https://www.chbeck.de/vogl-kapitalismus-ressentiment/product/32045602
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Das Gespenst des Kapitals
diaphanes.net/ »Resonanzkatastrophen sind ganz und gar systemkonform«
Klappentext – Angesichts der Ereignisstürme im gegenwärtigen Finanzgeschäft widmet sich Joseph Vogl in einem Essay den Wahrnehmungsweisen, Theorien und Problemlagen dessen, was man mit gutem Grund immer noch Kapitalismus nennen muss. Gerade Finanzmärkte gelten als das Marktgeschehen schlechthin. Unbelastet von den Beschwernissen der Produktion sind sie – für die herrschende ökonomische Doktrin – Schauplätze eines perfekten Wettbewerbs und idealer wirtschaftlicher Ausgleichprozesse: ein segensreiches Zusammenspiel von gewinnorientierten und also ebenso rationalen wie zuverlässigen Akteuren. Darum wollte man in Spekulationsblasen und Crashs bloße Anpassungskrisen oder jene seltenen Ausnahmesituationen erkennen, die sich dem irrationalen Überschwang eines vielleicht gierigen, vielleicht inkompetenten oder schlicht rücksichtslosen Spekulationswesens verdanken. Hier setzen die Fragen des Essays an: Sind die irrationalen Exuberanzen wirklich Ausnahmefälle oder nicht eher reguläre Prozesse im Getriebe kapitalistischer Ökonomien? Reicht die Unterscheidung von rational und irrational überhaupt hin, die Effekte dieses Systems zu fassen?
Hier setzen die Fragen des Essays an: Sind die irrationalen Exuberanzen wirklich Ausnahmefälle oder nicht eher reguläre Prozesse im Getriebe kapitalistischer Ökonomien? Reicht die Unterscheidung von rational und irrational überhaupt hin, die Effekte dieses Systems zu fassen? Begegnet ökonomische Rationalität hier nicht unmittelbar ihrer eigenen Unvernunft? Arbeitet das System tatsächlich effizient und rational?
Einer ebenso historischen wie theoretischen Sondierung folgend, hegt der Essay einen grundlegenden Zweifel darüber, ob die alte liberale Hoffnung auf die ausgleichende Ordnungsmacht des Marktes – Adam Smiths berühmte ›unsichtbare Hand‹ – noch gerechtfertigt ist. So wenig der Kapitalismus als reiner Rationalisierungsprozess beschrieben werden kann, so wenig lassen sich Spekulation und Spekulanten als verworfene oder pathologische Ausnahmegestalten begreifen. Das liegt nicht zuletzt an den Dynamiken der modernen Finanzökonomie, die sich auf die Wirkungsweise einer stets offenen und ungewissen Zukunft verpflichtet. Für die Märkte der futures und Derivate ist Zukunft, d.h. Zeit zur unerschöpflichen Ressource geworden. Im Zentrum steht das Wissen um jene scheinbar irregulären Ereignisse, in denen die finanzökonomische Welt unlesbar und undurchschaubar geworden ist: Hier wirken Ungewissheit und Instabilität im Herzen des Systems; und hier vollzieht sich ein Angriff der Zukunft auf die übrige Zeit – das Gespenst des Kapitals.
Frankfurter Rundschau 2011 Bloß keine neue Geldreligion – Ein Gespräch mit dem Berliner Literaturwissenschaftler Joseph Vogl über die Zukunft des Kapitalismus, eine zweite ökonomische Aufklärung und über die Frage, ob Marx am Ende nicht doch Recht hatte. Von Piotr Buras
kritisch-lesen.de poststrukturalistischem Literaturwissenschaftler auf – In seiner akribisch recherchierten Studie entlarvt der Autor Theorie und Praxis des Finanzkapitalismus als Spuk.
literaturkritik.de Der Markt ist aus den Fugen – Joseph Vogls gefeierte Fundamentalanalyse des Kapitalismus hinterfragt harmonisierende Konzepte der Finanzökonomie Von Manuel Bauer
vorwaerts.de Gespenst des Kapitals“ Julian Zado
walter-de-gruyter-behemoth 2010 Joseph Vogl Das Gespenst Kapital – Rezension von Robert Feustel
„Die Zukunft ist immer schon eingepreist.“ (Joseph Vogl)
„Es ist ein merkwürdiger, aber auch zugleich ein lehrreicher Anblick, wenn man aus einem aufgeklärten Zeitalter auf die Verirrungen der Menschen herabsieht; auf Menschen, denen doch auch Gerechtigkeit am Herzen lag, und die dennoch, gefesselt vom Aberglauben ihres Jahrhunderts“ waren, heißt es in einem kleinen Buch aus dem Jahr 1786.[1] Gegenstand der klarsichtigen Verhandlung ist in diesem Fall die Inquisitionspraxis des 17. Jahrhunderts, die einem aufgeklärten Beobachter einige Jahrzehnte später gar zu absonderlich erscheint. Nun ist zwar die souveräne Geste des Herabblickens einer unreflektierten Aufklärung eigen und hat wenig mit Joseph Vogls Essay Das Gespenst des Kapitals zu tun. Die beiden sonst sehr unterschiedlichen Autoren teilen jedoch die Verwunderung oder das blanke Staunen über ein irres und gleichzeitig wirkmächtiges Gerüst des Aberglaubens. Was sie allerdings unterscheidet ist, dass der eine auf eine irrationale und unaufgeklärte Zeit zurückblicken darf. Der andere (Vogl) hingegen seziert messerscharf vermeintlich wissenschaftliche Befunde (sprich ökonomische Theorien), die sich im ideologischen Epizentrum der westlichen Welt befinden und überführt sie als selbstreferentiell und mit wenig Erklärungskraft ausgestattet.
Damit ist der Ausgangspunkt und – vermutlich – die Motivation Vogls skizziert. Die „kapitalistische Ökonomie [ist] Schicksal geworden“ (28), und alles hat sich dem Überleben und Funktionieren der Finanzmärkte unterzuordnen. Es wäre müßig, Belege für diesen Umstand anzuführen, die Finanzkrise seit 2008 in ihrer gesamten Dramaturgie ist Ausweis genug.
Die gegenwärtige Krise mag gespenstisch sein, Vogls Titel spielt jedoch auf eine Eigenschaft des Kapitals an, die schon deutlich länger Bestand hat. Sicher drängt sich zunächst die Assoziation zu Karl Marx’ und Friedrich Engels’ Manifest, zum berühmten „Gespenst des Kommunismus“ auf. Da neben, darüber oder davor kommt dem Kapital selbst allerdings die Eigenschaft zu, gespenstisch zu sein: Es ist ebenso ein „epistemisches Ding“ (Hans Jörg Rheinberger) wie jenes märchenhafte Wesen, das zugleich anwesend und abwesend ist, weil es durchsichtig und dennoch sichtbar ist und erst im Glauben daran oder im Vertrauen darauf seine Existenz gewinnt. Eine Art Urszene aus dem Jahr 1797 verdeutlicht diesen Zusammenhang: Nach wirren Kriegszeiten beschließt das englische Parlament, die Bank von England von der bis dahin selbstverständlichen Pflicht zu befreien, „Banknoten in Münzgeld einzuwechseln und damit eine beständige Deckung des umlaufenden Papiergeldes zu garantieren“ (70).
Damit geht die Entkoppelung von Geld und Gold, von Wertzeichen und Gegenständlichkeit einher, und der Wert des (Papier-)Geldes fixiert sich nunmehr am Vertrauen in die Bank. Was zurückbleibt, ist die geisterhafte Existenz des Kapitals, das – fortan mit sich selbst zirkulierend – höchstes Gut eines ökonomischen Glaubens ist, der die Welt fest im Griff hat. Die Verwicklungen des Marktes sind kompliziert. Für die jüngere Geschichte jedenfalls gilt die Aufkündigung des Abkommens von Bretton Woods im Jahr 1973 als einschneidendes Ereignis. Während dieser 1944 geschlossene Kontrakt die Tauschrelationen des US-Dollars an den Goldpreis koppelte und damit die Währungskurse stabilisierte, verlieren sich danach alle Relationen im endlosen Spiel aufeinander verweisender Signifikanten, ohne Rückkoppelung an einen gegenständlichen Wert, an ein „transzendentales Signifikat“ (154).
Und gleichzeitig entwickelt sich die statistisch fundierte Finanzwissenschaft mit ihren Modellen und Ergebnissen zur imaginierten Garantie einer Stabilität, welche die realen Märkte nicht leisten konnten. Wir müssen nur, so die von Vogl kritisierte finanzwissenschaftliche Ideologie, dem Geld und seiner (selbstreferentiellen) Bewertung freien Lauf lassen, und die Dinge werden sich wie von „unsichtbarer Hand“ gesteuert regeln. Falls doch etwas schiefgeht, so die paradoxe Logik der finanzwissenschaftlichen Glaubenssätze, fehlt es an nötiger Radikalität. Wie genau und warum überhaupt das komplexe Geflecht ökonomischer und finanzieller Transaktionen funktioniert, bleibt, wie der Berliner Literaturwissenschaftler und Philosoph dagegenhält, nebulös. Übrig bleibt eine „Oikodizee“, der vermeintlich wissenschaftlich abgesicherte Glaube, die Launen, Tücken und Hypes, kurz: die wenig rationalen Ereignisse am Markt durch unbeschränktes Wetten auf Währungen stabilisieren zu können. Dazu trug nicht nur Bretton Woods bei. Auch die technischen Entwicklungen an den Märkten, die den Handel mit Devisen bis kurz vor den zeitlichen Nullpunkt beschleunigt haben, verändern die Szenerie, weil sie buchstäblich die Zeit aus den Angeln heben. Zukunft und Gegenwart werden nunterscheidbar: „Sofern sich der Kauf von Kapitalwerten als Kauf voraussichtlicher Erträge vollzieht, bilden sich zahlreiche Preise im Vorgriff auf erwartbare Preise“ (155).
Nicht die vergangene oder gegenwärtige Lage schreibt also fest, welche Kapitalware mit welchem Preis versehen wird. Was „vielleicht, möglicherweise oder wahrscheinlich eintreten wird, bestimmt den Gang der Ereignisse“ (155). Der Witz ist nur, dass diese Wette auf Kommendes, auf Erwartungen, im gleichen Moment den Preis bestimmt und die Gegenwart ändert. Damit eröffnet sich ein infiniter Regress, eine Schleife, in der sich Ist-Zustand und Erwartungen in ihrem permanenten Austausch gegenseitig aufheben. Die Wette auf die Zukunft, die das Börsengeschäft einstmals prägte und selbst damals schon, wie Vogl herausstellt, von unvorhergesehenen und vielleicht unvorhersehbaren Ereignissen, von Trends und Panik, von Irritation und Unruhe, heimgesucht wurde, ist von der Aufhebung der Zeit selbst durchbrochen. Es geht längst nicht mehr um eine sachliche, vielleicht gar wissenschaftlich abgesicherte Prognose der kommenden Marktlage.
