Heiner Flassbeck Gescheiterte Globalisierung – Rezensionen

Flassbeck Globalisierung

Gescheiterte Globalisierung: Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates (edition suhrkamp) Taschenbuch – 2018  von Heiner Flassbeck (Autor), Paul Steinhardt (Autor)


GG CAW 2019 Jenseits der Synthesen des Mainstreams  Anmerkungen zu  Heiner Flassbeck’s “Gescheiterte Globalisierung” hier lesen


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Günter Grzega  ***** Spannende Wirtschaftswissenschaft! 24. Juli 2018
 

Selten kann ein wirtschaftswissenschaftliches Buch so spannend geschrieben werden, dass man es bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen will, und dies sogar bei 400 Seiten. Den Ökonomen Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt ist dies mit “Gescheiterte Globalisierung” gelungen. Die wirtschafts-, finanz- und gesellschaftswissenschaftlichen Ausführungen kann man in einer solchen Fülle und trotzdem absoluter Klarheit in kaum einem anderen Kompendium zu dieser Thematik finden. Dabei besticht vor allem die systematische Entlarvung der Marktideologen mit ihrem Dogma “Der Markt hat immer recht” sowie die klare Darstellung der Verantwortung der aktuell mehrheitlich gelehrten neolklassischen Ökonomie für das Entstehen der gesellschaftszerstörenden Ideologie des Neoliberalismus. Dass in diesem faszinierenden Buch auch noch vielfach verbreitete Irrtümer hinsichtlich der Themen Geld und Kredit sowie über die inzwischen dogmatisch und trotzdem fehlerhaft diskutierten Staatsschulden sachlich und für jeden Interessierten nachvollziehbar informiert wird, macht es besonders lesenswert. Entscheidend ist aber, dass nicht nur klar und deutlich Kritik geübt wird, sondern ebenso klar und deutlich Lösungen aufgezeigt werden. Einfach eine Pflichtlektüre!

Werner Titz ***** Der Staat als Systemoperator der Marktwirtschaft  31. Juli 2018

Dieses Buch liest sich wie der Entwurf zu einer Neuordnung der wirtschaftspolitischen Agenda in Europa – die Utopie der Durchsetzung entsprechender Mehrheitsverhältnisse vorausgesetzt.
Globalisierung, Digitalisierung, Geld, Kapital, Arbeit; Produktivität und Löhne, Demokratie und Nationalstaat, Zentralbankreform, Finanzarchitektur, Rente, Daseinsvorsorge: Kaum ein Bereich der nicht beleuchtet und meist in anderem Licht betrachtet wird als er in den Mainstream-Medien erscheint. Das Verhältnis von Arbeit und Kapital wird neu definiert, ebenso die Rolle des Geldes als Steuerungsmittel der Wirtschaft. Fast alle gängigen Klischees, über die wir oft gar nicht mehr nachdenken, weil sie für die meisten ‘alternativlos’ geworden sind, werden einer Prüfung unterzogen und neu, und oft gegensätzlich, interpretiert.

Für manche Leser mögen die verblüffend lakonischen Antworten überraschend klingen. Etwa die nüchterne Antwort auf die gängige Drohung, dass mit der Digitalisierung zwangsläufig die Arbeitslosigkeit folgen muss: *Die Rationalisierung prägt die Menschheitsgeschichte schon seit Jahrhunderten, so dass man meinen würde, wir hätten inzwischen gelernt, damit umzugehen* Das sei doch schon ‘ein uraltes Phänomen’ – * dadurch, dass Menschen klüger werden, etwa dass sie sich Maschinen bauen um ihre Arbeit zu erleichtern und mehr Freizeit haben, wird niemand arbeitslos*. Das seien eben politische Fragen und nicht solche bei denen die Menschen einer wirtschaftlichen oder technischen Entwicklung hilflos ausgeliefert sind.

Vieles wird klarer durch die prägnanten Analysen. So wird allgemein fast immer nur von Löhnen geredet, die möglichst niedrig, weil ‘wettbewerbsfähig’ sein sollten. Wichtig für jeden Vergleich zwischen unterschiedlichen Ländern, und für das Niveau der Entlohnung und des Wohlstands des jeweiligen Landes, sind aber die Lohnstückkosten, also der Lohn dividiert durch den realen Produktionswert pro Stunde, sowie die Höhe des im jeweiligen Land erreichten Kapitalstocks. In China hat man richtig erkannt, dass nur eine Zunahme der realen Masseneinkommen es erlaubte, das Land in die Weltwirtschaft zu integrieren und die extreme Exportabhängigkeit zu beenden.

Dem Alarmismus, mit dem üblicherweise über Begriffe wie ‘Staatschulden’ und ‘die zukünftigen Generationen’ gesprochen wird, wird entgegengehalten:
*Man fürchtet die Belastung späterer Generation durch Schulden, versteht jedoch nicht, dass auch die Forderungen an den Staat (natürlich sinnvolle Investitionen vorausgesetzt) an künftige Generationen vererbt werden, wodurch die Vermögensposition späterer Generationen auch bei höheren Schulden absolut unverändert bleiben*. Oder: *Das Geldvermögen des einen sind die Geldschulden des anderen. Die Nettoschulden sind immer Null*.
Und: *Die Idee eines Wettbewerbes der Nationen ist eines der dümmsten Ideen, weil Nationen genau das nicht tun dürfen, was man von Unternehmen erwartet, die im Wettbewerb miteinander stehen*. So eine Aussage mag sich weltfremd anhören angesichts des weltweiten Merkantilismus, mit dem Staaten über Exporte Machtzuwächse als Ziel der Volkswirtshaft anstreben. Bezogen auf den Euro-Raum, wo die jährlichen Handelsbilanzüberschüsse Deutschlands zu Lasten der Außenhandelsbilanzen anderer Euro-Länder praktisch als Markenzeichen des deutschen Erfolgs angesehen werden, ist diese Politik aber offensichtlich fatal für die wirtschaftliche Existenz einzelner Euro-Länder und für den Zusammenhalt der Euro-Gemeinschaft insgesamt.

Insofern es bei diesem Autoren-Duo nicht verwunderlich ist, dass die Positionen von John Maynard Keynes vertreten werden, so wird doch ihre Forderung der ‘Renaissance des Staates’ für weiteren zusätzlichen Diskussionsstoff sorgen. Dies in einer Zeit, in der die Empfehlungen von August von Hayek dominieren, die wichtigen Entscheidungen an Gremien außerhalb des staatlichen demokratischen Rahmens zu verlagern.

Der Staat ist laut Flassbeck und Steinhardt unerlässlich, auch als *Systemoperator der Marktwirtschaft*. Es gibt schlicht keinen Markt ohne den Staat als wesentlichen Akteur. Es gibt keinen ‘Arbeitsmarkt’ ohne Staat, er braucht die Stabilisierung durch den Staat. Man muss sich auch von der Illusion sich selbst steuernder Finanzmärkte verabschieden. Das gilt für den Rechtsrahmen, den der Staat setzt, das Steuer- und Sozialsystem, wie auch für das Geldsystem. Die Kapitalmärkte brauchen tagtäglich die Hilfestellung durch den Staat, das Geldwesen ist eine Domäne des Staates, die Steuerung der Investitionsdynamik, des funktionierenden Geldsystems, und auch die Steuerung der Einkommensrelationen zwischen den Wirtschaftsobjekten ist ohne Staat nicht möglich. Klar ist auch: Der demokratische Nationalstaat braucht eine globale Ordnung, ebenso wie die globale Ordnung handlungsfähige Nationalstaaten braucht.

Fazit: *Es gibt einfach keine andere Ebene der Politik, von der man erwarten kann, dass sie die Voraussetzungen schafft für eine geordnete erfolgreiche internationale Kooperation, die an die Stelle der gescheiterten ungeordneten Globalisierung treten könnte*.

Auch die EU wird folglich nicht als eine politische Ebene angesehen von der aus sich die Länder erfolgreich in der Globalisierung behaupten können. Eine Auseinandersetzung mit der EU fehlt aber in diesem Buch. Vielleicht weil die Autoren nicht mehr ausdrücklich darauf hinweisen mussten oder wollten, dass die Fehlentwicklungen, auf die sie hinweisen, weitgehend mit der wirtschaftspolitischen Strategie der EU übereinstimmen?

Gerhard Günther ***  Großer Anspruch, jedoch gescheitert  26. Juni 2018

Im Klappentext wird ein großer Anspruch formuliert:
„Weder für die globale Kooperation der Nationen noch für die angemessene nationale Politik gibt es heute ein tragfähiges Konzept. Die Autoren zeigen, wie man das auf der Basis einer modernen Wirtschaftstheorie schafft.“
Trotz eines Umfangs von 410 Seiten (incl. des 11-seitigen Verzeichnisses mit wirtschaftswissenschaftlicher Fachliteratur) gelingt es den Autoren Flassbeck/Steinhardt nicht – nach meinem laienhaften Verständnis – , „eine empirisch abgesicherte ökonomische Theorie“ (S. 14) zu entwerfen. Bei der Kritik am Neo- bzw. Ordoliberalismus bzw. Monetarismus wird nicht mit radikalverbalen Urteilen gespart (z. B. „Irrglaube“, „Denkverbote“, „Scheinlösungen“, „Versagen“, „verstehen Ursachen nicht“ bzw.„haben noch nicht verstanden“…), die vorgestellten alternativen Erklärungen der Autoren haben Gewicht, doch sind zu unsystematisch, um als Theorie verstanden zu werden.
(Pardon, ich erlaube mir dieses Urteil trotz meiner Unqualifiziertheit.)
Warum das Buch den Titel „Gescheiterte Globalisierung“ trägt, erschließt sich mir nicht. In den ersten vier Hauptkapiteln
(Globalisierung und Digitalisierung, Der demokratische Staat und die Gesamtwirtschaft, Der Neoliberalismus als Regression, Geld als Domäne des Staates) werden kritisch verschiedene Themen abgehandelt – mal mit Zahlen belegt, mal als Theoriekritik, mal aktuell, mal historisch – durchaus mit Erkenntnisgewinn zu lesen, aber insgesamt ohne klaren inhaltlichen Zusammenhang.
In Kapitel V „Moderne Wirtschaftspolitik und die Rolle des Staates“ (Seite 299-397) werden dann als scheinbare Schlussfolgerung (S. 299) aktuelle Politikfelder und Forderungen vorgestellt. Um dieses wirtschaftspolitische Programm zu verstehen bzw. zu diskutieren, ist es eigentlich nicht notwendig, die vorausgegangenen vier eher „theoretischen Kapitel“ zu lesen oder gelesen zu haben.
Zentrale Aussagen sind:
– Die Rolle des demokratischen Nationalstaates ist auch in Zeiten der Globalisierung unverzichtbar, mehr noch, er muss sogar verstärkt in
das Marktgeschehen intervenieren, um Wirtschaft und Gesellschaft „schockresistent“ zu machen.da internationale Währungskrisen
oder stark schwankende Rohstoffepreise die wirtschaftliche Stabilität bedrohen können.
– Rationalisierung und Globalisierung lassen sich nicht aufhalten, notwendig ist die Gestaltung dieses dynamischen Strukturwandels.
– Lohnflexibilisierung ist kein geeignetes Mittel gegen internationale Konkurrenz und Globalisierung, Flächentarifverträge sind zu erhalten
– Reallöhne müssen entsprechend dem Produktivitätsfortschritt und der Inflationsrate steigen,
damit die Binnennachfrage gesichert / erhalten wird.
– Gegen eine Privatisierung der Daseinsvorsorge.
– Steuerpolitik muss Umverteilung von Einkommen und Vermögen fördern
– Investitionen sind wichtig, der Staats muss diese ggfs. fördern, auch durch Verschuldung
– Staatsverschuldung führt nicht zum Staatsbankrott, dies sei ein Mythos.
– International ist eine kontrollierte Flexibilität der Wechselskurse notwendig
Insgesamt also ein Plädoyer für stärkere staatliche gemeinwohl-orientierte Wirtschaftspolitik, um Vollbeschäftigung zu erreichen und damit auch ausreichende Binnennachfrage zu fördern. Ablehnung einer Spar- und Austeritätspolitik.
Mit welcher politischen Konstellation diese links-sozialdemokratische Programmatik umgesetzt werden kann,
wird an keiner Stelle diskutiert. Auf die SPD wird kein Bezug genommen; auffallend ist, dass Positionen von Sahra Wagenknecht an mehreren Stellen kritisiert als falsch bezeichnet werden.
Die letzten dreißig Seiten des Buches beschäftigen sich mit dem Klimawandel als globalem Problem, der Schlusssatz auf Seite 397 ist eine sehr pessimistische Prognose. Damit wird der Leser entlassen. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass ein zusammenfassendes Schlusskapitel fehlt oder dass die Autoren ihren Anspruch, eine bessere ökonomische Theorie zu entwickeln, im Laufe des Buchprojektes einfach als gescheitert aufgegeben haben.
Notwendig ist ein handlungsfähiger Nationalstaat in Zeiten der Globalisierung, das ist die zentrale Grundaussage des Buches.
Die Rolle eines stärkeren Nationalstaats wird durch den Rechtspopulismus (wie auch durch Trumps “America first”) verstärkt diskutiert, für manche ein Anti- bzw. Tabu-Thema, aber auch von linker Seite wie Andreas Nölke (Linkspopulär) oder Martin Bröning (Lob der Nation).
Auch Heiner Flassbeck legt den Schwerpunkt – wenn auch nicht ausschließlich – auf nationale Politik.
Welche Konsequenzen dies aber für die EU und der Weiterentwicklung/Zukunft haben wird, ist kein Thema.
Insgesamt sind die Aussagen des Buches stark von ökonomischen Theorien / Erkenntnissen bestimmt,
politische Bedingungen oder Konsequenzen werden von den Autoren weitgehend ausgeblendet.
Unklar bleibt, wer die durchaus überzeugende wirtschaftspolitische Programmatik des 5. Kapitels umsetzen soll.
Auch Andreas Nölke plädiert in seinem Buch “Linkspopulär” für einen aktiven Nationalstaat, der Sozial- und Wirtschaftspolitik im Interesse der abhängig Beschäftigten umsetzt. Diese Position scheint weitgehend mit Flassbeck übereinzustimmen. Aber Nölke diskutiert die Chancen einer politischen Umsetzbarkeit, während das Flassbeck-Buch manchmal fast den Eindruck einer theoretischen Besserwisserei macht, die aber an politischer Praxis wenig interessiert ist. Zugegeben, auch theoretische Diskussionen sind wichtig und haben ihre Berechtigung, aber das Flassbeck-Buch wird meines Erachtens nur in Ansätzen seinem wissenschaftlichen Theorieanspruch gerecht.


