichheiten usw., Phänomene, die „zuvor noch in keinem Lehrbuch beschrieben“ wurden. Risiko und Ungewissheit sind eben nicht nur – wie Keynes schon wusste – im Handlungsfeld der Ökonomie endemisch, sondern auch auf der Ebene kognitiv-wissenschaftlicher Konzeptualisierung zu berücksichtigen.

Erschwerend kommt noch ein weiteres hinzu. Wie sich an der Theorie des kausalen Feldes leicht darlegen ließe, ist Kausalität vor allem eine soziale Konstruktion und nicht ein zu erkennender Sachverhalt einer als bestehend vorausgesetzten „Welt“. Es geht nicht nur darum, dass jeder Erkenntnisakt eine Konstruktion ist, in dem Sinne, dass es um die kognitiven Praktiken eines Erkenntnisleistungen hervorbringenden Akteurs geht, also um das, was man die Praxis der Theorie nennen könnte. Vor allem ist hervorzuheben, dass häufig erst in sozialen Kontexten darüber entschieden wird, was als Kausalität zu gelten hat, bzw. wie angesichts bestimmter gesellschaftlicher Situationen auf der Basis normativer Regeln Kausalität zugerechnet wird. – Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist sicherlich das (post-)keynesianische Theoriemodell am ehesten anschlussfähig, und das hat in erster Linie gar nichts zu tun mit Orientierung am Staat vs. Orientierung am Markt. Der Keynesianismus ist überhaupt erst einmal vom analytischen Ansatz her ein Modell, das die Bezeichnung Makroökonomie wenigstens halbwegs verdient. Des Weiteren zeichnet sich die keynesianische Theorie dadurch aus, dass sie Risiko, Ungewissheit und Kontingenz miteinbezieht, wobei sie diese Aspekte in ihrem Gewicht eher unter- als überschätzt. Auch die Gesichtspunkte von Historizität, Macht, sozialer Ungleichheit und Herrschaft werden wenigstens ansatzweise berücksichtigt. Gleichwohl ist es nicht so, als wenn hier keine kritischen Punkte zu konstatieren wären. Diese liegen noch nicht einmal darin, dass von einem elaborierten systemtheoretischen Standpunkt her die dem Keynesianismus zugesprochene Vorstellung einer politischen Steuerung „der Wirtschaft“ etwas zu schlicht gerät (Stichwort „Übersteuerung“). Auch der keynesianische Ansatz begreift sich als ökonomische Theorie, die ihre eigenen (politischen, sozialen, rechtlichen) Voraussetzungen nur unzureichend analytisch in den Blick bekommt. So liegen die Funktionsvoraussetzungen für das ökonomische Modell einer „nicht scheiternden Globalisierung“ bei Flassbeck/Steinhardt (2018) völlig außerhalb der „reinen Ökonomie“, nämlich entweder bei einem funktionsfähigen Nationalstaat oder in einer kooperativen Struktur internationaler Politik. Diese Aspekte sind aber im engeren Sinne gar keine rein ökonomischen Größen, sie fallen also außerhalb des engeren Rahmens der ökonomischen Theorie und müssen dann – weil keine umfassendere theoretische Konzeption vorliegt – als Postulate in die ökonomische Theorie eingearbeitet werden.

Von daher muss man fragen, ob nicht theoretische Wege erfolgversprechender sind, die in interdisziplinären Untersuchungen Problemstellungen gleich unter der Prämisse einer strukturellen Kopplung von ökonomischen, politischen und sozialen Aspekten – also eben nicht: „rein ökonomisch“ – angeht.

see also  Why Economists Disagree: The Political Economy of Economics Hardcover by Ken Cole, John Cameron, Chris Edwards here