Damit wäre freilich auch verbunden, den Gewinn erst später einzustreichen. Die Zukunft ist – in gewisser Weise – immer schon gekommen und verändert die Preise akut, just in time. Vorher und nachher sind unauflösbar verwoben: „Das Gespenst des Kapitals kommt stets aus seiner eigenen Zukunft zurück“ (172), verändert die Gegenwart und damit die zu erwartende Erwartung. Die Logik der Finanzmärkte gleicht gewissermaßen einem permanenten Rausch, in dem sich eine „Zeitschleife“ öffnet, die es erlaubt, „bei der eigenen Abwesenheit anwesend“ (Slavoj Žižek) zu sein und alles entsprechend einzupreisen. Am Ende ist „verfügbares Kapital […] nicht mehr von reinem Spuk unterscheidbar“ (171). So irre die Logik des Kapitals auch erscheinen mag, sie weitet sich, wie Vogl nochmals deutlich herausstellt, zu einer „Bewirtschaftung des Alltäglichen“ (135) aus und universalisiert sich mit ihrer Krise.
Vogls Analyse ist auf sprachlich höchstem Niveau und erzählt gekonnt die Geschichte eines unbedingten Glaubens, der eng mit der „bürgerlichen Gesellschaft“ zusammenhängt (52) und mitten im Zentrum der westlichen Welt einen ungeheuren Spuk veranstaltet. Allerdings ist seine Reichweite auch begrenzt – was dem Buch selbst kaum vorzuwerfen ist. Wenn etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, das Buch sei „so wirksam wie ein Crash“, mag dies vielleicht der Begeisterung des Rezensenten angemessen Ausdruck verleihen. Der Sache nach stimmt das Bild nicht. Bis auf einige euphorisierte Kommentatoren und Interessierte aus den universitären Elfenbeintürmen ist der Nachhall überschaubar.
Vogls „Entzauberung der Finanzwissenschaft“ (Süddeutsche Zeitung) ist in der Tat brillant. Der im politischen Kontext zu oft ungebrochene Glaube an die Stabilisierungskraft der Finanzwirtschaft und die Alternativlosigkeit des Kapitalismus sitzt freilich auch weiterhin recht fest im Sattel. Das Buch lässt sich für diesen Umstand selbstredend nicht verhaften. Erstaunlich ist dennoch, dass inmitten einer Welt, die auch noch den letzten Cent zu opfern scheint, um das Banken- und Finanzwesen in seiner gegenwärtigen Ausprägung zu retten und damit den phantasmatischen Moment kapitalistischer Stabilität fortdauern zu lassen, solche Publikationen auftauchen
können. Schließlich verhandelt Vogl die Irrationalität der Märkte und den quasi-religiösen Glauben an die stabilisierende und progressive Kraft ungebremster Finanzströme auf so hohem Niveau, dass
die Lektüre tatsächlich zum „Crash“ führen müsste.
socialnet.de Rezension von Jos Schnurer
Der Lauf der Dinge wird durch das Finanzgeschehen bestimmt
Während die einen diese Erkenntnis als Triumph und Bestätigung ihres materiellen Denkens und Handelns hinaus posaunen und die Siegerpose zeigen, formulieren die Kritiker dieses Wettlaufs des Immer-mehr die ökonomische Denkweise als Katastrophe, mahnen eine „ökonomische Alphabetisierung“ an ( Pierre Bourdieu, siehe dazu auch: Elmar Altvater, Der große Krach oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur, Münster 2010, in: socialnet Rezensionen, http://www.socialnet.de/rezensionen/10533.php), fordern, den Kapitalismus aufzubrechen ( John Holloway, Kapitalismus aufbrechen, Münster 2010, in: http://www.socialnet.de/rezensionen/10534.php) und stellen, resignierend und gleichzeitig herausfordernd fest: „Wir haben es weit gebracht mit der Ungleichheit ( Bernhard Taureck, Gleichheit für Fortgeschrittene. Jenseits von „Gier“ und „Neid“, in: http://www.socialnet.de/rezensionen/10159.php).
Auch wenn die Verteidigungslinien der Befürworter einer ökonomischen Weltsicht, nicht zuletzt durch die Krisen und die katastrophale Entwicklung, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Wirtschaft, der Finanzen, der Gesellschaft, des Klimas …, darstellten und weiterhin darstellen ( vgl. dazu: Frank Ettrich / Wolf Wagner, Hg., Krise und ihre Bewältigung in Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft, Medizin, Klima, Geschichte, Moral, Bildung und Politik, LIT Verlag, Berlin 2010, in: socialnet Rezensionen unter http://www.socialnet.de/rezensionen/9990.php), scheinbar geschlossen sind mit der einhelligen, gesundbeterischen Behauptung, dass das Wohlsein der Menschen ohne das throughput growth, das ökonomische Wachstumsdenken und –handeln, nicht zu erreichen sei, werden die Mahnungen lauter, dass die Menschheit vor der Herausforderung steht umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz, neue Lebensformen zu finden (Weltkommission „Kultur und Entwicklung“, 1995 / Deutsche UNESCO-Kommission, 1997). Neben den vielfältigen gesellschaftlichen Diskussion um einen Perspektivenwechsel ist es in neuerer Zeit auch der Diskurs in der wissenschaftlichen, politischen Ökonomie, der zur „Selbstaufklärung“ aufruft und danach fragt, „ob sich auf den Schauplätzen der internationalen Finanzwirtschaft ein effizientes Zusammenspiel vernünftiger Akteure oder ein Spektakel reiner Unvernunft vollzieht“.
Autor und Entstehungshintergrund
Der Literatur-, Kulturwissenschaftler und Philosoph Joseph Vogl von der Humboldt-Universität in Berlin hat sich bereits mit mehreren Veröffentlichungen und Fernsehbeiträgen (u. a.: Alexander Kluge / Joseph Vogl, Soll und Haben. Fernsehgespräche, 2009) zu Wort gemeldet, um deutlich zu machen, „dass das ökonomische Wissen der letzten dreihundert Jahre die wirtschaftlichen Tatsachen geschaffen hat, mit deren Entzifferung es sich selbst konfrontiert“. Dieses „Hinter die Fassaden“ – Schauen der gegenwärtigen, lokalen und globalen finanzökonomischen Prozesse lässt sich als den Versuch verdeutlichen, „wie die moderne Finanzökonomie eine Welt zu verstehen versucht, die durch sie selbst hervorgebracht wurde“.
Aufbau und Inhalt
Der Autor gliedert sein Essay in sechs Kapitel und formuliert im ersten Teil die vielfältigen Fragen und Machtpositionen des Kapitalismus am Beispiel von Don DeLillos Roman (und Verfilmung) „Cosmopolis“ (2003). Mit einem literarischen Zusammenschnitt der wichtigsten Kapitalismusanalysen verdeutlicht er die verschiedenen Konzepte und Auffassungen, vom Markt-Fundamentalismus bis zur Realökonomie und zeigt die „Fluchtpunkte finanzwirtschaftlichen Wissens“ auf.
Die im 17. Jahrhundert einsetzende Selbstvergewisserung des Menschen, dass das an den (Eigen-)Interessen orientierte, durch ökonomisches Handeln produzierte und in das Markt- und Wirtschaftssystem mündende Wissen, wie es in den folgenden Jahrhunderten entstanden ist und vom schottischer Moralphilosophen und Begründers der klassischen der klassischen Nationalökonomie, Adam Smith, als Standardbegriff eingeführt wurde – „Der ökonomische Mensch ist Subjekt seiner beschränkten Interessen, aber Medium der bürgerlichen Gesellschaft“ – sich zum realen, gesellschaftlichen Wirkungsbereich entwickeln könnte, gilt es zu hinterfragen. Gilt die Auffassung noch, dass gewissermaßen mit „unsichtbarer Hand“, also naturgegeben und zwanghaft, die Wohlhabenden dazu gebracht werden, von ihrem Reichtum auch etwas an die Armen abzugeben? Der homo oeconomicus als Garant einer „gerechten Sozialordnung“ war aus der Taufe gehoben, so stellt es der Autor im zweiten Kapitel dar.
Die „liberale Idylle des Marktes“ bestimmt seitdem die politische Ökonomie, mit den Veränderungen, wie sie sich von der „Mechanik des Tauschs“ hin zur „ökonomischen Theorie der Konkurrenz“ entwickelt haben. Aus „Wert“ wird (Geld-)Papier, und die Banknote wird zum Zeichen dafür, „Geld in Umlauf zu bringen, ohne es von der Stelle zu bewegen“. Der geschlossene Zyklus von Schuld und Tilgung wird zur „Geldschöpfung aus nichts“. Das „Credo des Kapitals“, im Marxschen Sinne, hebt das Gleichgewichtsversprechen des Marktes aus den Angeln, wie der Autor dies im dritten Kapitel feststellt.
Die mit dem Abkommen von Bretton Woods nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommene Festlegung des internationalen Währungssystems auf den goldhinterlegten US-Dollar als Leitwährung und den Zusammenbruch des Systems 1973, mit der Freigabe der Wechselkurse, entwickelte sich, gepuscht durch die elektronischen und digitalen Technologien, sowie durch die vielfältigen mathematischen Formeln und medientechnischen Informationen, zu einer Bestätigung der kapitalistischen Auffassung von den stabilisierenden Kräften des Marktes und damit seiner Wirksamkeit von Ausgleich und Gegengewicht – mit dem Versprechen der „Demokratisierung der Finanzwelt und … Ordnungsgestalt“, und der Behauptung, dass die „liberale, kapitalistische Oikodizee“ der Vorsehung des Marktes entspräche, so argumentiert es der Autor im vierten Kapitel.
Im fünften Kapitel stellt Joseph Vogl fest, es bestünde kein Zweifel daran, dass (auch) die neoklassische Finanz- und Wirtschaftstheorie mit Stabilitätsannahmen und Gleichgewichtsmodellen operiere, die man deterministisch bezeichnen müsse, nämlich deshalb, weil damit „die aristotelische oder scholastische Entgegensetzung von natürlichem und künstlichem Wachstum ( ) behoben (ist).