https://www.goodreads.com/book/show/53970166-gescheiterte-globalisierung


swr.de   2019 Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staatesicle – audio rezension Günter Kaindlstorfer



pw-portal.de/ 2019 Gescheiterte Globalisierung  von Thomas Mirbach

Gescheiterte Globalisierung Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates

Der Titel der von Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt verfassten Studie, beide sind Herausgeber des kritischen wirtschaftspolitischen Magazins Makroskop, könnte täuschen – die Autoren treffen kein Urteil über das Faktum von Globalisierung, ihnen geht es vielmehr um eine Destruktion zentraler Positionen des Wirtschaftsliberalismus, die weder theoretisch noch praktisch ein angemessenes Verständnis von Voraussetzungen und Folgen der Einbettung nationaler Ökonomien in globale Zusammenhänge ermöglichen. Weil der Wirtschaftsliberalismus, insbesondere die sogenannte Neoklassik, „fast alle relevanten wirtschaftlichen Phänomene als die Lösung des Problems der Verteilung knapper Güter über einen perfekten Markt“ (10) zu erklären beansprucht, habe er auf seinem eigenen Gebiet, nämlich der Gestaltung der wirtschaftlichen Kooperation, eklatant versagt.

Von dieser Prämisse ausgehend bilden „Marktfundamentalismus“ und „endemische Staatsvergessenheit“ (357) die beiden wesentlichen Bezugspunkte der Argumentation der Autoren. Mit Blick auf den Marktfundamentalismus ist vor allem Flassbecks Kritik des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams aus seinen zahlreichen Publikationen und Stellungnahmen bekannt (Flassbeck/Spiecker 2007; Flassbeck 2010). Sie wird in den ersten vier Kapiteln noch einmal in der Breite aufgenommen, wobei es – der Darstellungsweise geschuldet – durchaus zu einigen Wiederholungen kommt. Zunächst geht es um eine relativ allgemein bleibende Kritik gängiger wirtschaftsliberaler Positionen (13 ff.) und um die Rolle, die ein demokratischer Nationalstaat jenseits von Austeritätspolitik für die jeweilige Gesamtwirtschaft einnehmen sollte (87 ff.). Etwas spezifischer fällt die Auseinandersetzung mit regressiven Elementen des Neoliberalismus aus; zentral ist dabei zweifellos die Zurückweisung des neoklassischen Verständnisses des Beschäftigungssystems als (Arbeits-)Markt (143 ff.). Im vierten Kapitel werden die Defizite eines marktorientierten Geld- und Finanzsystems vorgeführt und dagegen die Position entwickelt, der zufolge Geld als Domäne des Staates zu sehen ist (225 ff.).

In politikwissenschaftlicher Perspektive ist vor allem der zweite Bezugspunkt, also die Auseinandersetzung mit Phänomenen „endemischer Staatsvergessenheit“ (299 ff.), von Interesse. Das Plädoyer der Autoren für eine neue Ökonomik ist zugleich eines für die Renaissance des heutigen, demokratisch organisierten Nationalstaates: Es gibt „keine andere Ebene der Politik, von der man erwarten kann, dass sie die Voraussetzungen schafft für eine erfolgreiche und geordnete internationale Kooperation, die an die Stelle der gescheiterten ungeordneten Globalisierung treten könnte“ (88). Damit sollen keineswegs planwirtschaftliche Assoziationen geweckt werden; die Stärken einer dezentral organisierten und auf Gewinnerzielung ausgerichteten Produktion von Wirtschaftsgütern werden nicht bestritten, aber die einzelwirtschaftlichen Akteure seien nicht in der Lage, die gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse zu berücksichtigen. Auch der Staat könne diese Rolle auf der Makroebene erst übernehmen, wenn er sich von dem „Glauben an die Existenz sich selbst steuernder Märkte“ (300) verabschiede.

Mit Vehemenz wenden sich die Autoren gegen eingespielte Dogmen der etablierten Wirtschafts- und Finanzpolitik. So könne keine Rede davon sein, dass die im Zuge der Globalisierung erfolgende Einbindung der sogenannten Entwicklungsländer in den Welthandel die Position der Industrieländer in Fragen der Beschäftigung beeinträchtigt. Ein globaler Vergleich der Leistungsbilanzsalden belegt vielmehr, dass es vor allem merkantilistisch ausgerichtete Länder in Europa sind, die ihre Handelspartner durch anhaltend hohe Überschüsse schädigen. Dabei nimmt Deutschland bekanntlich eine Sonderrolle ein, da es als einziger G20-Staat „entgegen vieler Aufforderungen durch eben diese Gruppe seine Überschüsse immer weiter ausgebaut hat“ (314). Ebenso bedürften die Geldpolitik und das System der Banken einer grundlegenden Reform. Die Geldpolitik müsste von der Inflationssteuerung entlastet und auf Aufgaben der Förderung öffentlicher und privater Investitionen umgestellt werden, weil Giroguthaben, Zahlungsverkehr und Kreditvergabe eigentlich der Status öffentlicher Güter zukommt. Für diese Zwecke müsste das Trennbankensystem realisiert und kommerzielle Kredit- und Einlagengeschäfte vollständig vom Investmentbanking getrennt werden. Den Banken seien daher die Kreditvergabe für Finanzmarkttransaktionen und die Besicherung von Krediten mit Finanzmarktprodukten zu verbieten (340 ff.). Perspektivisch könnte eine Reform des Geschäftsbankensystems deshalb in die Überführung dieser Institute in öffentlich-rechtliche Organisationen münden, denen von staatlicher Seite (beziehungsweise der Zentralbank) regionale oder sektorale Vorgaben zur Kreditvergabe gemacht werden. Auf dieser Linie liegt auch die Forderung, den Zentralbanken ihre vermeintliche Unabhängigkeit, die nur Ausdruck einer Abschottung gegenüber demokratischer Einflussnahme ist, zu nehmen und sie stattdessen als integrale Bestandteile der gemeinwohlorientierten Exekutive zu behandeln.

Eine zentrale Rolle in dem Plädoyer der Autoren für einen alternativen, dem ökonomischen Mainstream entgegengesetzten Ansatz einer umfassenden Wirtschaftspolitik kommt der Vollbeschäftigungspolitik und der öffentlichen Daseinsvorsorge zu. Vollbeschäftigungspolitik verlangt eine Rückbesinnung auf die Bedeutung von Arbeit; das heißt zunächst dem im Flächentarifvertrag verankerten Grundsatz wieder Geltung zu verschaffen, „dass für gleich qualifizierte Arbeit an jedem Ort und in jedem Betrieb der gleiche Lohn gezahlt wird“ (325). Systematisch verbunden ist damit die Absage an das von der etablierten Ökonomie immer wieder vorgetragene Credo, Lohnflexibilität (vor allem der unteren Gehaltsgruppen) sei das Mittel der Wahl, um Wirtschaftswachstum bei veränderten externen Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten. Da sich empirisch ein enger, langfristiger Zusammenhang in der Entwicklung von Lohnstückkosten und Preisen zeigen lasse, führen sinkende Reallöhne weder zu nachhaltigen Produktivitätsfortschritten noch zu positiven Beschäftigungseffekten. Wohl sei angesichts technologischer Veränderungen eine tätigkeits- und qualifikationsbezogene Flexibilität der Arbeitskräfte erforderlich, aber diese müsse in eine Vollbeschäftigungspolitik eingebettet sein, die derartige Anpassungen durch unterschiedliche Instrumente (Weiterbildung, Übergangsmaßnahmen, temporäre Beschäftigungsgesellschaften) abfedert. Deshalb sollte sich die Lohnpolitik in einem Korridor bewegen, in dem Löhne, Gehälter und Renten jährlich „genauso stark steigen, wie es dem durchschnittlichen Produktivitätsanstieg der vergangenen fünf oder zehn Jahre plus dem Inflationsziel entspricht“ (324). Eine derartige Lohnpolitik würde drei Rollen zugleich erfüllen: Stabilisierung von binnenwirtschaftlicher Nachfrage und Inflationsrate sowie – ein funktionsfähiges internationales Währungssystem vorausgesetzt – Stützung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland.