Im sechsten und letzten Kapitel gibt der Autor zu bedenken, „dass sich die kapitalistische Ökonomie keineswegs so verhält, wie sie sich verhalten sollte, weil sich eben „Kapitalismus … nicht ohne Kapitalisten und nicht ohne kapitalistische Praktiken begreifen“ lässt“. Es sind nämlich nicht die Werte, die den Markt bestimmen sollten, sondern die „Wertgespenster“.
Fazit
Das Ende der Oikodizee verdeutlicht sich spätestens bei dem berechtigten Zweifel, „dass Wachstum Beschäftigung schafft, Privatisierung Versorgungsstandards verbessert, der Markt auf fairen Wettbewerb baut und Konkurrenz überhaupt zur allgemeinen Verteilung von Wohlstandseffekten beiträgt“; vielmehr zeigt sich in den historischen Argumentationen und realbezogenen Reflexionen über die Entstehung, Werdung und Verkapitalisierung der politischen Ökonomie, „dass Finanzmärkte als Märkte aller Märkte so operieren, dass sie mit rationalen Entscheidungsprozessen systematisch Unvernunft produzieren“.
„Das Gespenst des Kapitals“ ist kein übersinnliches, von Menschen nicht habhaftbares Monstrum, sondern ist menschengemacht. Es zu erkennen und zu bändigen bedarf es mehr als nur kosmetischer Veränderungen des kapitalistischen Systems; es erfordert einen radikale Kurswechsel, der dann möglich werden könnte, wenn es gelingt, das Werden und die Wirkungen der kapitalistisch bestimmten Ökonomie zu entdecken und zu verstehen. Dazu trägt das Essay von Joseph Vogl ausgezeichnet bei. Und die Lektüre würde sich sicherlich gut für die Arbeit in wirtschaftswissenschaftlichen Seminaren und in den Zirkeln eignen, die nach Alternativen zum traditionellen, überholten und doch so präsenten, globalen Wirtschaftssystem Ausschau halten.
hsozkult.de Rezension Jan-Otmar Hesse
Die Wirtschaftsgeschichte gehört als wissenschaftliche Disziplin zweifellos zu den Gewinnern der internationalen Finanzkrise der letzten Jahre. War in der jüngeren Vergangenheit bald kritisch, bald freudestrahlend von einer “Entökonomisierung” der Geschichtswissenschaft die Rede, scheint sich in deutschen Universitäten derzeit eine Welle neu erweckten kulturalistischen Interesses an der Wirtschaft aufzutürmen. Ob diese in Bewegung geratenden Wassermassen freilich zu einer Steigerung des Badevergnügens beitragen oder langfristig für das Verständnis ökonomischer Entwicklungen eher zerstörerisch wirken, muss sich erst noch zeigen.
Als einer der ersten Vorboten wurde nun ein Bändchen des Berliner Literaturwissenschaftlers Joseph Vogl an den Strand des Faches gespült, das zuvor mächtigen Auftrieb in der Brandung des Zeitungsfeuilletons erhalten hatte. Auf kaum 180 Textseiten beschreibt Vogl hierin die Herausbildung eines spezifischen wirtschaftswissenschaftlichen Wissensfeldes seit dem 18. Jahrhundert, welches den Charakter einer quasi-religiösen Oikodizee angenommen habe. Das Buch endet mit dem Plädoyer für eine umfassende Kritik des ökonomischen Mainstream: Der Glaube an sich automatisch einstellende ökonomische Gleichgewichte, an die Wohlstand vermehrende und damit segensreiche Wirkung von Markt und Wettbewerb sowie an langfristiges kontinuierliches Güterwachstum müsse einem differenzierenden Begriff des Kapitalismus weichen.
Diesen betrachtet Vogl nicht als eine Gesellschafts- oder Wirtschaftsstruktur, sondern als “eine bestimmte Art und Weise, das Verhältnis zwischen ökonomischen Prozessen, Sozialordnung und Regierungstechnologien nach den Mechanismen der Kapitalreproduktion zu organisieren” (S. 131). Und diese Mechanismen bestünden eben darin, dass der Zusammenhang von Warenvermehrung und Geldvermehrung sich auflöse und Geld letztlich nur noch auf sich selbst verweise. Weil diese “Mechanismen” aber eben Märkte strukturell destabilisierten, wie die Finanzkrise gezeigt habe und wie in unterschiedlichen Wirtschaftstheorien seit Mandelbrot und Minsky auch nachgewiesen worden sei, führt die kritische Erkenntnis unserer modernen Wirtschaft nach Vogl letztlich über die “Enttheoretisierung des Ökonomischen” (S. 175). Bei diesem Programm kommt schließlich die Disziplin der Wirtschaftsgeschichte zu neuen Ehren, denn sie erweise sich als “Verzweiflungsgebiet ökonomischer Theorie” (S. 142), weil sie von vornherein ihre Aufmerksamkeit dem historisch Kontingenten geschenkt habe und gleichsam das natürliche Gegenbild zu schematischer ökonomischer Theorie sei.
Erlebt die Wirtschaftsgeschichte in Vogls Erzählung also letztlich ein fulminantes Happy End, so ist sie unterwegs doch ein eher tragischer Held: Die gesamte erste Hälfte des Buches, die sich mit der Herausbildung des klassisch-neoklassischen ökonomischen Diskurses im Zusammenhang mit der modernen Marktwirtschaft beschäftigt, enthält wenig Neues für die Leser von Karl Polanyis “Great Transformation” und Michel Foucaults “Geschichte der Gouvernementalität”. Die Arbeiten dieser Autoren zu frühneuzeitlichen Märkten und der darauf bezogenen Wirtschaftstheorie wurden allerdings zwischenzeitlich durch die wirtschaftshistorische Empirie im Einzelnen widerlegt. Vogls Behauptung, dass moderne Marktwirtschaften nicht aus den städtischen Marktkulturen hervorgegangen, die “lokalen Ökonomien” vielmehr “durch das Fehlen von Marktwirtschaften und marktökonomischen Beziehungsgeflechten charakterisiert” (S. 125) seien, bezieht sich neben Polanyi auch auf den 1935 gestorbenen Henri Pirenne.
Auch Vogls Ausführungen zur Wirtschaft des 19. und 20. Jahrhunderts gehen mit den Erkenntnissen des wirtschaftshistorischen “Verzweiflungsgebietes” ausgesprochen großzügig um. Obwohl sie für seine Argumentation zentral ist, erweist sich ausgerechnet Vogls Behauptung einer tiefgreifenden Strukurveränderung der Geldwirtschaft nach dem Zusammenbruch des goldgedeckten Festkurssystems von Bretton Woods 1973 wirtschaftshistorisch als wenig stichhaltig: Zum einen stellte diese Zäsur keinen “unvordenklichen Bruch in einer Geldgeschichte von 2500 Jahren” (S. 87) dar. Internationale Festkurssysteme und Goldstandard waren seit der Verbreitung des Papiergeldes eher die Ausnahme. Der Dollar war bis 1913 reines “Fiat Money”, also nicht durch eine Einlöseverpflichtung der Notenbank gedeckt; floatende Wechselkurse existierten bereits nach dem Ersten Weltkrieg und gezwungenermaßen zwischen den Währungsblöcken nach 1931. Selbst im Zeitalter der metallischen Währungen vor 1800 waren Währungsanpassungen zahlreich und die Kurse der Handelswechsel flexibel.
Zum anderen kann keine Rede davon sein, dass sich Warenmenge und Geldmenge erst durch den Übergang zum System flexibler Wechselkurse nach 1973 auseinander entwickelten: Schon vor dem Ersten Weltkrieg machte der Bargeldumlauf (also der Teil der Geldmenge, der für alltägliche Warenzahlungen verwendet wird) in den Industrieländern kaum mehr 20 Prozent der Geldmenge aus. In Großbritannien bestand 1913 die Geldmenge zu 84 Prozent aus Bankkrediten. Die Devisentermingeschäfte andererseits, die von der Chicagoer Börse 1976 gegen die Versicherung von Wechselkursschwankungen auf Initiative von Milton Friedman eingerichtet wurden und von Vogl als ein zentrales Symptom des Übergangs zu einem auf selbsttätige Kapitalvermehrung ausgerichteten Wirtschaftssystem in den Vordergrund gerückt werden, dümpelten in den 1970er- und 1980er-Jahren mit niedrigem Volumen vor sich hin und entwickelten sich erst in den 1990er-Jahren zum Milliardengeschäft.
Man muss von Vogl nicht erwarten, dass er diese Dinge im Detail behandelt. Seinem Buch gebührt das Verdienst, sehr weite Felder der Wirtschaftsgeschichte und modernen Wirtschaftstheorie zu einer Geschichte der Kapitalismen verknüpft zu haben. Kritik ist aber schon allein deshalb zu formulieren, weil zu befürchten ist, dass im Feld der neueren Kulturgeschichte zahlreiche Vogl-Adepten in Qualifikationsarbeiten die wirtschaftshistorischen Erkenntnisse mit ähnlicher Großzügigkeit übergehen werden. Jenseits der erwartbaren falschen Vorbildfunktion stört die fehlende Berücksichtigung der Ergebnisse der Wirtschaftsgeschichte bei Vogl aber auch deshalb, weil sie systematisch theoretische Kurzschlüsse produziert. Neben den immer leidigen Datierungsfragen der “neuen Oikodizee” gehört hierzu eben auch die Beschreibung der Wirtschaftstheorie als eines Diskurses, der der “Verrätselung” ökonomischer Produktionsbedingungen dient. Diese am Anfang des Buches sehr starke Perspektive wird schon am Ende von Vogl selbst implizit widerlegt, indem er nun zahlreiche kritische Wirtschaftstheorien heranzieht, die die Instabilität von Märkten nachweisen, dabei aber unterschlägt, dass es die vermeintlich so hermetische und unkritische Wirtschaftstheorie gewesen ist, die diese Kritik hervorgebracht hat.
Weitere kritische Ansätze jenseits des Mainstreams, die Historische Schule der Nationalökonomie, Schumpeters dynamische Theorie oder die ökonomische Spieltheorie, die eben anfangs auch gegen die naive Gleichgewichtsannahme der Neoklassik angetreten war, könnte man noch hinzufügen. Vogl folgt in seiner Kritik der wirtschaftswissenschaftlichen “Oikodizee” exakt den Linien der Selbstabgrenzung des Faches, die solche Ansätze systematisch in die Sozial- und Geschichtswissenschaften semantisch ausgelagert haben. Es stellt sich mithin die Frage, ob die Oikodizee, die er für so viele Fehlentwicklungen der modernen Wirtschaft verantwortlich machen will, nicht häufig eine nur eingebildete ist, eine mit der “Realität” der Wirtschaftswissenschaft wenig vereinbare, die stärker in den Köpfen der nicht teilnehmenden Beobachter stattfindet als im Fach selbst.