Über die primär ökonomischen Bezüge hinaus wäre eine konsequente Vollbeschäftigungspolitik in Verknüpfung mit einer substanziellen öffentlichen Daseinsvorsorge der zentrale Hebel zur Korrektur der Machtasymmetrien im Arbeitsmarkt und der sich daraus ergebenden Ungleichheit. Die Autoren wenden sich hier entschieden gegen materielle wie formale Privatisierungen von Aufgaben der Daseinsvorsorge, wie sie seinerzeit von der rot-grünen Bundesregierung insbesondere bei den sozialen Sicherungssystemen betrieben worden ist. Die in diesem Zusammenhang vielfach vorgebrachte Behauptung, private Unternehmen könnten die erforderlichen Leistungen effizienter erbringen als staatliche Einheiten, „ist von der Praxis eindrucksvoll widerlegt worden“ (362). Gerade das Beispiel der Privatisierung der Renten zeige, dass mit einer derartigen Politik ein ausgesprochen einträglicher Markt für die Versicherungswirtschaft eröffnet wurde. Demgegenüber dürfe die Daseinsvorsorge weder nach dem Profitprinzip gesteuert noch an den Einnahmen der jeweiligen Verwaltungseinheiten ausgerichtet werden. Richtschnur könne nur der entsprechende Bedarf sein – und hier kommt wieder das geldtheoretische Argument der Autoren zur Geltung: Geld ist keine knappe Ressource, sondern ein staatliches Steuerungsmittel, „das er zur Aktivierung der in seinem Herrschaftsgebiet befindlichen Ressourcen verwenden kann und im Gemeinwohlinteresse auch verwenden sollte“ (360). Die darin implizierte Kritik des Mythos, ein ausgeglichener Staatshaushalt sei unabdingbar zur Vermeidung einer Schuldenfalle, wird mittlerweile ja auch von anderen Ökonomen vertreten (Herzog-Stein et al. 2019). Das gilt auch für die Folgen einer auf die „schwarze Null“ fixierten Fiskalpolitik und die Verteidigung der Schuldenbremse angesichts des skandalösen Verfalls der Infrastruktur, der strukturellen Überschuldung zahlreicher Kommunen und des eklatanten Personalmangels im öffentlichen Dienst.

Fazit

Die Ökonomie ist zweifellos eine ‚interessierte’ Wissenschaft, also eine Wissenschaft, in deren Grundannahmen über die Rationalität von Märkten spezifische Interessen eingelagert sind, die vielfach eng mit den Interessen bestimmter Akteurstypen verbunden sind. Dafür geben Flassbeck und Steinhardt viele einschlägige Beispiele, die erneut belegen, dass der Objektivitätsanspruch der etablierten Ökonomen in erster Linie das Ergebnis einer erfolgreichen sozialen Konstruktion und nicht Ausdruck epistemischer Überlegenheit ist. Das Plädoyer der Autoren für eine neue Ökonomik, von dem sich der neoklassische Mainstream bisher unbeeindruckt zeigt (vgl. Der Spiegel 2018), ist vor allem in den Teilen überzeugend, die – wie die Analyse des Arbeitsmarktes – mindestens implizit Anschlüsse für eine sozialwissenschaftliche Perspektive bieten.

Literatur

Der Spiegel 10/2018: „Wir leben in einer perversen Welt“. Streitgespräch zwischen Clemens Fuest und Heiner Flassbeck (https://www.spiegel.de/spiegel/clemens-fuest-und-heiner-flassbeck-wir-leben-in-einer-perversen-welt-a-1196235.html; Abruf 7. Juli 2019)

Flassbeck, Heiner / Friederike Spiecker (2007): Das Ende der Massenarbeitslosigkeit. Mit richtiger Wirtschaftspolitik die Zukunft gewinnen. Frankfurt am Main, Westend

Flassbeck, Heiner (2010): Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts. Frankfurt am Main, Westend

Herzog-Stein, Alexander / Ulrike Stein / Rudolf Zwiener (2019): Arbeits- und Lohnstückkosten-Entwicklung 2018 im europäischen Vergleich. Düsseldorf, IMK-Report 149, Juli 2019


https://www.soziopolis.de/das-elend-der-nationaloekonomie.html

Womit anfangen? Die Schwierigkeit ist in diesem Fall keineswegs trivial, stellt sich nach Lektüre des jüngsten Buches der beiden Ökonomen doch vordringlich eine Frage: Was ist eigentlich das Ärgerlichste gewesen an dieser 400-seitigen Leseerfahrung? Nun – schwer zu sagen: Der auf Dauer enervierende Stil? Die fehlende Systematik der Argumentation? Oder doch das von dem Autorengespann vertretene Politik- und Ökonomieverständnis?

Was geht (und was nicht)

Um möglichen Missverständnissen gleich vorzubeugen: In vielerlei Hinsicht wird der/die durchschnittliche, auch durchschnittlich ökonomisch gebildete und politisch interessierte soziologische Leser/in sein beziehungsweise ihr stilles Einverständnis mit den durchweg starken Positionierungen erklären können, mit denen das Autorenpaar aufwartet. Der Grund hierfür ist simpel. Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt präsentieren die gesamte Palette der gängigen und im sozialwissenschaftlichen Milieu vermutlich breit geteilten Kritik an der ökonomischen Neoklassik und am sogenannten Neoliberalismus. Da gibt es in der Tat ja einiges zu monieren. Vorab nur die Top Ten der Todsünden der ökonomischen Orthodoxie in Theorie und Praxis – in nicht hierarchisierter Reihung: ihre Realitätsferne und ihre geradezu zwanghafte Präferenz für die „Mikrofundierung“, ihre Konzeption des kapitalistischen Unternehmens und des Unternehmensgewinns sowie des Arbeitsmarkts und der „Grenzproduktivität“ der Arbeit, überhaupt ihre Vorstellung einer Marktwirtschaft als selbststeuerndes System, ihre Idee von Staaten als Unternehmen und eines notwendigen „Wettbewerbs der Nationen“ um die besten Standortbedingungen, ihre ideologischen Ansichten über die Effizienz von Kapitalmärkten und die segensreichen Wirkungen des Freihandels, ihre monetaristische Illusion vom „neutralen Geld“, sodann die Politik des deutschen Merkantilismus beziehungsweise Exportismus, die von Deutschland ausgehenden Lohndumpingstrategien und europäischen Austeritätspolitiken, die systematische politische Produktion sozialer Ungleichheit durch die Kürzung von Lohnersatzleistungen bei radikaler steuerlicher Entlastung von Unternehmen und Höchstverdienenden, die systematische öffentliche Investitionszurückhaltung, der ruinöse Marktfundamentalismus in der vermeintlichen europäischen „Staatsschuldenkrise“, schließlich und nicht zuletzt auch die im politischen Rührstück von der „schwäbischen Hausfrau“ aufscheinende Gleichsetzung von Staatsschulden und Privatschulden.

Alles richtig, mag man sagen. Und hinzufügen: Alles auch schon einmal anderweitig gesagt und geschrieben, gehört und gelesen. Übrigens mit großer Wahrscheinlichkeit auch schon einmal so gesagt und geschrieben wie von Flassbeck und Steinhardt höchstselbst. Sei‘s drum, immerhin lässt sich dieses kleine Einmaleins der Ökonomenschelte jetzt noch einmal in Ruhe zwischen zwei Buchdeckeln nachlesen. Wobei von Anfang bis Ende unklar bleibt, welchem Format dieses Buch eigentlich entspricht: Eben einem Kompendium zeitgenössischer Liberalismuskritik? Das wäre die nächstliegende Variante, doch fehlt der Darstellung dafür leider die nötige Systematik, eine nachvollziehbare argumentative Struktur, der berühmte „rote Faden“. Oder haben wir es mit einem heterodoxen Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaft zu tun? Passagenweise lesen sich die Ausführungen der beiden Autoren tatsächlich so, vor allem da, wo es ums Geld geht – freilich fallen diese Abschnitte wiederum allzu unpräzise aus, zu oberflächlich auch. Also vielleicht eher ein politisches Pamphlet, ein ambitionierter Versuch zur Popularisierung einer alternativen wirtschaftspolitischen Grundsatzprogrammatik? Spätestens im Schlusskapitel zu „moderner Wirtschaftspolitik“, wo die Darstellung zu einer mehr oder weniger unverblümten Anrufung der deutschen und europäischen Sozialdemokratie wird, kann daran kein Zweifel mehr herrschen.

Genau besehen wirken allerdings schon Titel und Untertitel der Publikation derart zusammengewürfelt, dass jede beliebige andere Zusammenstellung von Schlagwörtern im Rückblick auf die Lektüre mindestens ebenso plausibel geklungen hätte. „Gescheiterte Globalisierung“ thematisiert das Buch jedenfalls nur zum Teil und keineswegs durchgängig – eher hätte „Das klägliche Scheitern des Liberalismus“ die passende Überschrift geliefert, die das gesamte Konvolut auf den Punkt bringt. Und beim Untertitel hätte man sich ebenso gut – oder vielleicht sogar treffender – für die Trias „Nachfrage, Währungen und die Rehabilitation des Staates“ entscheiden können. Oder für „Löhne, Investitionen und eine neue Wirtschaftspolitik“. Oder halt für irgendeine andere, zufallsgenerierte Aneinanderreihung der Grundkategorien heterodoxer Ökonomik und Politikberatung.

Als erstes Zwischenfazit bleibt mithin festzuhalten, dass das Meiste schon einmal zu hören oder zu lesen gewesen ist, teilweise jedoch – wie aus soziologischer Perspektive hinzuzufügen wäre – durchaus treffender formuliert: Unübertroffen zum Beispiel, was die historisch-systematische Fundamentalkritik der Fiktion (oder der gesellschaftlich verheerenden Realfiktion) selbststeuernder Märkte angeht, in Karl Polanyis „The Great Transformation“ aus dem Jahre 1944 – ganz unbestritten ein Klassiker und Standardwerk, das Flassbeck und Steinhardt jedoch keine Erwähnung wert ist. Stilprägend ganz sicherlich auch Werner Hofmanns „Das Elend der Nationalökonomie“ aus dem Jahre – noch so ein Jubiläum – 1968, das bereits sämtliche Elemente einer Generalabrechnung mit der herrschenden Volkswirtschaftslehre als Legitimationsideologie des real existierenden Kapitalismus versammelt, die Flassbeck und Steinhardt (sie allerdings sprechen lieber von „Marktwirtschaft“) jetzt neuerlich gegen die liberale und nach wie vor hegemoniale Ökonomik in Anschlag bringen. Gut, Hofmann ist (wie letztlich auch Polanyi) kein Ökonom, sondern Soziologe gewesen, was womöglich das Kriterium der Autoren für die Auswahl ihrer intellektuellen Referenzen und Bezugspersonen gewesen sein wird. Zweifelsohne aber war Hofmann ein Heterodoxer, und sicherlich auch heterodoxer als es Flassbeck und Steinhardt für ihre eigenen wirtschaftstheoretischen wie -politischen Präferenzen reklamieren dürften. Wie auch immer, auf das „Elend der Nationalökonomie“ wird in jedem Fall noch zurückzukommen sein.