Dort finden sich nämlich auch Beobachter ökonomischer Entwicklungen, die nie versucht haben Wirtschaftsentwicklung vorherzusagen, die stets vor den Risiken der Finanzmärkte gewarnt haben. Es finden sich auch Ökonomen, die nicht zu einer “Verrätselung” der ökonomischen Beziehungen beigetragen haben, sondern von deren Einsichten die Enträtselungen gerade profitieren konnten und die damit ganz konkrete wirtschaftliche Probleme gelöst haben, noch bevor Kulturhistoriker deren Auftreten überhaupt bemerkt haben. Es ist keineswegs per se unkritisch und apologetisch, wenn sich die Geschichtswissenschaft bei aller notwendigen Dekonstruktion der Diskurse und Semantiken von Finanzmarktakteuren und den sie befeuernden Disziplinen weiterhin bemüht, Leistungen und Versagen ökonomischer Akteure zu identifizieren und zu analysieren.
perlentaucher.de – Rezensions Notizen
FR Rezension C n Christian Schlüter
Großartig findet Rezensent Christian Schlüter diesen Essay des Kulturwissenschaftler Joseph Vogl, der darin der ökonomischen Lehre mit literaturwissenschaftlichen Mitteln beizukommen versucht. Vogl macht sich daran, den wirklichkeitsfernen Kern der Wirtschaftswissenschaft herauszuarbeiten und verfolgt über die Jahrhundert, auf welch fiktionalem Grund die aberwitzigsten Theoreme aufgestellt wurden. Schlüter öffnet das die Augen, und er erkennt in so manchem ökonomischen Text eine geradezu “verzweifelte Flucht nach vorn”. Dankbar ist der Rezensent auch für den Hinweis auf den Mathematiker Benoit Mandelbrot, der schon in den 60er Jahren von der “launischen oder monströsen Ereignishaftigkeit” des ganz und ganz irrationalen Marktes sprach, von den “freak events”. Überfällig erscheint Schlüter Vogls Plädoyer für eine “Säkularisierung des ökonomischen Wissens”.
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung,
Tomasz Kurianowicz kann nur hoffen, dass sich möglichst viele an diesem Text die Nase blutig schlagen werden – auf dass auch die, die es angeht, mit dem Nachdenken beginnen können. Er jedenfalls hat von Josef Vogls Analyse der Finanzmärkte gelernt, dass hinter deren angeblich komplexer Logik eine “autopoietische, systemerhaltende Unvernunft” steckt. Oder mehr noch: Da auf den Finanzmärkten eh nur Fiktionen gehandelt werden, ist der Unterschied zwischen rationalen und verrückten Entscheidungen überhaupt nicht mehr möglich. Als Urszene der entkoppelten Finanzökonomie erkennt Vogl nach Kurianowiczs Informationen die Entscheidung der Bank von England aus dem Jahr 1797, Banknoten nicht mehr durch Münzgeld zu decken. Desillusionierend findet der Rezensent diese Studie, und kühn.
Rezensionsnotiz zu Die Zeit,
Dem Rezensenten Thomas Assheuer hat Joseph Vogls Essay die Augen geöffnet. Der Kulturwissenschaftler unternimmt darin einen Angriff auf die Wirtschaftswissenschaften, deren Grundannahme vom rationalen Markt eine bloße Chimäre und deren Erkenntnisse eher unsichere Wetten auf die Zukunft seien. Marktprozesse, lernt Assheuer von Vogl, sind “grundlos, verworren und opak”, im modernen Finanzkapitalismus ist die Unterscheidung von realen und fiktiven Werten gleich ganz aufgehoben. Mit an Deleuze und Foucault geschärften Messern und “unterkühlter Eleganz”, versichert Assheuer, seziere Vogl das kapitalistische Denken, in dessen Glauben an den wohlwollenden Markt er die letzte “Metaphysik der Moderne” erkennt: Vielmehr erzeugten Märkte eine “intrazivilisatorische Wildnis”. Assheuer kann dem nur zustimmen, wendet am Ende aber doch ein, dass es durchaus unterschiedliche Schulen innerhalb der Wirtschaftswissenschaft gibt, die nicht alle über einen Kamm geschoren werden könnten. Und skeptisch fragt er, ob die Politik denn gar keine Rolle spiele?
Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.01.2011
Schön, wie Thomas Steinfeld über die Illusionen der Weltwirtschaft sprechen kann, lang und kenntnisreich. Ob er sein Wissen aus Joseph Vogls im Stile politischer Ökonomie geschriebener Abhandlung hat? Wir vermuten es mal, denn Steinfeld erwähnt Vogl natürlich in seiner Besprechung. Er erklärt sogar, was politische Ökonomie kann und was Vogl mit dem alles bestimmenden Gegensatz von ökonomischem Vernunftglauben einerseits und der Vermutung eher irrationaler Mechanismen im Marktgeschehen andererseits macht: Er löst ihn nicht auf, sondern konstatiert ihn zunächst einmal bloß, was Steinfeld auch angemessen zu finden scheint. Am Ende weiß er, wissen wir eigentlich nur eines beinahe ganz sicher: Das Kapital ist ein Gespenst. Laut Steinfeld ist das immerhin ein erster Schritt zum Verständnis der ganzen Veranstaltung rund ums goldene Kalb.
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Die Geschichte des Irrealen beginnt für Vogl nicht erst bei den von wirtschaftlichen “Fundamentaldaten” weitgehend losgelösten Termingeschäften, sondern gleich schon bei den Anfängen der neuzeitlichen Ökonomie, die ihre Entwürfe auf dem Konzept eines “ökonomischen Menschen” aufbaut. Dieses durch Begierden und Interessen definierte Wesen, das im siebzehnten Jahrhundert zum ersten Mal auftaucht, findet seinen literarischen Typus in der Romangestalt Robinson Crusoe, die weiß, dass “die Ordnung der Welt weder gegeben noch unmöglich ist, sondern hergestellt werden muss”. Alle Gesetze und Einrichtungen haben sich fortan daran zu messen, wie sehr sie dieser Idee des Menschen entsprechen, dessen Selbstsucht der neuen Theorie nach umso mehr ungewollt zum Wohl aller gereiche, als sie nicht durch den Staat unnötig eingeschränkt ist. So ist für Vogl die Marktgesellschaft neueren Typs keineswegs organisch aus den früheren bedarfsorientierten lokalen Märkten erwachsen, sondern aus der Unterwerfung der Gesellschaft unter ein angebliches Naturgesetz. Seither fungiere “Markt” auch nicht bloß als Beschreibungsfigur, sondern als Utopie, als “idealbildliche Abstraktion”, dem sich die real existierende Wirtschaft nur mehr und mehr annähern könne: “Auch wenn man nicht wirklich wissen kann, ob Realökonomien tatsächlich zum Ausgleich tendieren, müssen Gleichgewichtsannahmen als eine logische oder theoretische Notwendigkeit angesehen werden.”Die nächste entscheidende Abstraktionsstufe erkennt Vogl in der Banknote. Seitdem zuerst die Bank von England 1797 von der Pflicht befreit wurde, die “beständige Deckung des umlaufenden Papiergelds zu garantieren”, sei die Banknote gleichzeitig durch das Versprechen auf die Realisierung eines bestimmten Geldbetrags gekennzeichnet wie durch das Fehlen ebendieses Betrags. Damit ein solches System nicht gleich zusammenbricht, ist ein endloser Aufschub nötig, eine in eine unabsehbare Zukunft hinein verlängerte Kette von Zahlungsversprechen. “Die Kreditzirkulation”, schließt Vogl, “basiert auf der Paradoxie eines ,sich selbst garantierenden Geldes’ und erweist sich als Schauplatz effektiver Fiktionen oder ,Dichtung’, auf dem der Umlauf des Scheinhaften tatsächlich zur Determinante ökonomischer Relationen gerät.”Mandelbrot glauben! Diese Grundkonstellation wurde in Vogls Lesart in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dann radikalisiert und zur Probe auf die Reinheit des Marktes schlechthin erhoben. Nachdem die Vereinbarung von Bretton Woods, die die Finanzmärkte am Goldstandard orientieren wollte, aufgekündigt worden war, gewann ein Manifest an Einfluss, in dem Milton Friedman forderte, die Absicherung gegen die Risiken des Marktes den Märkten selbst zu überlassen. Währungsschwankungen sollten also mit Währungsterminkontrakten abgesichert werden, Preisdifferenzen mit Wetten auf Preisdifferenzen. “Hier werden”, formuliert Vogl, “gegenwärtige Preise für Nichtvorhandenes nach der Erwartung künftiger Preise für Nichtvorhandenes bemessen. Hier werden Preise mit Preisen bezahlt.” Der Markt der entsprechenden Finanzprodukte entwickelte sich zum weltweit größten Markt überhaupt; wo der Handel mit Derivaten etwa, bei denen auf die Entwicklung von Kreditpaketen gewettet wird, Anfang der siebziger Jahre bloß ein Volumen von wenigen Millionen Dollar hatte, erreichte er hundert Milliarden im Jahr 1990 und etwa hundert Billionen zehn Jahre später – “das Dreifache des weltweiten Umsatzes an Verbrauchsgütern”, wie Vogl lakonisch vermerkt.
Vogl, Joseph. Kapital und Ressentiment (German Edition) C.H.Beck. Kindle Edition.
(p. 6)
So wird die gegenwärtige Internetindustrie zunächst als Erneuerung eines Finanzregimes begriffen, das sich seit den 1970er Jahren formierte und über diverse Krisen hinweg mit der Bewirtschaftung von Informationen aller Art eine neue Quelle der Wertschöpfung erschloss. Information ist zur wichtigsten Ressource im gegenwärtigen Kapitalismus geworden. …
Elektronische Netzwerke haben vielmehr eine effektive Fusion von Finanz- und Informationsökonomie ermöglicht, die eine schnelle Expansion des Finanzsektors und die Hegemonie des Finanzmarktkapitalismus bewirkte.
(p. 8).