Schicken wir der danach fälligen Kritik noch ein Plus voraus, das die Leserschaft für das Buch einnehmen könnte – es ist seine kritische Auseinandersetzung auch mit Positionen linker politischer Ökonomie. Und zwar nicht nur mit Karl Marx, der – für die Autoren das Problem schlechthin – noch ganz „einzelwirtschaftlichem Denken verhaftet“ (S. 19) geblieben sei, sondern auch mit der zu kurz gesprungenen keynesianischen Revolution respektive ihren späteren wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Zugeständnissen an die „neoklassische Synthese“. Zudem mit Sahra Wagenknechts Faszination für die alten Herren des Ordoliberalismus, mit gegenwärtig heftig kursierenden Vollgeld-Konzeptionen oder – besonders überzeugend – mit dem auch vor sich als „links“ wähnenden Politakteuren nicht halt machenden Wahn einer notwendigen „Schuldenbremse“ und mit ihrem liberalesken Horror vor monetärer Staatsfinanzierung. Flassbeck und Steinhardt werden demgegenüber nicht müde zu betonen, dass im herrschenden System politökonomischer Verfasstheit, allen gegenteiligen Meinungen und allfälligen Aufgeregtheiten zum Trotz, schlicht keine Grenzen der Staatsschuld existieren. Vielmehr ist das genaue Gegenteil der Fall: Der (zumal währungs-)souveräne Staat vermag sich jederzeit und prinzipiell „grenzenlos“ zu verschulden. Auf diese – so würden die Autoren selbst formulieren – „Binsenweisheit“ kann in der Tat nicht oft und laut genug hingewiesen werden. Auch zur öffentlichen Kreditaufnahme ist bereits viel und viel Gutes geschrieben worden, man denke etwa an Michael Krätkes „Kritik der Staatsfinanzen“ aus dem Jahr 1984 – seines Zeichens immerhin Professor für Politische Ökonomie. Aber auch ihn und sein Buch oder den Verweis auf andere einschlägige Beiträge zum Thema sucht man im Literaturverzeichnis des hier besprochenen Buches vergebens. Hingegen macht das Autorenpaar bemerkenswerterweise – und auch dazu wird später noch mehr zu sagen sein – eine durchaus harte monetäre Grenze aus, sobald es um die These geht, dass Zuwanderer einheimische Arbeitskräfte „verdrängen“ und folglich deren Unterstützung durch die sozialen Sicherungssysteme notwendig wird – ein „auf Dauer nicht finanzierbarer Zustand“ nach dem Dafürhalten der erklärten Kritiker jedweder Austeritätspolitik (S. 45).

Solchen Widersprüchen zum Trotz findet sich, womit wir allerdings ans Ende dessen gelangen, was an Positivem zu vermelden ist, eine ganze Menge grundsätzlich nachvollziehbarer und zustimmungsfähiger Posten in der langen Liste der von Flassbeck und Steinhardt angemahnten wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionen. Zugegeben, das programmatische Gesamtmenü von Vollbeschäftigungspolitik, einem starken sozialen Netz, politischer Marktregulierung, einkommens-, vermögens- und steuerpolitischen Maßnahmen zur Reduzierung der sozialen Ungleichheit, Wiederherstellung des Flächentarifvertrags, offensiver Lohnpolitik, staatlicher Investitionsförderung und öffentlicher Daseinsvorsorge, öffentlicher Kreditsteuerung, Einführung des Trennbankensystems und neuer Weltwährungsordnung, gemahnt überdeutlich an alte sozialdemokratische Hausmannskost, das heißt an Karl Schiller, die Globalsteuerung und das magische Viereck. Unter den gegebenen Bedingungen – und mit dem Schreckensbild der deutschen und europäischen, „modernen Sozialdemokratie“ vor Augen – mag ein solcher Katalog indes nicht einmal das Schlechteste sein.

Habituelle Hybris: Jeder könnte, aber nicht alle können

Was hingegen wirklich schlecht an dem Buch ist, fängt, wie angedeutet, bei und mit Fragen des Stils an – die eben nie bloß auf Oberflächenphänomene verweisen, sondern in aller Regel auf substanzielle Mängel. So auch hier. Etwas nochmal zu wiederholen, was schon häufig behauptet wurde, wenn auch nicht von allen und, bezogen auf die Ökonomenzunft, faktisch sogar von herzlich wenigen, muss kein Fehler sein und zum Stein des Anstoßes werden. Man sollte es jedoch nicht so machen wie das Autorenduo, nämlich im unangenehmen Tonfall apodiktischer Arroganz. Dieser Zungenschlag sucht in der zeitgenössischen Fachliteratur seinesgleichen und wird mit fortschreitender Lektüre zunehmend unerträglicher. Wer’s nicht glaubt, möge nachlesen: Alle, aber auch wirklich alle – natürlich mit Ausnahme der beiden Verfasser – sind schlichtweg unfähig, einfach mal gründlich nachzudenken. Weder können noch wollen die Leute Flassbeck und Steinhardt zufolge auch nur die einfachsten ökonomischen Zusammenhänge verstehen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind dieser Megapopulation ökonomischer Nieten, sei es nun in Nadelstreifen oder in Jogginghosen, nach meiner Auflistung zuzurechnen: erstens)[[SL1]]  orthodoxe Ökonomen durchgängig und sowieso, ferner zweitens) natürlich „die Deutsche Bundesbank“ (S. 131), leider drittens) auch die Großzahl der sogenannten (die das Qualitätsurteil sogleich wieder dementierenden Anführungszeichen finden sich ebenfalls im Text) „progressiven Ökonomen“ (S. 27) beziehungsweise viertens) solche Vertreter der Profession, die „als relativ aufgeklärt gelten“ (S. 130). Fünftens) „sogenannte Akademiker“ (S. 218), einschließlich der „sogenannten Bankenexperten“ (S. 239), sechstens) insgesamt und durchweg „die Politik“ (S. 14), siebtens) – so viel Ehrlichkeit muss sein – aber auch „die Bürger“ (S. 105), ja achtens) nicht weniger als „die Welt“ (S. 13). Die Autoren operieren ihres Erachtens mit so einfachen Wahrheiten, dass sie sich unterwegs immer wieder fragen, „wie es sein kann, dass die Menschheit [sie] nicht begreift“ (S. 48). Womit wir neuntens) bei der Inkompetenz der Menschheit als ganzer landen – lässt sich ein solcher Befund noch toppen?

Nein! Allenfalls durch die Stilblüten, zu welchen eine schier grenzenlose Selbstwertschätzung die Autoren in ihrer abschätzigen Beurteilung der Kollegenschaft treibt. Da versteht „selbst ein weltweit hoch angesehener Wirtschaftshistoriker“ (S. 131) das Offensichtliche nicht, für veritable „Nobelpreisträger“ ist eine „einfache Tatsache“ (S. 203) zu hoch, und sogar die wenigen verbliebenen, noch satisfaktionsfähigen Mit-Ökonomen „wie Paul Krugman oder Joe Stiglitz“ haben – hier lernt die Leserschaft wie einsam ultrakompetente Wirtschaftsexperten an der Spitze leben – „nicht verstanden, was wir oben erklärt haben“ (S. 204). Alles Flaschen also, außer Flassbeck und Steinhardt. Wobei man wohl nicht falsch liegt, Flassbeck für die Hauptquelle solch stilistischer Hyperhybris zu halten, nicht nur wegen seines alphabetisch gesicherten Vorrangs in der Autorenfolge oder wegen seiner politbiografischen Nähe zu einem anderen notorischen Oberchecker, sondern auch wegen des statistischen Sachverhaltes, dass nicht weniger als jede zehnte der im Buch zitierten Publikationen aus Flassbecks eigener Feder stammt. Einer – beziehungsweise Heiner – gegen den Rest der Welt.

Vermutlich lässt sich nicht anders als mit so viel Schaum vorm Mund schreiben, wenn man an dem schweren Schicksal trägt, ganz allein über ökonomischen Sachverstand zu verfügen sowie über die ansonsten praktisch ausgestorbene „Fähigkeit, logisch zu denken“ (S. 136). Dann stellen sich die Dinge halt so dar, dass alles – eigentlich! – „vollkommen klar“ (S. 54) und „leicht zu verstehen“ (S. 51) ist, aber „leider nur von wenigen verstanden“ (S. 99) wird. Dabei reichte doch – Ist das schon zu viel verlangt? – allein „die Bereitschaft, makroökonomisch unbestreitbare Zusammenhänge, erkenntnislogische Notwendigkeiten und empirisch gesicherte Informationen“ (S. 118) zur Kenntnis zu nehmen und dementsprechend zu handeln. Abweichende Meinungen, konkurrierende Interpretationen, alternatives Wissen? Ach was. One world is enough – for all of us: Die Sachen final zu regeln, könnte so einfach sein.

Insofern dürfte der folgende Versuch, die Dinge doch wieder etwas zu verkomplizieren, bei den Autoren nicht gut ankommen. Ohnehin wird ihr Urteil über die vorliegende Rezension vorab gefällt sein: Denn auch hier, also in meinem Fall, werden die Autoren es – bestenfalls – für „tragisch“ erklären, „dass sich fachfremde Intellektuelle – freilich ohne zu wissen, was sie tun“ (S. 37), mit dem im Grunde schlichten, für sie bedauerlicherweise aber doch zu hohen Kosmos ökonomischer Zusammenhänge beschäftigen. Wie dem auch sei: Durch dieses Exerzitium müssen jetzt alle Beteiligten durch. Nur zwei – recht einfache – Punkte stehen zur Klärung an: Flassbecks/Steinhardts Verständnis von Demokratie. Und von Ökonomie.

Normativer Etatismus: Der Staat hat immer Recht

Oberstes analytisches Gebot für die Autoren ist eine gesamtwirtschaftliche Perspektive, die das Dynamische des Wirtschaftsgeschehens im Blick hat. So weit, so gut. Aber wer besitzt eine solche umfassende Einsicht in gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, wer kann sie überhaupt haben? „Das ist unzweifelhaft der Staat, und zwar nur der Staat.“ (S. 77) Nun, der Vollständigkeit halber wird man wohl hinzufügen müssen: Der Staat, vermittelt über die Expertise der makroökonomisch Erleuchteten. Denn es ist der Staat, der „die Rolle des Systemoperators der Marktwirtschaft“ (S. 87) wahrzunehmen hat, der die durch niemand anderen zu besetzende Planstelle als ideeller Gesamtkapitalist und operativer Gemeinwohlgarant einnimmt. Dabei ist es „die Makroökonomik“, die dem gesamtwirtschaftlich alerten und allzeit zur wirtschaftspolitischen Intervention bereiten Staat die „Regeln für das Denken und Handeln vorgibt“ (S. 88). Wir haben es folglich – Think big, think Makro! – mit der gesellschaftspolitischen Vision einer aufgeklärten Makroökonomenherrschaft zu tun. So weit, so irritierend. Dahinter steckt freilich noch mehr.

Ein ganz spezifisches Staats- und Demokratieverständnis nämlich. „Mit dem Begriff ‚Staat‘ sind […] natürlich die heutigen Nationalstaaten gemeint.“ (S. 88) „Natürlich“ – dazu gleich und etwas ausführlicher mehr. Und mit dem so gefassten Staat muss zugleich die Demokratie notwendig eine Herrschaftsform „in einem abgegrenzten geografischen Raum“ (S. 89) sein – dem Raum des Nationalstaats. Überhaupt fallen Staat und Demokratie für die beiden Makroökonomen vollständig in eins. Beide Entitäten gehen gleichsam rückstandsfrei ineinander auf. Folglich widersprechen Flassbeck/Steinhardt der ansonsten einigermaßen unumstrittenen politikwissenschaftlichen Einsicht, dass der Staat kein einheitlicher Akteur ist (sondern – je nach politologischer Schule – ein komplexes institutionelles Arrangement tendenziell widersprüchlicher Handlungsrationalitäten oder ein sozialer Raum der materiellen Verdichtung heterogener Kräfteverhältnisse). Ihr Einspruch stützt sich auf das bemerkenswerte Argument, dass es aus politikwissenschaftlicher Perspektive dann ja auch falsch sein müsse, „die Deutsche Bank als einen einheitlichen Akteur anzusehen“ (S. 102). Bekanntlich ist nicht alles, was hinkt, ein Vergleich, doch würde im Zweifel jeder Organisationssoziologe oder jede Politologin in der Tat festhalten, dass gesellschaftliche Großorganisationen prinzipiell keine monolithischen Blöcke seien. Nun gut.