Die ‹Krisen› sind stationär geworden. Vor allem aber zeichnet sich darin die allmähliche Verfertigung eines ökonomischen Regimes ab, in dem seit vier Jahrzehnten das Zusammenwirken von misslichen Umständen, Zwangslagen, neuen Geschäftsideen, rabiaten politischen Interventionen und ideologischen Konjunkturen zu einem Ausbruch des Finanzkapitals aus seiner wohlfahrtsstaatlichen Einhegung geführt hat, um nun das Geschick von Nationalstaaten, Gesellschaften und Volkswirtschaften zu diktieren.
Vorbemerkung
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Man stößt dabei auf den – auch hermeneutisch – schwierigen Umstand , dass das ökonomische Wissen der letzten dreihundert Jahre die wirtschaftlichen Tatsachen geschaffen hat , mit deren Entzifferung es sich selbst konfrontiert .
Highlight (yellow) – Location 41
wie die moderne Finanzökonomie eine Welt zu verstehen versucht , die durch sie selbst hervorgebracht wurde .
Erstes Kapitel: Der schwarze Schwan
Highlight (yellow) – Location 91
Demgegenüber werden im Takt der Nanosekunden , den die Oszillatoren der Börsen – und Devisenmaschine diktieren , die Spuren der Geschichte ausgelöscht , annulliert im Sog der Futures und ihrer Derivate – die Gegenwart » wird aus der Welt gesaugt , um Platz zu schaffen für die Zukunft der unkontrollierten Märkte und ihre riesigen Investitionspotenziale . Die Zukunft wird dringlich «
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Die Kräfte des Kapitals waren niemals bewahrend oder › konservativ ‹ . Andererseits aber haben sie sich von der Sphäre der Produktion selbst gelöst . Mit der Allianz von » Technologie und Kapital « ( 31 ) ist die Kultur des Marktes ebenso total wie schwerelos geworden , die Kapitalbewegung entgrenzt sich , befreit sich von den materiellen Erscheinungsformen des Reichtums und hat sich in einer » Zeit jenseits von Geographie und greifbarem Geld « ( 45 ) installiert .
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Hintergrund dafür ist tatsächlich ein technisch – ökonomischer Umbruch ,
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einem exponentiellen Mobilitätszuwachs im Kapitalverkehr führte .
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eine gewisse Perplexität innerhalb des ökonomischen Wissens selbst , auf eine offene Frage danach , ob und wie sich hier noch eine Idee von der Kohärenz der ökonomischen Welt manifestiert . Denn im Grunde hält die Wirtschaftswissenschaft , diese Glaubenslehre unserer Tage , völlig verschiedene und widersprüchliche Interpretationen parat , um die Geschehnisse und Ereignisstürme im gegenwärtigen Finanzgeschäft zu erklären
232
Eugene Fama
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die bare Irrationalität eines Spekulationsgeschäfts adressiert , das sich grundsätzlich von allen Gesetzmäßigkeiten des Warenmarktes , von den Prinzipien ökonomischer Rationalität und von der Basis der so genannten Realökonomie abgetrennt hat .
Highlight (yellow) – Location 250
Der Markt ist hier also weder effizient noch rational , sondern schlicht ahnungslos .
Highlight (yellow) – Location 258
eigentümliche Zwiespältigkeit im finanzökonomischen Wissen konstatieren .
Highlight (yellow) – Location 266
Andererseits operiert die geläufige Praxis der technischen Analyse mit einer Beobachtungsform , die von diesen referenziellen Dimensionen konsequent absieht .
Highlight (yellow) – Location 273
dechiffriert und von vergangenen Notierungen auf wahrscheinliche Zukünfte schließt .
Highlight (yellow) – Location 293
Es steht hier nicht weniger als die Konsistenz , d.h . der Ordnungsgehalt des finanzökonomischen Systems auf dem Spiel .
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Es handelt sich also um Streitfragen innerhalb der ökonomischen Fakultät . Ob die Geschichte von Notierungen Lehren für zukünftige Kursverläufe und Investitionen bietet oder eben nicht ; ob und wie Kursschwankungen mit ökonomischen Fundamentaldaten und mit den Umständen der Restwelt zusammenhängen , ob und auf welche Weise sich ein fiktives Zeichenspiel von einer so genannten Realökonomie abgelöst hat ; ob die Bewegungen auf den Finanzmärkten gesetzmäßig oder rein zufällig geschehen ; wie motiviert oder grundlos Zahlungsereignisse auf Zahlungsereignisse folgen ; ob das Finanzgeschehen entweder effizient oder chaotisch – oder effizient und chaotisch zugleich – funktioniert ; ob die Dynamik der Märkte ein rationales Zusammenspiel oder Manifeste reinster Unvernunft präsentiert –
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Raum . » Auf keinem Gebiet der empirischen Forschung « , bemerkte etwa der Ökonom Wassily Leontief , » ist je eine so ausgeklügelte statistische Maschinerie mit derart mäßigen Ergebnissen verwendet worden . « 17
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Daher lauten die entsprechenden Fragen : Sind die irrationalen Exuberanzen wirklich Ausnahmefälle oder nicht eher reguläre Prozesse im Getriebe kapitalistischer Ökonomien ? Reicht die Unterscheidung von rational und irrational überhaupt hin , die Effekte dieses Systems zu fassen ? Hat man es wirklich nur mit der Unzuverlässigkeit , mit der begrenzten Einsicht des Finanzpersonals zu tun ? Oder begegnet ökonomische Rationalität hier nicht unmittelbar ihrer eigenen Unvernunft ? Liegt hier eine Ordnungsgestalt oder bloß ein planloses Aggregat von verstreuten Einzelhandlungen vor ? Arbeitet das System tatsächlich rational und effizient ? Und gibt es überhaupt ein plausibles finanzökonomisches Narrativ ?
Zweites Kapitel: Idylle des Markts I
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Denn das ökonomische Wissen , das sich seit dem siebzehnten Jahrhundert herkommend aus Naturrechtslehren , politischer Ratgeberliteratur und Moralphilosophie formiert , gewinnt seine Systemgedanken auch in der Erwartung , dass nach den Fortschritten in Mathematik , Astronomie , Physik oder Medizin die Bewegungsgesetze menschlichen Handelns ebenso aufgedeckt werden könnten wie die der Gestirne und der natürlichen Körper .
Highlight (yellow) – Location 346
die Dynamik sozialer und politischer Kräfte nach dem Erkenntnismodell empirischer Naturerfahrung zu systematisieren .
Highlight (yellow) – Location 370
Und eine politische Empirie kreist nun um ein Gattungsexemplar , das mit seinen unzuverlässigen Empfindungen und Einbildungen , mit seinen üblen Leidenschaften und Begierden in Rechnung gestellt wird .
Highlight (yellow) – Location 382
Die Bienenfabel von Bernard Mandeville vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts , hatte seitdem eine gewisse Konjunktur erlebt und rief ein weitreichendes Sozialtheorem auf den Plan .
Highlight (yellow) – Location 389
Das ist der Fluchtpunkt des Arguments : Was bei den Einzelnen lasterhaft , irregulär und verwerflich erscheint , ergibt im ganzen Zusammenhang eine dynamische und stimmige Ordnung .
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Der Fluchtpunkt all dieser passionellen Dynamiken liegt , so heißt es , in einer Mechanik der Interessen . Im Kern aller Aktionen und Passionen , im Kern aller Begierden und Neigungen steckt zuletzt ein nicht weiter reduzierbares Element , das man seit dem siebzehnten Jahrhundert » Interesse « oder » Eigeninteresse « nennt .
Highlight (yellow) – Location 408
dirigiert . Damit zeigt sich das Interesse zugleich als Form eines Wollens , das nicht über Askese , Selbstbeherrschung und Zügelung , sondern umgekehrt durch Selbstbehauptung funktioniert . Das Interesse kennt den Selbstverzicht nicht . Es fungiert als ein prinzipienloses Prinzip .
Highlight (yellow) – Location 420
Der Mensch , der sich im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert formiert , kennt keinen Sündenfall , er ist weder gut noch böse , weder teuflisch noch engelhaft , sondern funktional und dysfunktional zugleich . Er ist dysfunktional , weil er nur widerstrebend und zufällig in Gesellschaft gelangt ; und er ist funktional , weil sich gerade aus diesem Widerstreben der gesetzmäßige und berechenbare Strebenszusammenhang aller mit allen ergibt .
Highlight (yellow) – Location 430
» Es ist möglich , « konstatiert etwa Amartya Sen in seiner Kritik ökonomischer Verhaltenslehren , » das Interesse einer Person so zu definieren , dass sie bei allem , was sie tut , so betrachtet werden kann , als folge sie in jeder einzelnen Entscheidung ihren eigenen Interessen . «
Highlight (yellow) – Location 445
Der ökonomische Mensch ist ein Spezialist der Anfänge und Situationen , und er ist es deshalb , weil er die Dinge der Welt nicht nach wahr und falsch , gut und böse , gerecht und ungerecht sortiert , sondern nach den Kriterien von Gewinn und Verlust verfährt . Bis heute hat ihm die ökonomische Theorie das attestiert : Es gäbe keinen ökonomischen Menschen , böte die Realität nicht eine Gelegenheit , die Vielfalt ihrer Erscheinungen und Signale geschäftsmäßig und nach dem Muster von Nutzen und Nachteil zu organisieren .
Highlight (yellow) – Location 451
Seine Rationalität ist rational nur ,
Highlight (yellow) – Location 451
weil sie anspruchslos und lokal bleibt .
Highlight (yellow) – Location 471
in der Tauschrelation findet das Interesse schließlich das Prinzip gesellschaftlicher Vernunft . 11
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angelangt : Der ökonomische Mensch ist zuverlässig durch Beschränktheit , sozial durch mangelnde Sozialität und wird dazu gebracht , durch seine Interessen und im Tausch einen ihm selbst äußerlichen Zweck hervorzubringen . Vor allem aber regiert er sich selbst und andere am besten , wenn man ihn nicht regiert . Nichts – und das wird eines der Leitmotive der späteren Liberalismen sein – ist schädlicher als eine Regierung , die das Gute will , und viel eher gilt hier ein mephistophelisches Programm , der Verweis nämlich auf eine Macht , die stets das Böse will und ungewollt das Gute , das Beste für alle tut .
Highlight (yellow) – Location 481
Der ökonomische Mensch ist Subjekt seiner beschränkten Interessen , aber Medium der bürgerlichen Gesellschaft .
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Hundert Jahre vor Adam Smith etwa war damit ein verstecktes Wirken im Zusammenhang der Naturdinge gemeint , ein kosmologisches Geschehen , das sich wie die Mechanik eines Uhrwerks hinter der bloßen Sichtbarkeit von Zeiger und Zifferblatt verbirgt : » Die Natur wirkt nämlich mit einer Unsichtbaren Hand in allen Dingen . « 12
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Die unsichtbare Hand ist also auch hier ein Faktum der Kosmologie ;
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stillt . Trotz oder gerade wegen ihrer » natürlichen Selbstsucht und Habgier « teilen also die Reichen ihren Reichtum den Armen mit , und wörtlich heißt es : » Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt , beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen , die zustandegekommen wäre , wenn die Erde zu gleichen Teilen unter all ihre Bewohner verteilt worden wäre ; und so fördern sie , ohne es zu beabsichtigen , ja ohne es zu wissen , das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gattung . « 14
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Spätestens seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts werden ökonomische Subjekte durch eine Einverseelung des Mangels produziert , sie sind zu Automaten des Begehrens geworden , die notwendig wollen ( müssen ) , was sie nicht bekommen .
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Das bedeutet erstens , dass dieser neuzeitliche ökonomische Mensch nicht nur als rationales , sondern als passionelles Subjekt auf die Bühne tritt und seine Leidenschaften allenfalls über eine Mechanik der Interessen reguliert . Zweitens agiert er als blindes Subjekt eines beschränkten Wissens . Gerade in seiner Blindheit produziert er – ungewollt und unbewusst – die Harmonie des sozialen Verkehrs .
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Drittens ist dieser ökonomische Mensch ein Staatsfeind im besonderen Sinn .
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Viertens aber verschlägt diese Feindschaft nicht , dass mit dem ökonomischen Menschen zugleich ein besonders gut regierbares Exemplar verwirklicht wurde .
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Darum ist der Markt nicht irgendein Schauplatz , sondern Ort von sozialer Ordnung schlechthin : ein Katalysator , der Leidenschaften in Interessen , egoistische Interessen aber in einen glücklichen Zusammenhang transformiert und darin einem Naturgesetz folgt .
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Theodizee
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koordinieren . Das Preissystem übernimmt die Aufgabe , ein abwesendes Zentrum zu ersetzen und ebenso unbeabsichtigt wie unbewusst aus divergierenden Einzelkräften die Emergenz sozialer Ordnung zu garantieren .
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In dieser Hinsicht ist der Markt zu einem Schauplatz für die Verwirklichung praktischer Vernunft geworden , und diese folgenreiche moralphilosophische Wendung wurde ein erstes Mal wohl von den Physiokraten ausdrücklich reklamiert , also von jenen politökonomischen Theoretikern , denen man erste Versuche einer systematischen Fassung des Wirtschaftslebens nachsagen konnte .
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Was später einmal › Liberalismus ‹ heißen wird , hat sich also zunächst als Naturalismus formiert ; und die so genannten Freiheiten des Markts bestehen vor allem darin , dass sich eine Pflicht zur Entfesselung seiner Subjekte mit der Verpflichtung kombiniert , Regierungen und Akteure den naturwüchsigen Marktgesetzen zu unterwerfen .
Highlight (yellow) – Location 599
Smiths Gleichgewichtstheorie wird nämlich durch die glückliche Korrelation zweier Preistypen bestimmt , die miteinander interagieren – einerseits durch die tatsächlichen Marktpreise , die sich über die schwankenden Proportionen von Angebot und Nachfrage ergeben ; andererseits durch den inneren , zentralen oder » natürlichen Preis « , dessen Höhe sich aus dem Aufwand für Bodenrente , Arbeitslohn und Kapitalgewinn errechnet .
Highlight (yellow) – Location 609
Wie für die analytische Mechanik Lagranges oder Laplaces die Himmelskörper periodisch um eine stabile Bahn herum schwanken , oszillieren die mehr oder weniger zufälligen Marktpreise langfristig um einen natürlichen Preis ,
Highlight (yellow) – Location 614
sosehr wurde das Gleichgewichtstheorem nun zu einem wesentlichen Angelpunkt ökonomischen Wissens und über Ricardo , Walras , Jevons und Pareto in die Doktrinen des zwanzigsten Jahrhunderts übermittelt . 25 Ökonomische Theorie wurde als Gleichgewichtstheorie geboren .
Drittes Kapitel: Zeit des Kapitals
Highlight (yellow) – Location 642
Bis heute werden die Ideen von Ausgleich und Gleichgewicht als wichtigster Beitrag ökonomischen Wissens zum allgemeinen Verständnis von sozialen Prozessen begriffen , und sie liefern mit dieser Oikodizee , mit der liberalen Idylle des Marktes zugleich eine Art evolutionärer Fabel der Marktgesellschaft .
Highlight (yellow) – Location 653
ein begrenztes Spektrum gemeinsamer Grundannahmen aus :
Viertes Kapitel: Idylle des Markts II
Highlight (yellow) – Location 1066
dass diese episodischen Verwerfungen und Fragen auch weiterhin den Blick auf die Epochalität von Wirtschaftssystemen und finanzpolitischen Maßnahmen bestimmten . Einen neuen und besonderen Schauplatz hierfür bieten die sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts und mit ihnen eine Konstellation , die sich als Wiederkehr und Variante der › romantischen ‹ Situation um 1800 interpretieren lässt . Auch hier wurde eine » Finanzrevolution « , eine » historische Wasserscheide « , eine » bedeutende geldgeschichtliche Diskontinuität « , eine » beispiellose « Situation und ein » einmaliger « Vorgang , ein Wendepunkt und der Anfang einer neuen finanzökonomischen Ära registriert . 3
Highlight (yellow) – Location 1088
es wurde jedenfalls als schwieriger , inkohärenter oder gar unmöglicher Kompromiss zwischen unvereinbaren Positionen , zwischen Goldgarantie und Währungsparitäten , Ausgleichsmechanismen , Devisenbewirtschaftung und flexiblen Währungskursen angesehen .
Highlight (yellow) – Location 1106
Es wurde darin ein langsamer , aber endgültiger Übergang von Warengeld zu Kreditgeld , von gedeckten zu ungedeckten Währungssystemen gesehen . Mit dem Ende von Bretton Woods galt ungedecktes Papier – oder Rechnungsgeld nicht mehr als vorübergehender Notbehelf in Zeiten der Krise , sondern als Voraussetzung , Funktionselement und unvermeidliches Schicksal im internationalen Kapitalverkehr . Dies rechtfertigte wohl eine Rhetorik des Epochalen .
Highlight (yellow) – Location 1111
ein unvordenklicher Bruch in einer Geldgeschichte von 2.500 Jahren festgestellt .
Highlight (yellow) – Location 1113
ein System flexibler und › floatender ‹ Währungskurse zusteuert , auf ein Regime flottierender Signifikanten ohne Anker und Maß , ohne die Sicherung durch ein transzendentales Signifikat .
Highlight (yellow) – Location 1116
Was für die kreditökonomische Szene um 1800 die episodische und lokale Zirkulation uneinlösbarer Zahlungsversprechen gewesen war , wurde einhundertundsiebzig Jahre später zu einem globalen finanzökonomischen System , das gerade mit der Auflösung von Wertreferenten modellhaft geworden ist . Zweifellos lag darin auch eine neue Herausforderung an die ökonomische Theorie .
Highlight (yellow) – Location 1127
Tatsächlich ergab sich ein ebenso theoretisches wie praktisches Experimentierfeld , auf dem die Produktion neuer Märkte und Marktbedingungen noch einmal und endgültig die Konsistenz einer kapitalistischen Oikodizee bewahrheiten sollte . Dies ist die Stunde für die Systemprogramme des neuen Liberalismus . So bot das Ende von Bretton Woods nicht nur die Aussicht auf fluktuierende Devisenkurse und monetäre Instabilitäten , sondern zugleich die Möglichkeit , gerade im freien Spiel der Finanzmärkte die ordnende Vernunft von Marktmechanismen überhaupt zu beweisen .
Highlight (yellow) – Location 1137
Nach dem Ende des Abkommens von Bretton Woods sind kontinuierliche Devisenkursschwankungen und somit Währungsrisiken im internationalen Handels – und Kapitalverkehr zu einer prekären Tatsache geworden . Sie erzeugen nicht nur Ungewissheit und Volatilität , sondern hohe Versicherungskosten für die entsprechenden Transaktionen . Daher erscheint es angebracht , passende Finanzinstrumente bereitzustellen und die Prozeduren der Absicherung den Marktmechanismen selbst zu überlassen . Dies kann nur durch die Schaffung neuer Finanzmärkte und einen Terminhandel mit Devisen oder Währungsfutures geschehen . Schwankende Währungskurse werden mit Währungsterminkontrakten abgesichert oder › gehedged ‹ ; mögliche Preisdifferenzen lassen sich mit Wetten auf mögliche Preisdifferenzen versichern .
Highlight (yellow) – Location 1144
und » je größer das Volumen der spekulativen Aktivität « bemessen ist , » desto besser « und effizienter wird der Markt funktionieren .
Highlight (yellow) – Location 1146
Für die Kosten der Währungsrisiken kommt also nun das Marktsubjekt selbst auf , Geldpolitik wird der Marktbewegung überlassen .
Highlight (yellow) – Location 1151
Mit der Gründung des Gelds auf den Handel mit Derivaten wird der Wert von Währungen weder von Staaten noch von Goldschätzen , sondern allein vom Marktmechanismus garantiert .
Highlight (yellow) – Location 1170
So übernehmen in der Genealogie gegenwärtiger Finanz – und Kreditökonomie zunächst Termingeschäfte oder Futures eine zentrale und strukturierende Funktion . Sie müssen als perfekte kapitalistische Erfindungen und als Grundprinzip des Kapitalverkehrs angesehen werden , sie sind so alt wie der Kapitalismus selbst und lassen die Zukunftsneigung als Motiv für die Entwicklung immer neuer Finanzprodukte erscheinen .
Highlight (yellow) – Location 1180
Andererseits zeigt die Geschichte des Terminhandels , dass sich hier eine nicht – triviale Abkopplung eines Zeitgeschäfts vom Warentausch vollzogen hat .
Highlight (yellow) – Location 1182
Dabei ging es nicht zuletzt um die Schwierigkeit , › reale ‹ ökonomische Transaktionen von › fiktiven ‹ abzugrenzen .