Vor allem vertritt das Autorenpaar, was seine Vorstellungswelt in Sachen Demokratie angeht, eine äußerst eigenwillige – meines Wissen nur ihnen selbst vorbehaltene – Interpretation des Artikels 20 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Bekanntlich hält dieser Absatz fest, alle Staatsgewalt gehe vom Volke aus, um dann im Näheren zu bestimmen: „Sie [die Staatsgewalt] wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Soweit der Verfassungstext, der keinen Zweifel lässt an der Existenz unterschiedlicher Organe der Ausübung von Staatsgewalt, die in ihren Handlungen möglicherweise verschiedenartigen Operationslogiken folgen.

Für die beiden Autoren aber – an dieser Stelle wäre man geneigt, sie selbst zu zitieren und von „fachfremden Intellektuellen“ zu sprechen – besagt diese Grundgesetzbestimmung, dass „nach dem Willen des Grundgesetzes“ der Staat „der Repräsentant des ‚Volkes‘“ (S. 103) sei; also diejenige politische Instanz, die allein „die Interessen des Volkes repräsentieren“ (ebd.) könne – und solle. Angesichts dieser Lesart wird deutlich, warum Flassbeck und Steinhardt die Vorstellung vom Staat als einem einheitlichen Akteur – den sie faktisch als eine einzige Exekutive begreifen, der sie in ihren weiteren Ausführungen auch die Institution der Zentralbank unterordnen – derart kostbar und wichtig ist: Denn eigentlich gilt in parlamentarischen Demokratien wie der Bundesrepublik Deutschland – nomen est omen – ja das Parlament als Repräsentationsorgan des „Volkes“ und die demokratisch gewählten Parlamentarier/innen (im Volksmund nicht umsonst auch „Volksvertreter“ genannt) als dessen Repräsentant/innen. Mit derlei demokratietheoretischen Petitessen halten sich die Makroökonomen freilich nicht auf, haben sie doch Wichtigeres im Auge, nämlich festzustellen, „der Staat“ möge sich als Repräsentant des Volkswillens gleichsam uno actu, also in Vertretung dieses Volkswillens, über das Volkswissen erheben. Tatsächlich muss er sich sogar im ureigenen Interesse des Volkes, das heißt, im Sinne des „Gemeinwohls“ (vgl. S. 107 ff.), über das Volkswissen erheben, besteht seine höchste Aufgabe doch darin, „Handlungen auf der Basis der gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge“ zu vollziehen, „die ‚das Volk‘ aus seiner einzelwirtschaftlichen Sichtweise weder durchschaut noch zu durchschauen in der Lage ist.“ (S. 105)

Es ist offenbar ein Kreuz mit dem Volk und seiner Repräsentation, also hat es der vom rechtwissenden Chefökonom beratene Staatsingeniör ganz schön schwör: „Soll sich der Repräsentant des Volkes, selbst wenn er eine Einsicht besitzt, die bei den Bürgern nicht vorhanden und die überdies schwer vermittelbar ist, daher jeder gesamtwirtschaftlichen Verantwortung entziehen dürfen?“ (S. 105 f.) Selbstredend nicht, lautet die makroökonomisch alternativlose Antwort. Mithin kann der kategorische Repräsentationsimperativ eines Staatstechnokraten, der sich durch den ohnehin raren Sachverstand makroökonomischer Experten aufgeklärt findet, nur heißen: Lieber schwer vermittelbaren Einsichten folgen als schwer vermittelbare Arbeitslose tolerieren! (Die es praktischerweise, angesichts der im wohlverstandenen Volksinteresse vorgenommenen operativen Umsetzung jener Einsichten, ohnehin nicht mehr geben wird.)

Kaum zu glauben, aber wahr: Flassbeck und Steinhardt bringen an dieser Stelle, ohne jede kritische Distanz oder einen Hauch innehaltender Reflexion, die aus der (durch und durch liberalen) Neuen Politischen Ökonomie bekannte, geradezu berühmt-berüchtigte Idee der benevolent dictatorship ins Spiel, das heißt die Sozialfigur eines „wohlwollenden Herrschers“ (S. 321), der das gesamtwirtschaftlich ebenso notwendige wie richtige erkennt und praktisch exekutiert. Sie favorisieren, anders gesagt, ein technokratisch-exekutivistisches Verständnis von „repräsentativer“ „Demokratie“, das insofern noch deutlich antidemokratischer ausfällt, als sie dem vermeintlich wohlwollenden Herrscher eine elitäre Beamtenkaste an die Seite stellen, die als „Mandarine der Demokratie“ (S. 360) mit der administrativ-operativen Durchsetzung einer aufgeklärt-alternativlosen makroökonomischen Steuerung beauftragt sind. Was sagt man dazu? Man hört Stimmen. Der ökonomische Weltraum – unendliche intellektuelle Weiten… Wir schreiben das Jahr 2018. Das Imperium spricht, wobei man sich eher ins Jahr 1918 zurückgesetzt fühlt.

Methodologischer Nationalismus: Alles so schön endogen hier!

Wie gesehen, verstehen Flassbeck und Steinhardt unter dem Staat „natürlich“ den Nationalstaat. Auch die Wirtschaft ist für sie, als Volkswirtschaft, selbstverständlich national. Sie kann gar nicht anders als national sein, folgt die ökonomische doch der politischen Form. Ergo kommt es so, wie es unter derartigen Vorzeichen kommen muss: Sämtliche wirtschaftlichen Produktionsfaktoren sind nur als nationale denk-, mess- und steuerbar, allen voran „die für jede Volkswirtschaft entscheidende Größe, die Produktivität der Arbeit“. Auch und gerade sie „ist nur in nationalen Grenzen definierbar, weil sie auf der historischen Akkumulation von Kapital beruht“ (S. 95). Auch das Kapital ist – Merke! – seinerseits immer „das Ergebnis eines dynamischen wirtschaftlichen Prozesses, der ohne Zweifel eine spezifische nationalstaatliche Tradition hat“ (ebd.) und, mehr noch, als solches „das Ergebnis nationaler Anstrengungen, nationaler Präferenzen und nationalstaatlicher Politiken“ (ebd.) darstellt. Mithin ist der Dreh- und Angelpunkt aller gesamtwirtschaftlicher Überlegungen stets der nationale Kapitalstock – und da „Kapital eine nationale Geschichte hat, sind auch die Arbeitsbeziehungen einschließlich der Einkommen der abhängig Beschäftigten nur auf nationaler Ebene bestimmbar.“ (S. 96)

Wem hier schwindlig wird, sollte sich nicht wundern – denn das Argument dreht sich im Kreis: Das nationale Kapital gebiert die nationale Arbeit, gebiert das nationale Einkommen, gebiert das nationale Kapital usw. usf. Willkommen in der geschlossenen Welt der Nationalökonomie – oder genauer der National-Ökonomik. In diesem Universum ist alle Geschichte eine Geschichte der Kapitalstöcke, und jede Kapitalstockgeschichte eine Nationalwirtschaftsgeschichte… und damit eine Geschichte, die sich in etwa nach dem folgenden Muster abspielt: „Länder mit einem großen und effizienten Kapitalstock und hoher Produktivität der Arbeit können hohe (reale) Löhne zahlen, und Länder mit einem kleinen Kapitalstock und geringerer Produktivität können nur geringere (reale) Löhne zahlen.“ (S. 97) Na klar – logisch! So ist sie, die geschlossene Welt der Nationalökonomie: Kein Außen, nur Endogenität, keine Geoökonomie kapitalistischer Dynamiken, nur nationale Pfadabhängigkeiten, natürlich keine Kolonialität, sondern historisch gewachsene Kapitalstöcke hier und nicht gewachsene Kapitalstöcke dort. Damit zeichnen sich dann aber auch schon die Konturen der „neuen Ökonomik“ (S. 88, vgl. S. 114 ff.) ab, die Flassbeck/Steinhardt offerieren, weil die Welt ihrer dringlich bedürfe – und die bei ihnen selbstverständlich „auf der Basis einer vorurteilsfreien Diagnose“ (S. 88) ruht. Herausragendes Merkmal dieser Diagnose ist, dass sie – Globalisierung hin, Globalisierung her – von allen weltsystemischen Vorurteilen befreit ist. Deshalb kann sie mit der irritierenden Grundeinsicht aufwarten, dass die Welt der Nationalökonomien und ihrer Akteure durch historische Entwicklungen geprägt ist, „die praktisch alle auf der nationalen Ebene stattgefunden haben“ (S. 99). Ach so.

Wenn jede Nationalökonomie – so viel liberale Restideologie muss selbst bei den schärfsten Kritikern des Wirtschaftsliberalismus sein – ihres eigenen Glückes Schmied ist, dann muss auch die gesamte Welt der Wertschöpfung und der Verteilung des erwirtschafteten Mehrprodukts eine rein nationale sein. Also können die Regeln einer „globalen“ (eigentlich internationalen oder multilateralen) Wirtschaftsordnung „nur darauf hinauslaufen, zu fordern, dass jedes Land sich an seine eigenen Verhältnisse anzupassen hat. Mehr kann einfach kein Staat von einem anderen verlangen und mehr kann keine globale Regelung von einzelnen Ländern und ihren Bürgern erzwingen.“ (S. 29) Wir lernen nicht aus: Jedes Land nennt – irgendwie nationalhistorisch gewordene, endogen gewachsene – wirtschaftliche Verhältnisse sein Eigen, die wiederum den Maßstab auch des zukünftigen nationalen Wirtschaftens abzugeben haben. (Wir lernen außerdem, dass dem Ökonom methodologisch, neben dem Nationalismus, nichts über die Verpflichtung aufs Pfadabhängigkeitstheorem geht.) In dieser Binnenwelt ist alles national, von Globalität keine Spur; der erwirtschaftete Kapitalstock – national, und zwar wie gestern, so auch morgen; die Produktivität des eingesetzten Kapitalstocks – national; und – Wie sonst? – selbstverständlich stellt auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine nationale Größe dar. Folglich kann die goldene Regel für eine geordnete Weltwirtschaft (von „System“ darf ja eigentlich nicht die Rede sein) nur lauten: „Jedes Land muss seine eigenen Ansprüche genau an seine eigene Produktivität anpassen.“ (S. 29) Nicht mehr, aber auch nicht weniger – und das gilt qualitativ wie quantitativ, sprich: keine Nation darf über, jedoch auch nicht unter ihrer Leistungsfähigkeit leben. Blieben alle Schuster bei ihren Leisten, wäre die Welt der Nationen in Ordnung. Es gäbe keine Schuldner mehr, und wo es keine Schuldner gibt, da gibt es auch keine Gläubiger.

Wer diese Überzeugungen nicht teilt, ist selber schuld – oder es mangelt eben am Vermögen, die einfachsten Zusammenhänge nachzuvollziehen. Aus denen ergibt sich im Übrigen die Devise, nicht die Arbeit solle wandern, sondern das Kapital. Was andernfalls passiert, ist mit Händen zu greifen – man muss es nur sehen können: „Finden die Zuwanderer keine Arbeit, beanspruchen sie Leistungen der sozialen Sicherungssysteme. Das aber wird keine Gesellschaft in größerem Umfang tolerieren. Denn den Mindestlebensstandard, den eine reiche Gesellschaft durch soziale Sicherungssysteme für ihre Mitglieder zu garantieren versucht, um den sozialen Frieden und den Zusammenhalt zu sichern, kann sie nicht für den Rest der Welt oder auch nur einen spürbaren Teil davon zur Verfügung stellen.“ (S. 44) Auch hier absolvieren wir wieder im Crashkurs eine ganze Reihe an Lektionen mit ebenso schlichten wie gewichtigen Wahrheiten: Soziale Sicherungssysteme, sozialer Friede, gesellschaftlicher Zusammenhalt – alles national. Arbeitslose Zuwanderer – Einwanderer in den Sozialstaat. Kommen die einen – wird sich als nächstes der Rest der Welt einfinden. Oder vielleicht auch nur, hätte die reiche Gesellschaft ein bisschen Glück, ein „spürbarer Teil“ davon – was indes bereits des Schlechten zu viel ist.

Auch „progressive Ökonomen“ dürfen ja wohl mal aussprechen, „dass in Deutschland kein ungebremster Strom von Zuwanderern verkraftet werden kann und – im ureigenen Interesse der uns umgebenden Niedriglohnländer – auch nicht verkraftet werden darf.“ (S. 47) Es liegt also im Interesse der Völker und ihrer Zärtlichkeit miteinander, wenn sie brav unter sich bleiben und die reichen Völker einen Teil ihres Kapitals zu den ärmeren schicken, um dann dort den (natürlich letztlich wieder „nationalen“) Kapitalstock aufzubauen und den Wohlstand der Nation zu befördern, selbstverständlich wieder schön pfadabhängig und gemäß der üblichen Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie: steigende Produktivität, steigende Löhne, steigender Wohlstand, volkswirtschaftlicher Aufholprozess, Anschluss an die reichen Nationen der Welt. Die wohlhabende, „sich kulturell zusammengehörig fühlende Gesellschaft“ (S. 47) würde auf diese Weise „ihre Solidarität viel effektiver […] unter Beweis stellen“ als etwa durch die Aufnahme von Zuwandernden. Alternativ könnte die reiche Nation, „wäre sie bereit dazu“ (S. 44), kulturell als fremd empfundene Gesellschaften nicht nur durch private Direktinvestitionen, sondern „über eine massive Erhöhung der Entwicklungshilfe“ (S. 45) unterstützen. Das sind die beiden Optionen, dritte Wege ausgeschlossen. Wird hingegen ständig anderes, das heißt makroökonomisch Widersinniges behauptet, also etwa davon geredet, Zuwanderung habe einen wirtschaftlichen Nutzen – wen „wundert es da noch, dass die Bevölkerung sich zunehmend vor der Globalisierung fürchtet und Fremdenfeindlichkeit auf dem Vormarsch ist?“ (S. 48) Also wo sie Recht haben… Für einen aufmerksamen Flassbeck/Steinhardt-Leser lösen sich die meisten Rätsel wie von selbst, und so erweist sich auch der Vormarsch der Fremdenfeindlichkeit in den kulturell homogenisierten reichen Gesellschaften wie etwa der Bundesrepublik als nicht weiter verwunderlich.

Wenn nur das Kapital wandern und die Arbeit daheim bleiben soll, werden die „Entwicklungsländer“ – Flassbeck und Steinhardt verwenden den Begriff ganz ohne Scheu und dementsprechend ohne Anführungszeichen – in eine zunächst einmal komplizierte Situation geraten. Sie ließe sich, trügen die Aussichten nicht, nach Ansicht unserer Autoren allerdings mit dem nationalen Kapital der reichen Volkswirtschaften und dank des wohlwollenden Handelns lokaler Herrscher, aufgeklärter Makroökonomen und demokratischer Mandarine leichthin bewältigen: Gemeint ist eine Situation, in der die daheim bleibende Arbeit zu Hause womöglich gar nicht oder jedenfalls nicht mehr sehr lange gebraucht wird. Denn, so ein weiterer Merksatz der Autoren, „mittel- bis langfristig [ist] die Entwicklung hin zu einem ständig steigenden Kapitaleinsatz eine Art Naturgesetz in der Welt der Ökonomie“ (S. 34). Steigender Kapitaleinsatz führt, haben wir zu begreifen, unvermeidlich zu neuen Arbeitsmöglichkeiten und Einkommenschancen. Die nach dem staatlich repräsentierten Volkswillen der reichen Gesellschaften daheim bleiben müssenden Müllschnüffler und -verbrenner in Accra werden sich freuen, von solchen Naturgesetzen zu hören und demnächst von ihnen profitieren zu können. Vermutlich werden sie sich mittelfristig für ihre Körper wie Geist verzehrende Suche nach verwertbarem Material im westlichen Elektronikschrott mit arbeitserleichternden Wertstoffortungs-Apps (Namensvorschlag für die US-amerikanischen Softwareentwickler: „EaseWaste“) ausrüsten. Und langfristig winkt ihnen garantiert ein Arbeitsplatz in einer mit modernster europäischer Technologie ausgestatteten Mülltrennungs- und -verbrennungsanlage am Rande der westafrikanischen Metropole. „Die kapitalintensive Produktionsweise ist langfristig immer die überlegene, weil sie mehr Wohlstandspotenzial und damit die Voraussetzung für auf der ganzen Welt steigende Löhne schafft.“ (S. 36) Auch das ghanaische Volk ist damit so gut wie sicher auf dem Sprung, „wirtschaftlich aufzuholen und das Wohlstandsgefälle zu den reichen Ländern zu verringern“ (S. 40) – wie immer natürlich dem Stand der nationalen Kapitalstock- und Produktivitätsentwicklung entsprechenb d. Gut volkswirtschaftlich Ding will Weile haben.

Wachstum? Danke der Nachfrage!

Was das Ökonomieverständnis des heterodoxen Autorenpaars, neben der strikt nationalen Natur allen Wirtschaftens, im Kern kennzeichnet, ist die absolut unbezweifelbare Zentralität des materiellen Wachstums. Die wiederholt eingesetzte rhetorische Wendung, keine nationale Volkswirtschaft dürfe „unter ihren Verhältnissen“ (S. 29) leben, steht für nichts anderes als die Überzeugung, dass gesamtwirtschaftlich immer neue Nachfrage nach immer neuen Gütern zu schaffen sei – permanente „Nachfrageausweitung“ (S. 51) ist das Lebenselixier der Marktwirtschaft. Dem wohlwollenden Herrscher über das wirtschaftliche Geschehen muss es grundsätzlich und ausnahmslos darum gehen, durch die Realisierung beständiger Einkommenssteigerungen zu vermeiden, dass „der Zuwachs der Gütermenge, der potenziell möglich ist, von der eigenen Bevölkerung nicht mehr gekauft werden [kann]“ (S. 53). Das ist gewissermaßen die Horrorvorstellung der „neuen Ökonomik“: Stell Dir vor, es könnte etwas produziert und abgesetzt werden – und niemand will es haben. Wehe, das produktive Potenzial der nationalen Volkswirtschaft wird nicht ausgeschöpft! Erneut stehen wir vor einer Art Naturgesetz: In einem immer effizienter werdenden Produktionsprozess entstehen immer mehr Produkte, und diejenigen, „die die Produkte kaufen sollen, […] müssen auch die Mittel haben, um sie zu erwerben“ (S. 60 f.). So einfach. Wie kann man solche Trivialitäten bloß nicht verstehen?

Gute Wirtschaftspolitik sorgt demnach dafür, dass „der lachende Dritte“ (S. 72) – nein, bewahre, nicht der Kapitaleigner und Investor, sondern – „der Arbeitnehmer als Konsument“ ist, „weil er mehr Güter kaufen kann als vorher“ (S. 73). Die „neue Ökonomik“ ist insofern ganz die alte, als sich alles um die Wachstumsfrage dreht: Sie ist eine Legitimationswissenschaft der spätkapitalistischen Krümelmonsterökonomie, durch und durch. Der neuen Ökonomik und ihrer alten Ökonomie geht es letztlich allein darum, dass keine Nation unter den Möglichkeiten ihres Produktions- und Produktivitätspotenzials bleibt, dass in jeder Nation „ein großer Kuchen gebacken wird“ (S. 115) – also um die Frage, wie ein hohes nachfragerelevantes Einkommen entsteht „und wie man es weiter erhöhen“ (S. 115), sprich in der nächsten Periode einen noch viel größeren Kuchen backen kann. Und so immer weiter. Das ist eine Ökonomie des süßen Breis – der quillt und quillt, und die nationalen „Arbeitnehmer als Konsumenten“ sollen ihn in sich hineinstopfen, bis sie platzen. Oder bis der Globus kollabiert – wobei die stoffliche Basis dieser ganzen endlosen und endlos wachsenden Produktions- und Produktivitätsmaschinerie bei Flassbeck und Steinhardt überhaupt keine Rolle spielt. Sie ist ihnen im ökonomischen Wortsinne nicht der Rede wert. Was allein zählt, ist eine skalenmäßig grenzenlose, sozialräumlich aber eben strikt nationale Wachstumswirtschaft, gesteuert durch einen wachstumsökonomisch aufgeklärten, wachstumsdemokratisch legitimierten und wachstumsbürokratisch administrierten Wachstumsstaat, der sich der vollständigen „Aktivierung der in seinem Herrschaftsgebiet befindlichen Ressourcen“ (S. 360) verschrieben hat.

Dementsprechend fallen auch die abschließenden Ausführungen der Autoren zu „Klimawandel und Umweltschutz“ (S. 374 ff.) aus – bei denen sich auf den ersten Blick die einfache Frage aufdrängt, warum sie angesichts der bisherigen Ausführungen und Thesen überhaupt in dieses Buch hineingeraten sind. Vermutlich hatten die Autoren das Gefühl, zu diesem gesellschaftspolitischen – und eben auch gesamtwirtschaftlichen – Megathema irgendetwas sagen zu müssen. Die nun publizierten 20 Seiten zum Thema sind allerdings von einer wissenschaftlichen Antiquiertheit und einer intellektuellen Schlichtheit, dass einem wahlweise der Atem stockt oder die Tränen kommen. Gänzlich ungerührt von den einschlägigen, seit Jahrzehnten andauernden Debatten der politischen Ökologie, vollkommen unbefleckt von einem und sei es auch nur rudimentären Wissen um die äußerst lebendige Disziplin der Ecological Economics, ist dieses Kapitel ein echtes Armutszeugnis heterodoxer ökonomischer Analyse. Mehr noch: All das, was auf den zurückliegenden 370 Seiten ebenso wortreich wie selbstgefällig an den Mann (die Ökonomik ist eine Wissenschaft von Männern für Männer) gebracht werden sollte, ist hier urplötzlich verschwunden, auf einen Schlag wie weggefegt.

Denn, Überraschung: Wenn es um die Umwelt geht, dann regelt das Weitere wie das Nähere nicht ein Gesetz, sondern der Markt. Na klar, ein staatlich regulierter Markt – doch die staatliche Regulierung hat an dieser Stelle der Problemlandschaft nur das nachzuvollziehen, was sich ihr als die Aggregation individueller Präferenzen darstellt. Um es im Klartext der „neuen Ökonomik“ auszudrücken, muss der Staat die in der Bevölkerung verbreitete „abstrakte Bereitschaft, für mehr Umweltschutz zu zahlen“, als „Unternehmer für den Umweltschutz“ aufnehmen und „diese Präferenzen bedienen“ (S. 379). Nach Ansicht der Autoren „erledigt sich“ damit „eine ganze Klasse von Problemen, die von der herrschenden Ökonomie mit dem Umweltschutz verbunden wird“ (S. 380) – die ansonsten verhasste und gnadenlos abgewatschte unsichtbare Hand soll jetzt in Umweltfragen (Gerhard Schröder hätte in seiner unnachahmlichen Art wohl gesagt: bei Umwelt und Gedöns) ihre offenbar doch segensreiche Wirkung entfalten. Das nennt man wohl ökologische Transformation, leichtgemacht: Vollzogen letztlich „durch rein private Dispositionen“ (S. 381) – „Politik muss sich darüber überhaupt keine Gedanken machen“ (ebd.).