Highlight (yellow) – Location 1189
real intent oder eine intention to deliver , bemerkbar sei – ob und wie auch immer der entsprechende Transfer dann zustande gekommen sein mag . Spätestens mit einer Kasuistik dieser Art , die die rechtlichen Überlegungen und Antispekulationsgesetze seit dem neunzehnten Jahrhundert prägte , wurde die provisorische Grenzziehung zwischen wirklichen und unwirklichen Werten , zwischen realen und fiktiven Geschäften kritisch oder obsolet ; schon Pierre – Joseph Proudhon hat darum ganz folgerichtig den Terminhandel als notwendiges , unumgehbares Funktionselement in einer kapitalistischen , d.h . von Angebot und Nachfrage , Preisschwankungen und Gewinnmargen bestimmten Unternehmenswirtschaft deklariert . 12 Und
Highlight (yellow) – Location 1201
wurden . Tatsächlich also lässt sich die Logik des Future – Handels nur so beschreiben , dass er die physischen Bedingungen der Produktion ebenso umgeht wie die Materialität von Transfer und Transport . In ihm wird die Bindung zwischen Ware und Preis , zwischen Zahlung und Wertreferenten gelockert oder gelöst , wie es schon Max Weber formulierte . Hier wird » ein Geschäft geschlossen über eine nicht gegenwärtige , oft noch unterwegs befindliche , oft erst künftig zu produzierende Ware , zwischen einem Käufer , der sie regelmäßig nicht selbst behalten , sondern ( womöglich noch ehe er sie abnimmt und bezahlt ) mit Gewinn weitergeben will , und einem Verkäufer , der sie regelmäßig noch nicht hat , meist nicht selbst hervorbringt , sondern mit Gewinn erst beschaffen will . « 14 Und das heißt : Jemand , der eine Ware nicht hat , sie weder erwartet noch haben will , verkauft diese Ware an jemanden , der diese Ware ebenso wenig erwartet oder haben will und sie auch tatsächlich nicht bekommt . Die Dynamik der Termingeschäfte , Motor und Angelpunkt der kapitalistischen Ökonomie , beruht also auf zwei zentralen Funktionselementen . Zunächst auf einer selbstbezüglichen Kommunikation : Hier beziehen sich Preise nicht auf Waren und Güter , sondern selbst wieder auf Preise ; hier werden gegenwärtige Preise für Nichtvorhandenes nach der Erwartung künftiger Preise für Nichtvorhandenes bemessen . Hier werden Preise mit Preisen bezahlt . Die Preise sind also die Waren selbst , tatsächlich von der Bindung an materielle Lasten und Beschwernisse befreit und rechtfertigen den Titel eines selbstreferenziellen Marktgeschehens .
Highlight (yellow) – Location 1217
Kapitalarten – etwa Handels – , Produktions – und Kreditkapital – durch Finanzderivate vergleichbar gemacht , ineinander übersetzbar und homogenisiert .
Highlight (yellow) – Location 1223
werden Investition und Spekulation nicht nur verwechselbar , sondern als symmetrische Seiten ein und derselben Operation virulent .
Highlight (yellow) – Location 1225
Vor dem Hintergrund einer langen Semantikgeschichte verliert die Spekulation ihre spezifische Differenz , sie wird zum Synonym für die Beschaffung von Liquidität .
Highlight (yellow) – Location 1237
Schon seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurden darum Modelle entworfen , die einen Abgleich von Kauf – und Verkaufsentscheidungen mit der statistischen Wahrscheinlichkeit von Kursverläufen bei Börsengeschäften garantieren sollten .
Highlight (yellow) – Location 1241
Hinsicht verwundert es nicht , dass die prominentesten und folgenreichsten dieser Versuche wiederum in den 1970er Jahren formuliert wurden
Highlight (yellow) – Location 1243
um Verfahren , die wahrscheinlichkeitstheoretische Figuren ins Innere finanzökonomischer Geschäftspraktiken verpflanzen .
Highlight (yellow) – Location 1245
Merton , Fischer Black und Myron Scholes
Highlight (yellow) – Location 1253
Anstrengungen von Black , Scholes und Merton die exemplarische Verfertigung eines theoretischen oder diskursiven Objekts verzeichnen , das die mathematische Formalisierung mit der Annahme bestimmter Steuerungsideen und einigen Hypothesen über die Funktionsweise von Finanzmärkten kombiniert .
Highlight (yellow) – Location 1256
Unterstellung ,
Highlight (yellow) – Location 1258
Hypothese von der Effizienz der Märkte ,
Highlight (yellow) – Location 1268
» in dem Preise vollständig die erhältlichen Informationen reflektieren « , kann effizient genannt werden . 18 › Effizienz ‹
Highlight (yellow) – Location 1278
Ihre Effizienz bringt es vielmehr mit sich , dass sich im Innern dieses Marktgeschehens eine gleichsam stochastische Zufallsbewegung installiert . So wurde etwa in den 1960er Jahren eine Dissertation aus dem Jahr 1900 wiederentdeckt , in der der Mathematiker Louis Bachelier unter der Betreuung von Henri Poincaré die Oszillation von börsennotierten Kursen nach dem Vorbild molekularen Gestöbers ( wie der brownschen Bewegung ) formalisierte .
Highlight (yellow) – Location 1291
geworden , die Random Walk Theory zu einem notwendigen Komplement der Efficient Market Hypothesis .
Highlight (yellow) – Location 1320
Das prägt die Parameter jener berühmten Differentialgleichung , die stochastische Prozesse mit einer Funktion für logarithmische Normalverteilungen zu fassen versucht
Highlight (yellow) – Location 1336
mathematische Repräsentation gängiger Marktlogiken erkennen ,
Highlight (yellow) – Location 1341
die Erfindung neuer Finanzprodukte und die Funktion von Derivatmärkten sind mathematisch legitimiert .
Highlight (yellow) – Location 1343
Art » enacted theory « erkennen . Hier dokumentiert sich die performative Qualität eines Kalküls . Mit ihm erzeugen Finanzderivate die Bedingung ihrer Möglichkeit und appellieren an einen Markt , auf dem sich ihre eigene ökonomische Rationalität wird bewahrheiten können .
Highlight (yellow) – Location 1347
nicht einfach eine Prognostik von Marktereignissen , sondern die Einrichtung von Protokollen , nach denen dann die Märkte selbst operieren .
Highlight (yellow) – Location 1363
Entsprechend wurde die Infrastruktur moderner Finanzökonomie durch elektronische und digitale Technologien , also durch die konsequente Verschränkung von Informationsverarbeitung und Telekommunikation definiert :
Highlight (yellow) – Location 1366
Finanzmaschine erkennen , in der sich ein Großteil weltgesellschaftlicher Wohlfahrt entscheidet ,
Highlight (yellow) – Location 1373
wirkungsvolle Fusion zwischen Finanztheorie , Mathematik und Informationstechnologie eingestellt . Sofern die Idee effizienter Märkte eine Effizienz von Informationsverarbeitung verlangt , lässt sich hier tatsächlich eine Imitation von Theorie durch die ökonomische Wirklichkeit verzeichnen :
Highlight (yellow) – Location 1384
Das Black – Scholes – Modell wurde zur » erfolgreichsten Theorie nicht nur auf dem Gebiet der Finanzen , sondern in der gesamten Ökonomik « erklärt ,
Highlight (yellow) – Location 1394
Wenn sich internationale Finanzökonomie als technisch implementierte Geldtheorie begreifen lässt , so übernimmt Geldzirkulation darin die Funktion eines Information produzierenden Apparats und kann als ein wesentlicher Aspekt dessen gelten , was man Informationsgesellschaften nennt . 31
Highlight (yellow) – Location 1400
Das ist der reklamierte › Newtonismus ‹ des Systems .
Highlight (yellow) – Location 1406
und einen wundervollen Geschäftsauftrag erhält : » Je mehr wir [ mit Finanzderivaten ] handeln , desto besser für die Gesellschaft , weil dann umso weniger Risiken vorhanden sind . « 33
Highlight (yellow) – Location 1409
Sofern sich – am Leitfaden von Normalverteilungen , Mittelwerten und Gauß’schen oder Glockenkurven – die Streuung künftiger Ereignisse nach der Variationsbreite vergangener Unvorhersehbarkeiten bemisst und künftige Risiken sich analog zu
Highlight (yellow) – Location 1411
bestehenden verhalten sollen , werden die Geschäftsroutinen der Finanzmärkte davon getragen , dass sich Zukunftserwartungen in erwartete Zukünfte übersetzen lassen und sich insgesamt eine mehr oder weniger verlässliche Homogenität zwischen künftiger Gegenwart und gegenwärtiger Zukunft einstellen wird .
Note – Location 1413
finally got the self fulfilling prophecy of this prescriptive reflexive loop, operationalisation of reductionist representastion into the new real
Highlight (yellow) – Location 1423
Black – Scholes – Modell
Highlight (yellow) – Location 1425
fungiert als technisch implementierte Wirtschaftstheorie und konnte als Muster für die Verwaltung von Risiken überhaupt , als generelle politische Regulierungstechnik begriffen werden . Weil sich mit einem neuen Liberalismus auch die Vision formierte , dass alle Ereignisse und Verhältnisse der Lebenswelt mit einem Marktwert ausgestattet werden könnten – in einer perfekten kompetitiven Welt braucht man nichts als den Preis der Dinge zu kennen – , kann ein differenzierter , gleichsam molekularer Markt mit securities , Optionen und Derivaten jede mögliche Zukunft absichern und noch einmal eine Art irdischer Providenz garantieren .
Highlight (yellow) – Location 1445
Ausgestattet mit modernen digitalen Technologien können wir diese finanzökonomischen Lösungen nun Wirklichkeit werden lassen . «
Highlight (yellow) – Location 1449
Anpassung von Gesellschaften an kontinuierliche Risikolagen vollzogen . Darin lässt sich wahrscheinlich eine Reform älterer Vorsorge – und Wohlfahrtsstaaten und die Entstehung eines neuen Formats verzeichnen , das nicht nur den Titel einer Wettbewerbsgesellschaft , sondern auch den einer modularen Risikokultur verdient .
Highlight (yellow) – Location 1467
Es überrascht daher nicht , dass finanzökonomisches Denken immer wieder und fast zwangsläufig der Versuchung erliegt , ein Ende der Geschichte zu denken .
Highlight (yellow) – Location 1479
die » liberale Revolution des ökonomischen Denkens « mit einer endgültigen Allianz von liberaler Demokratie und » freiem Markt « zusammengebracht
Fünftes Kapitel: Ökonomische und soziale Reproduktion
Highlight (yellow) – Location 1498
Die Ordnung dieser Oikodizee ist von einem dynamischen Gleichgewicht geprägt , in dem der atomisierte Wettbewerb auf den Finanzmärkten eine Zirkulation des Risikos initiiert und eine Balance zwischen der Ungewissheit gegenwärtiger Zukünfte und den Erwartbarkeiten künftiger Gegenwarten in Aussicht stellt .
Highlight (yellow) – Location 1501
› Finanzialisierung ‹
Highlight (yellow) – Location 1503
wachsende Volumen von Finanzprodukten und deren Renditen , durch die Privilegierung von Finanzmärkten überhaupt charakterisiert .
Highlight (yellow) – Location 1515
notorische und folgenreiche Ausgrenzung von Geldwirtschaft bzw . Chrematistik aus dem Bezirk des Politischen , deren Resonanzen über die Scholastik bis weit in die neuzeitliche
Highlight (yellow) – Location 1516
politische Ökonomie hineinreichen .
Highlight (yellow) – Location 1528
Die oikonomía ist zwangsläufig Teil der politik  oder nicht existent .
Highlight (yellow) – Location 1531
Das politische Tier ist nur als politisches ökonomisch .
Highlight (yellow) – Location 1532
Wirtschaft kennt keine eigenen Gesetze und Mechanismen und fügt sich nahtlos den Bedingungen zur Erhaltung des sozialen bzw . politischen Guts .
Highlight (yellow) – Location 1566
Das kanonisch gewordene Argument des Aristoteles lautet vielmehr , dass gerade die Intervention der Geldfunktion eine ruinöse Eskalationsbewegung auslöst , mit ihr einen generischen Wechsel erzeugt und eine » andere Art « ( e  dos ) von Erwerbskunst
Highlight (yellow) – Location 1568
ermöglicht , ein Vexierbild und eine eigentümliche Zwittergestalt .
Highlight (yellow) – Location 1584
Er findet seine Grenze nicht mehr in Bedarf oder Gebrauch , er wird vielmehr auf eine innere Grenzenlosigkeit umgebogen , in der die zweckmäßige Verwendung von Mitteln die Vermehrung von Mitteln bezweckt . 4 Mit der Verfolgung des Gelderwerbs sind dem Einsatz von Mitteln , also dem Gelderwerb , keine Grenzen gesetzt .
Highlight (yellow) – Location 1663
Die aristotelische Analyse der Chrematistik wäre somit von einer gewissen Perplexität gegenüber der befremdlichen Neuheit kommerzieller Praktiken und einer damit verbundenen Krise der Institutionen geprägt –
Highlight (yellow) – Location 1665
kommerzieller Markthandel keineswegs als allmähliche Evolution aus lokalen und eingebetteten Wirtschaftsweisen begreifen lässt .
Highlight (yellow) – Location 1672
Es gibt jedenfalls keinen Hinweis darauf , dass – wie es moderne Wirtschaftslegenden nahelegen möchten – kommerzielle Praktiken , Marktbeziehungen und merkantile Mentalitäten gleichsam organisch aus bedarfsorientierten Wirtschaftsweisen erwachsen wären .
Highlight (yellow) – Location 1694
Schöpfungstravestie , eine Zeugung contra naturam und artifizielle Fortpflanzung im Geldkapital für eine emsige Unfruchtbarkeit ,
Highlight (yellow) – Location 1697
seit der frühen Neuzeit endlose Geld – Filiationen zur Chiffre für die Wirksamkeit prokreativer Kräfte insgesamt werden .
Highlight (yellow) – Location 1716
die Verschränkung von Zeugungskraft und Geld eine geradezu dynastische Qualität –
Highlight (yellow) – Location 1753
Der Kapitalismus wäre demnach kein homogenes System , sondern eine bestimmte Art und Weise , das Verhältnis zwischen ökonomischen Prozessen , Sozialordnung und Regierungstechnologien nach den Mechanismen der Kapitalreproduktion zu organisieren . Dies entspricht einer marxistischen Intuition .
Highlight (yellow) – Location 1773
» Der kapitalistische Produktionsprozeß , im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozeß , produziert also nicht nur Ware , nicht nur Mehrwert , er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst , auf der einen Seite den Kapitalisten , auf der anderen den Lohnarbeiter . «
Highlight (yellow) – Location 1806
Restmensch , der › ganze Mensch ‹ als neuer Produktivfaktor auf den Plan .
Highlight (yellow) – Location 1808
Es wird eine Art » Vitalpolitik «
Highlight (yellow) – Location 1811
Die Ökonomie , oder besser : der Kapitalismus muss stets neu verwirklicht werden und ist gewissermaßen mitfühlend , seelenvoll , sinngebend geworden , er will jedenfalls nicht mehr mit einem rationalistischen Gewinnkalkül allein verwechselt werden .
Highlight (yellow) – Location 1822
Das bedeutet zugleich , dass Wirtschaftssubjekte sich nicht bloß als tauschende , als produzierende oder konsumierende Agenten verhalten , sondern als Unternehmen mit entsprechenden Motivationslagen , Aktionsradien und Strukturgeflechten funktionieren .
Highlight (yellow) – Location 1846
Der ältere Auftrag , Lebensläufe als Selbstwerdungsprozesse zu verwirklichen , weicht der Aufgabe , sich mit einer Kunst des Anderswerdens zu arrangieren .
Highlight (yellow) – Location 1880
Die Ressourcen des Humankapitals bilden das Komplement zur Reorganisation des Finanzsystems seit den 1970er Jahren . Von der Vervielfältigung von Marktrelationen bis zur Generalisierung einer Unternehmenskultur , von der Formierung des Humankapitals bis zur Bewirtschaftung jeder Beziehungsgestalt reicht ein Prozess , der sich in der › Finanzialisierung ‹ des gesellschaftlichen Feldes erschöpft : in einer Art neuen Bundes , der soziale und ökonomische Reproduktionen vereint und das Leben des Gesellschaftskörpers mit der Bewegung des Kapitals koordiniert .
Sechstes Kapitel: Überraschungsraum
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Noch niemand – und auch nicht der Kapitalismus – ist an seinen Widersprüchen zugrunde gegangen , das Ganze scheint umso besser zu funktionieren , » je mehr alles aus dem Leim geht « .
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Benoit Mandelbrot
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oder monströsen Ereignishaftigkeit , den freak events ,
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verstärken . Das bedeutet drittens , dass auch bei verlängerten zeitlichen Serien die aufeinanderfolgenden Preisereignisse nicht um einen Mittelwert kreisen , genauer gesagt : dass sie nicht – wie etwa das Gestöber der brownschen Bewegung – der Wahrscheinlichkeit einer Normalverteilung und dem Graphen einer Gauß – oder Glockenkurve entsprechen .
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eröffnet : Der jeweils nächste Systemzustand bleibt offen und unbestimmt . Prigogine verwies dabei auf das clinamen in der Naturlehre bei Epikur oder Lukrez , das eine winzige , zufällige Abdrift eines Partikels aus der Bewegungsbahn bezeichnet und über den dadurch erzeugten Wirbel eine Weltentstehung bewirkt . 6
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Kollaps von Vorhersehbarkeit und statistisch gerechtfertigten Aussichten ab .
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8 Märkte wären demnach effizient und verrückt zugleich und von fluktuierenden Volatilitätsclustern geprägt .
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Schon früheste Beschreibungen des Börsengeschäfts haben konstatiert , dass die eigentlichen Tatsachen die Erwartungen von Tatsachen seien , und allgemein lässt sich das als ein Reflexiv – Werden der Verknüpfungen im Finanzgeschehen beschreiben .
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Die Preise auf den Finanzmärkten repräsentieren keine zugrunde liegenden › Fundamentalien ‹ , sondern zirkulieren als höchst wirksame Wertgespenster .
Highlight (yellow) – Location 2188
Minskys These finanzieller Instabilität besagt demnach , dass manifeste Krisen und Zusammenbrüche nicht einfach durch äußere Erschütterungen , durch fiskalische oder politische Theatercoups , sondern durch die Parameter und Eigenbewegungen der Finanzökonomie selbst hervorgebracht werden .
Highlight (yellow) – Location 2198
Mit Blick auf Kapitalmärkte sind also Krisen stets Zirkulationskrisen und als solche Krisen der Liquidität ,
Highlight (yellow) – Location 2201
die jüngste › Krise ‹ der Jahre 2007ff . dokumentiert in dieser Hinsicht keineswegs ein neues und allzu überraschendes Profil . Auch hier wurde das Liquiditätsparadox virulent , das besagt , dass Liquidität sich selbst gerade dann aufhebt , wenn sie erforderlich und von allen begehrt wird .
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Während für die ökonomische Neo – Scholastik die Allianz von Liberalismus und Kapitalismus bleiben soll , was sie war , nämlich die eigentliche » Metaphysik des Westens « , 41 geht es einer Säkularisierung ökonomischen Wissens darum , Ökonomien ohne Gott , Märkte ohne Vorsehung und Wirtschaftssysteme ohne prästabilierte Harmonien in Rechnung zu stellen .
Highlight (yellow) – Location 2400
Darum wird die politische Frage nicht mit der Alternative zwischen staatlichen Diktaten und freien Märkten , sondern mit einem ökonomischen Agnostizismus gestellt , der das Politische einer politischen Ökonomie in der Reduktion ihrer heilsgeschichtlichen Rudimente erkennt und der Verwirklichung praktischer Vernunft durch den Markt misstraut .
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haben sich ökonomische Systemrisiken für die Mehrzahl derjenigen , die in aller Abhängigkeit nichts zu entscheiden haben , in elementare Gefahren verwandelt .
Highlight (yellow) – Location 2409
Die Prozesse der › Finanzialisierung ‹ haben die Reproduktion von Gesellschaften an die Reproduktionsformen des Kapitals gebunden . In einer Art Großversuch wurde mit ihnen die Anpassung sozialer und politischer Ordnungen an ökonomische Risikolagen versucht . Und gerade darum scheint es nicht ausgeschlossen zu sein , dass man sich mit systematischen Finanzierungsversprechen an die Wirksamkeiten einer perfidious future ( Keynes ) gekettet hat . Sicherheitsautomatismen haben Gefahrenblindheit erzeugt , und durch die Kommerzialisierung von Risiken wurden Schadensfälle unendlich teuer oder schlicht unbezahlbar gemacht .
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Ungewissheit ist arkanhaft geworden und fällt Entscheidungen , die in ihrer Ungebundenheit , in ihrer Gesetzlosigkeit schicksalhaft werden . Das prägt die gegenwärtige Epoche finanzökonomischer Konvulsionen , die Lage der kapitalistischen Kosmopolis . Und das ist der opake und wilde Überraschungsraum , in den sich unsere Geselschaft befindet.