In der Tat, man traut seinen Augen nicht – weder theorieimmanent, noch gar policy-logisch ist diese Wendung auch nur ansatzweise nachzuvollziehen. Ein verfassungsmäßig verankertes Staatsziel Umweltschutz lehnen die Autoren, ansonsten um keine etatistische Selbstüberbietung verlegen, rundweg ab – ein „grandioser Unsinn, weil der Wunsch der Menschen […] nach sauberer Umwelt in die Reihe der (mikroökonomischen) Präferenzen gehört“ (S. 382 f.). Und solche Wünsche und Neigungen der ansonsten als Souverän nicht gerade geschätzten Bevölkerung steuert „ein kompetenter Staat (also ein Staat, der ausschließlich in gesamtwirtschaftlichen Kategorien denkt)“ (S. 381) über die Preise, „wie denn auch sonst“ (S. 385). Wie denn auch sonst!? An dieser Stelle ziehen Flassbeck und Steinhardt – das Drehbuch ist wirklich so schmierenkomödiantisch – das Instrument des Zertifikathandels aus dem Hut, das heißt ein klassisch und radikal marktliberales Instrument, über dessen Effektivität und Effizienz, Allokations- und Verteilungswirkungen außerhalb der liberalen Ökonomik alles bekannt und gesagt ist.

Zudem behauptet das Autorenduo an dieser Stelle doch tatsächlich, dass es nicht – ich wiederhole: nicht – die „Vorgaben eines Staates“ (S. 385) sein dürften, die einer möglichen Unaufgeklärtheit des Volkes entgegengesetzt werden, wo doch ansonsten der aufgeklärte Staat für Flassbeck und Steinhardt immer und überall gehalten ist, im Dienste des Gemeinwohls tätig zu werden und dafür das Volkswissen zur Not auch zu ignorieren. Es ist schon verrückt: Der ganze Popanz vom wohlwollenden Herrscher, in der Umweltfrage löst er sich in ökonomisches Wohlgefallen auf, mit dem schlichten Taschenspielertrick des Verweises auf die individuellen Präferenzen. Auf einmal erweist es sich, „wie ungeheuer flexibel die Unternehmen sein können. Sie könnten auch solche globalen Herausforderungen wie den Klimawandel leicht bewältigen. Wir müssten nur beginnen zu begreifen, wie die Marktwirtschaft funktioniert“ (S. 388). Sie schreiben das ernsthaft so: Der Klimawandel wäre „leicht“ zu bewältigen. Vorletzte Fußnote: Auch die staatlicherseits unbedingt zu respektierenden Umweltpräfenzen sind natürlich wieder einmal strikt national gewachsen, so dass in einem Land, in dem kollektiv-individuell eher eine Präferenz für mehr Umweltverschmutzung besteht, „der Staat dort mit einer gewissen Berechtigung weniger Umweltschutz durchsetzt“ (S. 384).

Ein letzter Punkt: Was im Rahmen von Flassbecks/Steinhardts „neuer Umweltökonomik“ geradezu undenkbar erscheint, ist die Eventualität, den Ressourcen- und Energiebedarf spürbar, geschweige denn radikal zu senken. Stattdessen bemühen sie eine Schreckensvision, die ansonsten als Heilsbringer firmiert – nämlich die als „extrem gefährlich“ bezeichnete Idee vom „globalen grünen Diktator“ (S. 393), „eine gut gemeinte globale Ökodiktatur, in der ein wohlwollender Diktator das tut, was für die Menschheit insgesamt angemessen erscheint“ (S. 396). Erstaunlich, dass den Autoren der immanente Widerspruch nicht bewusst wird – was aber wiederum, der Kreis schließt sich, an ihrem radikalen methodologischen Nationalismus liegen dürfte: Den wohlwollenden Herrscher, der national nicht nur sachlich angemessen und demokratisch legitim, sondern schlichtweg auch funktional unverzichtbar ist, kann es, ja darf es auf globaler Ebene einfach nicht geben. Auch deswegen wohl sehen die Autoren nicht grün, sondern schwarz für eine „globale Klimastabilisierung“ – „es nützt nichts, sich mit Illusionen zu trösten, wenn es keine guten Argumente gibt.“ (S. 393) Keine guten Argumente für ein globales Klimaregime, aber auch kaum gute Gründe für eine nationale Klimapolitik, die über die staatlich zu exekutierenden Präferenzen der klimaschädigenden Bevölkerungen hinausginge: Im Fazit würde man solche Befunde mit Recht „gescheiterte Globalisierung“ nennen.

Aber von einem solchen Scheitern ist im Buchtitel zweifelsohne nicht die Rede. Bleibt also nur die logische Schlussfolgerung: „In jedem Fall ist eine drastische absolute Verminderung des CO2-Ausstoßes aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe (andere Quellen gibt es dann immer noch) bis 2050, wie das von vielen Klimaforschern für nötig gehalten wird (man redet sogar von Null-Emissionen aus der Verbrennung), vollkommen ausgeschlossen.“ (394) Man wird den Subtext dieser Aussage ergänzen müssen, der da – um für die nötige Verdeutlichung zu sorgen – zweifelsohne lautet: Und das ist auch gut so. Denn wollte man sich diesem Ziel auch nur annähern, dann müsste die Logik der Wachstumsökonomie ganz grundsätzlich infrage gestellt werden – und zwar gerade in den reichen, überentwickelten Gesellschaften, die als allererste damit zu beginnen hätten, „unter ihren Verhältnissen“ zu leben.

Was bleibt?

„Man mag das wirtschaftliche System, in dem wir leben, Marktwirtschaft nennen oder Kapitalismus, entscheidend ist nicht der Begriff, sondern ein möglichst umfassendes Verständnis davon, wie dieses System funktioniert.“ (S. 168) Das mag stimmen: Es geht nicht so sehr um Begriffe (obwohl die Theoretiker und Praktiker der mehr oder weniger „sozialen“ Marktwirtschaft schon den bloßen Begriff des Kapitalismus nicht umsonst scheuen wie der Teufel das Weihwasser), sondern um die angemessene politökonomische Analyse. Was diese Analyse allerdings angeht, so gehen Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt dem neoklassisch-neoliberalen Mainstream, gegen den sie sich so unumwunden positionieren, letztlich doch erstaunlich unreflektiert auf den Leim. Zu einer kritischen Analyse des real existierenden Kapitalismus – und bezeichne man ihn auch als „Marktwirtschaft“ – gehört fraglos die Würdigung so entscheidender Faktoren wie des Privatbesitzes an Produktionsmitteln beziehungsweise der Institution des Privateigentums überhaupt, des Lohnabhängigkeitsverhältnisses, des Kapitalakkumulationszwangs, des Klassenantagonismus, der Ausbeutung von lebendiger Arbeit und lebendiger Natur – allesamt Momente und Motive, die als strukturanalytische für Flassbecks/Steinhardts „neue Ökonomik“ faktisch keine Rolle spielen.

Hier herrscht vielmehr eine grundsätzlich harmonische Vorstellung vom „Prozess der normalen wirtschaftlichen Entwicklung“, die sich nämlich derart vollziehe, „dass der berühmte schumpetersche Pionierunternehmer eine Idee zur Verbesserung der Produktionsverfahren oder zur Verbesserung der Produkte hat bzw. ein ganz neues Produkt auf den Markt bringt.“ (S. 175) Und ab geht die Post: Schon steigen seine Produktivität und sein Gewinn, wird produziert und Einkommen geschaffen, zieht die Nachfrage an und die andere Unternehmer nach, entstehen Ungleichheiten auf der Mikroebene, die neue Leistungsanreize setzen – und wenn der berühmte Pionierunternehmer nicht gestorben ist, dann innoviert er auch noch heute. Oder eben andere, noch nicht so berühmte, aber nicht minder innovative schöpferische Zerstörer.

Als ökonomische Querdenker, als unbequeme Außenseiter, als Hüter einer alternativen ökonomischen Vernunft angetreten, offenbaren Flassbeck und Steinhardt mit ihrem Buch das ganze Elend der Nationalökonomie: Wer solche heterodoxen Ökonomen als Freunde – oder sagen wir: als potenzielle Verbündete für eine postneoliberale Gesellschaftsgestaltung – hat, der braucht gar keine liberalen Ökonomen mehr zum Feind. Und eine Gesellschaft, die sich auf die eine oder andere Expertise verlassen würde, führe so oder so gegen die Wand – sei es nun auf orthodoxe Weise, in neoliberaler Raserei, oder aber auf die heterodoxe Art, mit altsozialdemokratischer Richtgeschwindigkeit. „Unglücklicherweise hat sich die Welt gerade fundamental verändert, was Lösungen notwendig macht, die von den einen wie den anderen das verlangen, was ihnen am absolut schwersten fällt: ein Umdenken.“ (S. 190) Ja, so ist es. Da möchte man den Autoren nur noch zurufen: Denkt mal drüber nach.

Postskriptum

Eine allerletzte Frage wäre am Ende noch zu klären: Warum verlegt Suhrkamp ein solches Buch? Die Antwort lassen wir offen. Muss wohl altes, einzelwirtschaftliches Denken mit im Spiel gewesen sein.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Martin Bauer.

Kategorien: Globalisierung / Weltgesellschaft Wirtschaft Staat / Nation


oxiblog.de  2018  Wer ist Systemoperator im Kapitalismus? Über das Buch »Gescheiterte Globalisierung« von Flassbeck und Steinhardt  GLOBAL, WIRTSCHAFT     von Tom Strohschneider

Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt nehmen marktradikale Ideologien und eine ökonomische Weltordnung auseinander, die nur zum längerfristigen Nachteil gesellschaftlicher Interessen funktionieren kann. Ihre Alternative stößt zur Dialektik politischer Handlungsfähigkeit im globalen Kapitalismus vor: Wie weit braucht der demokratische Staat weltweite Koordination – und umgekehrt? »Gescheiterte Globalisierung« trägt so auch zu ökonomischen Alphabetisierung aktueller linker Kontroversen bei.

Ein über 400 Seiten dickes Buch vorzulegen, in dem es über weite Strecken auch noch um ökonomische Zusammenhänge geht, darf man in diesen Zeiten als einigermaßen mutig bezeichnen.

Das liegt aber nicht so sehr am Buch, sondern an den Zeiten: In einer Phase des großen Umbruchs wird zwar viel über die Erscheinungsformen gesprochen, über autoritäre Trends, Rechtsruck, Aushöhlung demokratischer Fundamente, die Widersprüche der Globalisierung, alte Ausbeutung, neue Ungleichheit und so fort. Die Kontroversen weisen aber nur selten über banal-materialistische Hinweise hinaus, denen zufolge die gesellschaftlichen Friktionen mit ökonomischen Dingen zu tun haben. Aber mit welchen?

Eine ausführliche Antwort von Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt gibt es jetzt bei Suhrkamp: »Gescheitere Globalisierung«. Es geht in dem Buch um »Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates« – und damit sind schon im Titel eine ganze Reihe von Signalwörtern untergebracht, die auch die progressiven, kritischen Debatten über die aktuellen Krisentendenzen bestimmen – und nicht zuletzt den Streit um die möglichen Auswege.

Genau deshalb aber ist auch die Ausführlichkeit ein Vorteil – es trägt zum Verständnis eines bestimmten Blicks auf die Welt bei, indem es eine bestimmte ökonomische Analyse nachvollziehbar macht. Etwas, das im politischen Schlagabtausch sonst oft hinter dem Donnergrollen von Begriffskontroversen ein bisschen verschwindet.

Ökonomische Matrix ausführlich und anschaulich geschildert
Flassbeck und Steinhardt sind keine Unbekannten. Das gilt für den früheren Finanzstaatssekretär unter Oskar Lafontaine, der später als Chefökonom bei einer UNO-Organisation tätig war ebenso wie für den früheren Bankmanager Steinhardt, mit dem zusammen Flassbeck inzwischen das ökonomiekritische Portal »Makroskop« herausgibt. Ein dort oft vertretener Tenor weist den demokratischen Nationalstaaten die entscheidende Steuerungsfunktion zur Einhegung der kapitalistischen Ökonomie zu. Das schlägt sich natürlich in Positionen etwa zur EU, zum Euro, auch zu den Chance transnationaler Integration nieder.

Nun kann man hier selbstverständlich ganz anderer Meinung sein. Und natürlich mag es auch theoretische oder politische Gründe geben, Flassbeck und Steinhardt zu revidieren. Aber, hier darf man Antonio Labriola zitieren: »Aber es scheint mir doch, notwendig, hinzuzufügen: Überwinden heißt verstanden haben.«

Was der italienische Marxist damit meinte war, dass auch eine kritische Auseinandersetzung mit einer Position voraussetzt, dass man diese ausführlich zur Kenntnis nimmt. »Gescheiterte Globalisierung« ist dazu gut geeignet, weil darin eine ökonomische Matrix ausführlich und durchaus anschaulich geschildert wird, trotz der bisweilen nicht unkomplizierten Zusammenhänge.

Flassbeck und Steinhardt starten mit einer Kritik des lange Zeit hegemonialen ökonomischen Diskurses, der ihrer Meinung nach mit wirtschaftswissenschaftlicher Expertise nicht viel zu tun hat, eher mit einem ideologisch getränkten Konzept des Interessenslobbyismus. Ihre Kritik am Neoliberalismus ist vielleicht nicht neu, gehört aber dazu, wenn man den Anspruch erhebt, »Grundzüge einer neuen Ökonomik« dagegenzuhalten.

Mit Freude an der Polemik auseinandergenommen
Die Mystifzierung von Entwicklungstrends wie der Globalisierung oder der Digitalisierung, die von Apologeten des Marktes gegen erkämpfte Rechte von Beschäftigten oder staatliche Regulierungen des Kapitalismus in Stellung gebracht werden, weil sie »Sachzwänge« seien, an die sich Gesellschaften anzupassen haben, wir hier mit Freude an der Polemik auseinandergenommen.

Die beiden Autoren kommen ökonomiekritisch nicht von Karl Marx, sondern von John Maynard Keynes, im Zentrum ihrer ausführlichen Skizze stehen Geld, Kapital und Arbeit. In einer methodologischen Betrachtung in dem Buch weisen Flassbeck und Steinhardt allerdings ein medial etabliertes Raster zurück – das Bild von den beiden »Antipoden« Keynesianismus und Neoklassik, das wirkmächtig auch die Ebene politischer Entscheidungen beeinflusst, wo dann nicht selten »der dritte Weg« zwischen beiden gesucht wird.

Falsch, sagen Flassbeck und Steinhardt, denn was wie Antipoden klingt, sind »in Wirklichkeit aber Ergebnisse ganz unterschiedlicher Aussagensysteme«. Das ist ein zentraler Punkt in dem Buch, die Autoren nehmen für ihre Position »die Bereitschaft« in Anspruch, »makroökonomisch unbestreitbare Zusammenhänge, erkenntnislogische Notwendigkeiten und empirisch gesicherte Informationen in das Theoriesystem einzubauen«.

Meint auch: Die Neoklassik mit ihrem Modelldenken und ihrem Marktaberglauben tue das nicht. Oder, in einer selbstkritischen Perspektive des Rückblicks formuliert: »Man kann es heute nur als großen strategischer Fehler des Keynesianismus ansehen, die Neoklassik als satisfaktionsfähigen wissenschaftlichen Counterpart akzeptiert zu haben, statt sie von Anfang an als ein normatives Gebilde zu charakterisieren, das keinem sinnvollen gesellschaftlichen Zweck dient.«

Begriffe bleiben mitunter unscharf konturiert
Dem Buch hätte es durchaus gut getan, wenn mit Blick auf die Benennung der »anderen Seite« die Begriffe etwas schärfer konturiert worden wären. Über das Buch hinweg ist Mal von liberalen, Mal von wirtschaftsliberalen oder neoliberalen Ansätzen die Rede. In einem eigenen Kapitel geht es um die »Scheinantworten des Liberalismus« und um einen »liberalen Irrglauben«.

Das kann zu Fehldeutungen führen, schließlich geht es im Folgenden dann stets um die Radikalisierung eines Freiheitsanspruchs in Marktapologien, ob die nun staatliche Eingriffe zur Sozialisierung der Kosten privater Misswirtschaft gutheißen oder nicht. Dass es auch eine progressive liberale Tradition gibt, die durchaus ökonomiekritisch ist, weil sie vom »stummen Zwang« der ökonomischen Verhältnisse weiß, an dem das Freiheitsversprechen stets kollidieren kann, fällt dabei ein bisschen hinten runter.

Wer von »Gescheiterter Globalisierung« spricht, hat eine Pointe im Kopf – bei Flassbeck und Steinhardt ist das der demokratische Staat, den wieder in einen Zustand der Eingriffsfähigkeit, der Steuerungsressourcen zu setzen, das politische Ziel darstellt. Während der Wirtschaftsliberalismus« die gesamtwirtschaftliche Dimension ausblende, geht es den Autoren um »die absolut unvermeidbare Frage, wer die Rolle des Systemoperators der Marktwirtschaft wahrnehmen soll«.

Die Rolle des Staates: zwei Implikationen
Das hat zwei Implikationen, die beide die Rolle des Staates betreffen. Die erste hat etwas mit der »Tiefe« der möglichen Eingriffe in die Ökonomie zu tun. Flassbeck und Steinhardt sind »weit davon entfernt, einer staatlichen Planwirtschaft das Wort zu reden«, sie suchen nach einem Weg, »die unbestreitbaren Vorteile einer dezentral organisierten und auf Gewinnerzielung orientierten Produktion von Wirtschaftsgütern mit einer intelligenten staatlichen Steuerung des Marktes zu verbinden«. Dabei ist, so schreiben sie an anderer Stelle, »die von uns geforderte Renaissance des Staates« nicht »einer staatsgläubigen Agenda geschuldet, sondern der Einsicht in gesamtwirtschaftliche und globale Zusammenhänge«.

Die zweite Implikation stößt zu den Widersprüchen nationalstaatlicher Steuerung zu tun – sowohl was die Substanz an geht, als auch die Räumlichkeit. Flassbeck und Steinhardt sind sich der Zweifel bewusst, die eine Strategie der »Renaissance des Staates« auf sich ziehen muss. Staaten haben »ihr Gewaltmonopol nach innen im Namen ›großer Ideale‹ missbraucht«. Die Autoren verweisen auch auf »die schlimmen historischen Erfahrungen mit der ›Nation‹«. Und sie »konzedieren, dass viele der zu beklagenden gesellschaftlichen Zustände« ja auch »eindeutig auf nationalstaatliche Maßnahmen« zurückzuführen sind. »Wenn vor diesem Hintergrund Zweifel an der Position angemeldet werden, dass eine Stärkung des Nationalstaats der richtige Weg ist, um sowohl eine sozialere als auch demokratischere Welt zu befördern, ist das mehr als nur verständlich.«

Allerdings pochen Flassbeck und Steinhardt darauf, »dass man über die Frage, ob ein demokratisch organisiertes Gemeinwesen nicht den institutionellen Rahmen eines Nationalstaates benötigt« weiter diskutieren muss. In diese Hinsicht sind sie sozusagen Pragmatiker, die in einer bestimmten »Zeitlichkeit« denken: Natürlich wissen beide, dass die politischen Formen der Einhegung eines globalen Kapitalismus auch der Räumlichkeit dieser Produktionsweise folgen müssen. Die Frage ist aber, wie weit das eine – transnationale Integration – schon sein kann, und welche Schlüsse daraus für das andere – die einzelstaatliche Ebene – gezogen werden können und müssen.

Solange aber kein Weltstaat existiert…
In den Worten der beiden Ökonomen: »Solange aber kein Weltstaat existiert – und der ist mindestens so weit von seiner Realisierung entfernt wie eine totale dezentralisierte Organisation des Gemeinwesens –, muss es zwischen beiden eine Ebene geben, auf der die Entscheidungen getroffen werden, die nicht einem einzelwirtschaftlichen Interesse entspringen, sondern der Einsicht, dass ein arbeitsteiliges Wirtschaftssystem nur dann funktionieren kann, wenn gesamtwirtschaftliche, also nur für eine regionale Einheit existierende Zusammenhänge bei der Entscheidungsfindung angemessen berücksichtigt werden.«

Auf welchen ökonomischen Analysen, welchen theoretischen Ausgangspunkten und welchen wirtschaftspolitischen Steuerungsideen diese »Einsicht« beruht, davon handelt dieses Buch. »Gescheiterte Globalisierung« trägt so auch zu ökonomischen Alphabetisierung aktueller linker Kontroversen bei – und es ist dazu keineswegs nötig, sich auf denselben Standpunkt wie Flassbeck und Steinhardt zu stellen.

Man kann zum Beispiel eine völlig andere Staatstheorie im Kopf haben. Oder politisch der Meinung sein, dass statt einer »Stärkung des Nationalstaats« das Wort zu reden, viel eher in die andere Richtung gelaufen werden müsste, also alle Anstrengungen in den »Weltstaat«, von dem die Rede war, investiert werden sollten. Man kann auch völlig andere Überzeugungen pflegen was die Rolle von Geldes angeht. Und so weiter.

Aber, hier soll nochmal Labriola sprechen: Diskutieren »heißt verstanden haben«. Flassbeck und Steinhardt entfalten ein Programm, das zur Bearbeitung der real existierenden Widersprüche beiträgt. Auch, weil sie zur Dialektik politischer Handlungsfähigkeit im globalen Kapitalismus vorstoßen: »Es gibt keinen Mechanismus«, schreiben sie gleich zu Beginn, »der dafür sorgen könnte, dass die auf nationaler Ebene gefundenen Preise, Löhne und Zinsen sich so ergänzen, dass schwere Konflikte zwischen den Staaten verhindert werden können. Daher ist die internationale Koordination der Politik unumgänglich, wenn eine Weltordnung angestrebt wird, die den intellektuellen und kulturellen Austausch zwischen Menschen aus unterschiedlichen Ländern, den Handel mit Gütern und Dienstleistungen zum Vorteil aller daran Beteiligten und die Bewegungsfreiheit des Einzelnen über die nationalen Grenzen hinweg ermöglicht.«

Man kann eben das jeweils eine nicht lassen, weil einem das andere nicht behagt.

Heiner Flassbeck, Paul Steinhardt: Gescheiterte Globalisierung. Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates, Edition Suhrkamp Berlin 2018, 410 Seiten, 20 Euro.